| »Transcorner«: Kunst und Kultur statt Bier und Lärm
Am Cornern scheiden sich die Geister. Während das hippe Partyvolk in der Schanze und in Eimsbüttel dem kollektiven Draußen-Rumstehen-und-Bier-Trinken frönt, schimpfen Anwohner über Lärm, Müll und vollgepinkelte Hauseingänge. Nun erreicht der umstrittene Trend sogar die Veddel: Das Projekt »TransCorner« soll »neue Formen des Sich-Begegnens im öffentlichen Raum« möglich machen – doch (Veddeler können nun aufatmen) laute Straßenpartys sind damit nicht gemeint: »Wir wollen dem Begriff des Cornerns eine positive, kulturelle Bedeutung geben«, erzählt Mitinitiatorin Emilie Girardin. Die Idee: Anwohner und Künstler bringen gemeinsam Kunst auf die Straße, das können etwa Theaterstücke, Tänze oder Songs sein, die zuvor in mehrtägigen Workshops erarbeitet wurden. Vom 15. bis 17. Juni beispielsweise zieht die Hamburger Elektroband Shkoon umher, um Stadtgeräusche einzufangen und aus diesen Samples später Songs zu komponieren, die den »Sound Hamburgs« widerspiegeln sollen. Beim »Mehrsprachigen Textlabor« entwickeln die Teilnehmer Geschichten über ihre Lieblingsorte im Viertel. Und beim »Perform your neighbourhood«-Workshop, der am kommenden Wochenende startet, sollen Choreografien entstehen, die »ein tänzerisches Aufeinandertreffen im Stadtraum ermöglichen«, erklärt Girardin, die einräumt, dass das Cornern im Schanzenviertel »extreme Ausmaße« angenommen habe: »Die Beschwerden mancher Nachbarn können wir verstehen. Trotzdem ist es schade, dass der Begriff gerade so negativ besetzt ist. Denn dass sich Menschen auf der Straße begegnen, birgt viel Potenzial: Wenn wir wieder mehr miteinander reden, können wir auch den öffentlichen Raum in Hamburg stärker nach unseren Wünschen gestalten.« Weitere Infos zum Projekt »Transcorner« und Anmeldung zu den Workshops unter http://transcorner.net/
Von Rassismus in Schulbüchern In der Schule soll man aufpassen, dort lernt man fürs Leben, legt die Grundlage für die Zukunft – kann man sagen. Was aber, wenn die Inhalte, die dort vermittelt werden, streitbar sind, wenn in Schulbüchern ein ungenaues Weltbild gezeichnet wird, sie gar zu Rassismus beitragen? Elina Marmer ist freie Forscherin, Autorin und Lehrende im Bereich Rassismusforschung und Rassismuskritische Bildung in Hamburg. Heute Abend hält sie einen Vortrag zum Thema »Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht«. Wir haben sie vorab dazu befragt. Elbvertiefung: Sie sagen, Schulbücher seien ein typisches Beispiel für Rassismus im Schulischen. Können Sie ein Beispiel nennen? Elina Marmer: In einem Biologiebuch der Mittelstufe aus dem Jahr 2016 finden sich zwei Abbildungen. Auf der einen ist ein weißes Hochzeitspaar, das als Hochzeitspaar bezeichnet ist, auf der anderen gegenüber sieht man eine größere Gruppe schwarzer Menschen. Betitelt ist das Bild mit »Kenianischer Häuptling mit Frauen und Kindern«. Mal abgesehen von dem sehr fragwürdigen Begriff Häuptling, wird Kindern damit vermittelt: Weiße sind monogam, Schwarze haben 30 Frauen und 50 Kinder. Das ist gefährlich. EV: Was leiten Sie daraus ab? Marmer: Zielgruppe sind die weißen mehrheitsdeutschen Schüler, sie werden privilegiert behandelt. Wohingegen beispielsweise Migranten und Geflüchtete objektifiziert werden. So gibt es im selben Buch den Arbeitsauftrag: Befragt eure Mitschüler islamischen Glaubens, wie sich die Beziehung zwischen Mann und Frau gestaltet. Und nicht etwa: Befragt euch gegenseitig. Was bleibt, ist: Die einen sollen etwas lernen, die anderen untersucht werden. Dadurch findet Ausgrenzung statt. Und die betroffenen Schüler können dem wenig entgegensetzen. Schließlich muss die Darstellung des Lehrbuchs richtig sein, handelt es sich doch um ein staatlich verordnetes Wissensmedium. EV: Es wird in Kategorien unterschieden? Marmer: Ja. In einem angesprochenen Wir, das die weißen mehrheitsdeutschen Schüler umfasst und dem Anderen, dem Fremden. Wobei das Fremde oft unreflektiert dargestellt und an äußeren Merkmalen wie Herkunft und Glauben festgemacht wird. Während die westlichen Weißen meist idealisiert als die Reichen, die Starken, die Guten dargestellt werden, werden die anderen in die Rolle des Opfers, des Versagers gesteckt. Das hat psychische Folgen. EV: Welche Folgen meinen Sie? Marmer: Bei Weißen kann sich das in Übermachtsfantasien zeigen. Weil sie ständig suggeriert bekommen, dass von ihrem Handeln das Glück der Welt abhängt. Den anderen wird vermittelt, dass sie auf Hilfe angewiesen sind. Das hinterlässt Verletzungen. Mit diesen geht natürlich jeder anders um, manche isolieren sich, andere radikalisieren sich, wieder andere entwickeln ein starkes Selbstbewusstsein. EV: Wäre es nicht Aufgabe der Lehrer einordnend zu wirken? Marmer: Ich habe viele Interviews mit Jugendlichen geführt, die erzählt haben, dass solche Inhalte von den Lehrern nicht aufgegriffen wurden. Das Problem ist: Es fehlt an der entsprechenden Ausbildung. EV: Und die Autoren? Marmer: Das sind im Normalfall weiße Männer um die 50. Auch so eine Sache. Sie schreiben über Themen wie Migration und Islam, Dinge, in denen sie keine Experten sind. Warum greift man nicht auf Wissende aus den entsprechenden Ländern zurück? Auch hier wird nur über sie geschrieben, eingebunden werden sie nicht. EV: Welche Genehmigungsinstanz prüft die Inhalte der Bücher, bevor sie im Unterricht verwendet werden dürfen? Marmer: In Hamburg niemand. Der Schulbuchverlag schickt das Buch an die Schulbehörde, gibt an, dass die Inhalte dem Schulplan und dem Grundgesetz entsprechen – fertig. Und in Bundesländern, in denen geprüft wird, machen das Menschen, die nicht rassismuskritisch geschult sind. Der Vortrag »Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht« beginnt um 18 Uhr in der Universität Hamburg, Von-Melle-Park 9, Raum S29 | |
|
|