Politisch dementes DresdenJahrelanges Grübeln, warum ausgerechnet die sächsische Hauptstadt eine bürgerliche, rechtsextreme Bewegung zustande brachte. Anders gefragt: Wo sonst? VON MELY KIYAK |
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Als die Pegida-Bewegung in Dresden ihren Anfang nahm, wussten sächsische Medien und sächsische Universitäten keine rechte Antwort auf die Frage, weshalb eine beträchtliche Zahl des sächsischen Bürgertums dieser Ideologie, die eine Mischung aus Hass, Hass und Hass war, etwas abgewinnen konnte. Man rätselte, warum ausgerechnet in Dresden – Frauenkirche, Zwinger und überhaupt regnet es den ganzen Tag Reibekuchen und Schwarzbier vom Himmel –, in diesem Hort der goldglitzern aufpolierten Harald-Glööckler-Miniaturwelt, viele Sachsen derart auf die Barrikaden stiegen. Man erinnert sich an Werner Patzelt, der im Fernsehen oft als Professor an der TU Dresden vorgestellt wurde (man hätte ihn auch einen Arbeitsmigranten aus Bayern und CSU-Mitglied nennen können) und dort geduldig erklärte, dass Pegida die Konsequenz einer Repräsentationslücke sei, die Merkel und andere Linksextreme in der CDU hätten entstehen lassen. Das ergaben seine Studien an der TU. Dann, im vierten Jahr von Pegida, fand im Kulturpalast Dresden eine kleine Literatenplauderei zwischen zwei sächsischen Autorenkollegen des Suhrkamp Verlages und einer Moderatorin der Sächsischen Zeitung statt, wo einer der beiden Schriftsteller Positionen aus rechtspropagandistischen Medien unter starkem Beifall des Dresdner Bürgertums zitierte, während der andere Autor und die Journalistin weitgehend staunend zuhörten. Dann, wie immer, die berühmte Frage, wie kam es zu dem Betriebsunfall, woher der Groll, warum wieder Dresden? Natürlich immer mit der Betonung auf das Bürgertum. Lieber ist der Proletarier schuld In solchen Diskursen schwingt auch immer das Vorurteil mit, dass die akademische und künstlerische Elite naturbedingt genauso immun sei gegen Lüge und Demagogie wie der sogenannte brave Bürger, der schon allein deshalb als kulturbeflissen und zivilisiert betrachtet wird, weil er Geld in der Buchhandlung ausgibt. Zu gerne vermutet man die Begeisterung für Populismus, Dummheit und Rassismus lieber beim abgehängten Proletarier. Immer wieder versucht sich jemand an der primitiven Behauptung, dass das Selbstbewusstsein der Sachsen irgendwann zwischen August dem Starken und Jan Josef Liefers beschädigt worden sei. Der Furor als Folge von Notwehr sozusagen. Die Rückgriffe auf die Geschichte Sachsens funktionieren erstaunlicherweise aber unter Aussparung einer bestimmten Epoche und eines bestimmten Ereignisses. Am 10. Mai, also diese Woche, jährt sich die Bücherverbrennung zum 85. Mal. Und während man sich durch die Quellen liest, bemerkt man, dass der Tag im öffentlichen Bewusstsein als singuläres Berliner Ereignis auf dem ehemaligen Opernplatz wahrgenommen wird, bei dem Joseph Goebbels irgendeine Rolle spielte. Die Bücherverbrennung gab es aber nie. Es handelt sich nämlich um einen Plural. Die Bücherverbrennungen waren eine Monate andauernde und vorbereitete Aktion. Genau genommen gab es 102 Bücherverbrennungen in 90 deutschen Städten, die nicht von oben "verordnet" wurden. "Der undeutsche Geist" Das Denkzentrum der Aktion, das ideologische Fundament, wenn man es so nennen will, ist die Dresdner Studentenschaft unter Mithilfe der Dresdner Neuesten Nachrichten, der TU Dresden und weiteren zahlreichen Akteuren der "Kulturelite". In Berlin brannte es erst am 10. Mai. In Dresden brannten Bücher bereits am 7. März vor einer Buchhandlung und einen Tag später auf dem Wettiner Platz. Also zwei Tage nach der Reichstagswahl, in der Hitler auf demokratischem Weg das Mandat erteilt wurde. Bereits ein Jahr bevor Hitler die Macht übernahm, sprachen sich prominente Professoren der TU für Hitler aus. Die Dresdner Studentenschaft veröffentlichte im April 1933 einen Aufruf, wonach Juden keinen Zutritt zum Studentenhaus bekamen. Die Studentenschaft, nicht Hitler! Auch die zwölf Thesen "Wider den undeutschen Geist" ("Reinerhaltung der deutschen Sprache", "Wir wollen den Juden als Fremdling achten", "Der undeutsche Geist wird aus Büchereien ausgemerzt" und so weiter) waren Ideen der Dresdner Studenten, die mit der Plakatierung der Thesen eine Werbeaktion mit den Dresdner Neuesten Nachrichten durchführten. Heute würde man so etwas "eine freundliche Medienkooperation" nennen. Radikale Abkehr von Intellektualität in der Öffentlichkeit Anschließend informierten die Dresdner Studenten die Berliner Kollegen darüber, dass als Höhepunkt des "Aufklärungsfeldzuges" die Bücherverbrennung geplant sei. Bücherlisten, Titel und Antworten auf berechtigte Sorgen und Nöte (man hat ja als begieriger Bücherverbrenner eine Menge Fragen, weil man natürlich nicht das falsche Buch abfackeln will, es muss ja doch immer alles seine Ordnung haben) fand man in der Sächsischen Landesbibliothek, die sich genauso als Anlaufstelle bereit erklärte wie die Dresdner Leih- und Schulbibliotheken. Auch der Rundfunk machte mit und veröffentlichte, was die Studenten zu verlautbaren hatten. Dann erst holte man sich im sächsischen Justizministerium die nötigen Genehmigungen für die Aktion "Die Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild". Was dann geschah, ist eigentlich unvorstellbar. Dresden, das Logistikzentrum der Bücherverbrennung, agierte mit besonderem Eifer äußerst fantasievoll. Ein "Schandpfahl" wurde errichtet, wo die Namen der "undeutschen" (heute würde man antideutsch sagen) Autoren bekannt gegeben wurden. Man lief mit Pfeifkonzert, Fackeln und "Feuersprüchen" in einer Mischung aus sektenhafter Ekstase – und ja, man muss es sich pegidamäßig vorstellen – mit Bücherstapeln statt Galgen durch die Stadt. Es gab theatralisch inszenierte Sprechchöre. Einer rief: "Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, ich übergebe der Flamme Sigmund Freud." Dann rief der nächste: "Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung. Ich übergebe der Flamme Theodor Wolff." Man war ja durchaus belesen und hatte immer Erklärungen für sein Handeln. Kein unerhebliches Detail Es ging nicht nur um jüdische Autoren, sondern um Werke, die liberale, sozialdemokratische oder kommunistische Ideen vertraten. Gegen Großstadtliteratur. Schriften, die die Weimarer Republik beschrieben. Betroffen waren Publikationen der sexualwissenschaftlichen Institute, der Psychoanalyse, also die ganze Bandbreite der linksgrün versifften Multikulti-Scheinwelt der Genderwahnsinnigen. Die Kultur- und Wissensfeindlichkeit war nicht das Werk der NSDAP, sondern das der sächsischen Bürger. Und von dort verbreitete es sich. Joseph Goebbels war natürlich begeistert. Die NSDAP unterstütze diesen Geist. Bevor es also in Dresden die Pegida gab, die über eine glänzende Vernetzung in Partei, Universitäten und Medien verfügte, gab es in Sachsen bereits Erfahrungen mit Bürgerbewegungen von unten. Vielleicht ist da gar nichts wiedergekommen, sondern war nie weg? Von Pegida bis zur Tellkamp-Diskussion; warum fiel das Stichwort der Bücherverbrennung nicht? Vielleicht taugt es als Erklärung nicht, aber um ein Bild kompletter zu machen, ist es doch kein unerhebliches Detail. In zahlreichen deutschen Städten, Gießen ganz vorne, Berlin sowieso und in Frankfurt am Main, wird der Bücherverbrennung in den eigenen Städten gedacht. Gespannt ist man jetzt, was die Dresdner Neuesten Nachrichten, der MDR, die Technische Universität und zahlreiche andere öffentliche sächsische Institutionen, Organisationen, Ministerien, Theater, Buchhandlungen, Asta, egal wer, an Sonderseiten, Sondersendungen, Sonderveranstaltungen im Rahmen der Erinnerungskultur dieses Jahr in der Landeshauptstadt auffahren werden.
Zwei Dresdner Autoren sind politisch nicht dement. Ihre Namen sind Peter Bäumler, Publizist, und Matthias Lienert, Direktor des Universitätsarchivs der Technischen Universität Dresden. Ihr gemeinsam verfasster Artikel über die Bücherverbrennungen erschien 2013 in der FAZ und setzte sich mit der Dresdner Geschichte auseinander. Man hat sie leider nie in ein politisches Talkformat eingeladen. Aber das hat nichts mit ihnen zu tun. Sondern mit den deutschen Talkformaten, die es sogar schaffen, über den ersten Autor, dessen Werk verbrannt wurde, Karl Marx, zu seinem 200. Geburtstag eine Sendung im Ersten zu veranstalten, ohne einen Historiker, Autor, Biografen oder Wirtschaftsphilosophen einzuladen. Entsetzlich bitter, aber wahr: In gewisser Weise hat sich in Deutschland die radikale Abkehr von Intellektualität in der Öffentlichkeit unter aggressiver Abwesenheit von Wissenschaft und Kultur bis heute ganz gut gehalten. Zugegeben anderes Thema, aber Erkenntnis ohne Abzweigungen im Denken gibt es eben nicht. Also, im Fernsehen ja, aber nicht dort, wo Menschen wirklich begreifen und wissen wollen.
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