Freitext: Noémi Kiss: Es ging immer um die Befreiung der Frau

 
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31.05.2018
 
 
 
 
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Es ging immer um die Befreiung der Frau
 
Politikerin und Sexsymbol: Ilona Staller, Cicciolina, ist im selben ungarischen Plattenbauviertel aufgewachsen wie ich. Ein Treffen mit der Ikone meiner Kindheit.
VON NOÉMI KISS

 
© Giuseppe Cacace/Getty Images
 

Sie ist in Kőbánya, einem Viertel in Budapest, geboren, heißt Ilona Staller, und ich habe sie vor einigen Wochen in Rom inmitten netter südlicher Häuser in einem Café getroffen. Traumkörper meiner Kindheit und Weltpolitik einer Frau von uns. Sie stellte etwas dar, das lange als Tabu galt, heute sind diese Tabus zu herrschenden Bildern in den Medien geworden. Wir sind satt, sagt meine Freundin, eine Kulturwissenschaftlerin, die mit uns am Tisch sitzt – diese Bilder regieren die Liebe. Frauen sind stets Objekte in der Politik der Pornografie.

Damals verliefen die Grenzen anders. Durch Ilona Staller aber bekam Intimität eine Bühne. Es ist machbar, dachten und lächelten wir hinter dem Eisernen Vorhang. VHS-Kassetten aus Italien, in jedem Haushalt. Genau wie die Männer schauten auch wir Frauen zu und rieben uns die Augen, es war auf üble Weise anziehend. Doch: Eben auch ein Hauch von Befreiung war immer dabei in Cicciolinas rosa-nackter Erscheinung. Die andere Seite der Befreiung hieß Sexindustrie und Sexarbeit, Liebe für Geld und als Konsum. Eine Frauenkarriere für Osteuropa: Keine Panik, die reichen Fischköpfe aus dem Westen kommen ganz sicher, wenn du Glück hast, heiratet dich einer von ihnen. Dann kannst du fortgehen.

Heute drehe sich das Ganze um, sagt mir Cicciolina gleich zu Beginn unseres Gespräches, und dass sie gern wieder nach Hause würde. Sie fühle sich wohl dort, wo sie geboren sei, würde am liebsten wieder nach Kőbánya zurückkehren. Rom gefällt ihr nicht mehr, die Zeiten, die Menschen, die sie damals so leidenschaftlich geliebt haben und die sie begeistert hat, gibt es nicht mehr. Niemand lacht, niemand zeigt sich ihr gegenüber glücklich, sie seien kalt geworden.

Sexarbeit ist Heimat

Kőbánya – das Wort bedeutet Steinbruch. Arbeiterviertel mit Bierfabriken und einem Gefängnis, der größte jüdische Friedhof („Kozma utca„) Europas, nebenan in Köztemető („Öffentlicher Friedhof“) auch eine Ruhestätte für die Opfer des Kommunismus (die Parzelle 301) aus dem Jahr 1956. Revolutionen sind hier Vergangenheit. Wie 1968. Sex ist keine Revolution mehr, niemand regt sich auf, und „Sexarbeit“ ist Alltag in der Gegend. Man denkt, der Kommunismus wäre völlig verschwunden, aber er war nie richtig da. Er war ein Ideal in den Köpfen, aber die Realität waren die wirklichen Körper.

Cicciolina war immer schon die bekannteste Frau meiner Heimat. Anziehend und weltberühmt. Seit meiner Kindheit beobachtete ich sie, wann immer ich konnte. Ich war gerade in der Pubertät (in den 1980er-Jahren), als sie häufig im Fernsehen auftrat. Sie hatte Humor und strahlte Offenheit aus, sie stellte unsere Vorstellungen auf den Kopf, und sie hatte recht. Was sie uns spiegelte, waren die wahren Wünsche der Gesellschaft. Ilona präsentierte ihren nackten Busen, ihren Kopf zierte ein Rosenkranz und immer hatte sie andere Kuscheltiere dabei. Sie hatte ihre eigenen Ideen und sprach voller Überzeugung und unverstellt über sie. Sie war eine Erscheinung, etwas ganz Neues und dennoch heimisch, denn Porno und Sex sind hier zu Hause. Sexarbeit ist die Heimat. Was sie machte, war linke, radikale Politik. Den Idealen der 1968er entsprechend.

Heute dominiert im Osten Europas eine Art staatlich verordneter Antifeminismus. Umso wichtiger ist der Widerstand dagegen. Und Cicciolina ist wieder da, sie ist präsent in den Medien, man will sie wieder auf der Bühne sehen, im Radio ihre Stimme hören. Sie arbeitet jedes Wochenende, mal in Rom, mal in Budapest. Die Pornografie allerdings hat heute einen anderen Stellenwert. Niemand glaubt mehr an die Bedeutung der freien Sexualität. Selbst das Bürgertum hat alle Grenzen überschritten.


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