Soll man sich um
Italien Sorgen machen? Ja, man muss. Das weiß alle Welt, selbst die
Italiener wissen das. Wer aber kein Italiener ist und seine Sorgen in Worte fasst, fängt sich mit Sicherheit eine heftige verbale Ohrfeige von Matteo Salvini ein, dem Chef der Lega. Und nicht nur von ihm. Jeder Kommentar zur aktuellen Lage in Italien, wird dort als Einmischung in die inneren Angelegenheiten gebrandmarkt. Ganz egal, wer sich derzeit äußert, Journalisten oder EU-Kommissare, ganz egal wie man es sagt, freundschaftlich oder feindselig, nüchtern oder aggressiv. Ein Wort von außen, schon bricht in Italien ein Sturm der Entrüstung los.
Als
EU-Kommissar Günther Oettinger vor Kurzem sagte, dass die Reaktion der Märkte "für die Wähler doch ein mögliches Signal ist, nicht Populisten von links und rechts zu wählen", wurde das Zitat so gut wie auf alle Titelseiten italienischer Zeitungen gehoben, bis zur Verfälschung scharf zugespitzt: "Die Märkte werden den Italienern beibringen, wie sie zu wählen haben!" Der Kommissar, der Zusatz kam immer, sei im Übrigen: ein
tedesco, ein Deutscher. Als in
einzelnen deutschen Medientiteln heftige Kritik an Italien geübt wurde, schrieb die im allgemeinen als seriös geltende Tageszeitung
Corriere della Sera von einer vulgären, deutschen Medienkampagne.
Also, Ausländer sollen die Klappe halten! Das gilt besonders für die Deutschen.
Aber ist das richtig?
Natürlich nicht. Die Probleme Italiens sind Probleme der EU. Verlässt Italien die Eurozone oder rauscht es in eine Staatspleite, wird das für alle anderen Mitgliedsstaaten der EU wahrscheinlich schwerwiegende Folgen haben. Um es in einem Bild zu sagen: Wenn es im Zimmer einer Wohngemeinschaft brennt, würde man doch erwarten, dass die Mitbewohner "Feuer" schreien. Das wäre ganz im
Sinne der Gemeinschaft, aber wohl auch im Sinne des betreffenden Zimmerbewohners, der vielleicht die Gefahr nicht bemerkt, weil er den Schlaf des Selbstgerechten schläft.
Es ist ein Paradox. Wer jetzt "Feuer" schreit, facht das Feuer noch weiter an. So lautet jedenfalls die Argumentation jener, die in dieser Sache zum Schweigen raten. Da jedes Wort falsch ist, darf kein Wort gesprochen werden.
Das ließe sich ja akzeptieren, aber dann müssten wir auch aufhören, von einer europäischen Öffentlichkeit zu reden. Jede Nation unterhielte sich dann nur mehr mit sich selbst, stritte, zerfleischte oder versöhnte sich. Je nachdem. Aber ein Gespräch zwischen den Nationen wäre dann unerwünscht, geradezu unmöglich.
Die Grenzen innerhalb Europas mögen gefallen sein, mental haben sie die europäischen Nationen offenbar nicht überwunden. Das wird in
Zeiten der Krise besonders sichtbar.
In den Köpfen vieler Europäer scheint die EU dann gar nicht zu existieren.
Die EU ist auf Nationalstaaten aufgebaut. Jede Nation hat ihre Empfindlichkeiten, die sich zu einem guten Teil aus ihrer Geschichte erklären. Das lässt sich beklagen, aber nicht einfach aus der Welt schaffen. Darauf sollte jeder Rücksicht nehmen, doch das heißt nicht, dass man zum Schweigen verurteilt ist.
Wenn man beim anderen eine Gefahr erkennt, die für alle bedrohlich ist – dann sollte sie deutlich benannt werden.
Es ist ja nichts leichter, als den anderen als Angehörigen einer Nation zu beschimpfen, und es sieht auch danach aus, als würde das in den sozialen Medien honoriert. Je derber die Angriffe, desto mehr Clicks und vermutlich, Gott bewahre!, desto mehr Wählerstimmen.
Nein, die Europäer müssen jetzt öffentlich über Italien reden, auch die Deutschen. Leidenschaftlich, was nicht mit Erregtheit zu verwechseln ist. Vielleicht sollte jeder kurz Luft holen und nachdenken, bevor er Kommentare von sich gibt; dann käme ihm etwas Wertvolleres über die Lippen, das mehr ist als ein Wutschrei, ein Zornesausbruch, eine Triebabfuhr.
Vielleicht bekäme man dann sogar etwas Vernünftiges zu hören, mit dem Deutsche wie Italiener etwas anfangen könnten. Etwas, das Europa voranbringt.