Fünf vor 8:00: Ein notorischer Vertragsbrecher - Die Morgenkolumne heute von Theo Sommer

 
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FÜNF VOR 8:00
15.05.2018
 
 
 
   
 
Ein notorischer Vertragsbrecher
 
Es ist nicht nur der US-Ausstieg aus dem Iran-Atomabkommen: Solange Donald Trump im Amt ist, bleibt die transatlantische Interessen- und Wertegemeinschaft suspendiert.
VON THEO SOMMER
 
   
 
 
   
 
   
Achtzehn republikanische Kongressabgeordnete haben Donald Trump formell für den Nobel-Friedenspreis nominiert. Gefragt, ob er ihn verdiene, antwortete er in der für ihn charakteristischen Bescheidenheit: "Everyone thinks so" – alle Welt sei dieser Ansicht, aber er würde das nie sagen.
 
Ich bin da anderer Meinung. Trump verdient einen Nobelpreis, aber nicht den Friedenspreis, sondern den Nobelpreis für Ignoranz, Inkompetenz und Impertinenz. Den gibt es nicht? Kein Problem: Man könnte leicht den dieses Jahr ausfallenden Nobelpreis für Literatur umwidmen. Everyone thinks so.
 
Der US-Präsident hat vor einer Woche das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt. Nach zwölf Jahren langer Verhandlungen wurde das 159seitige Schriftstück mit dem unverständlichen Namen Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) 2015 von der Obama-Regierung, England, Frankreich, Deutschland, China und Russland unterzeichnet. Im UN-Sicherheitsrat wurde der Aktionsplan einstimmig ratifiziert. Iran hat ihn seitdem Punkt für Punkt eingehalten, darin sind sich alle anderen Unterzeichner, die Internationale Atomenergiebehörde und selbst die amerikanischen Geheimdienste einig. Es hat zwei Drittel seiner 20.000 Zentrifugen zur Urananreicherung abgebaut, sein Plutoniumprojekt eingestellt, 98 Prozent seines geringfügig angereicherten Urans außer Landes bringen lassen und die Anreicherung auf nicht-waffenfähige 3,67 Prozent begrenzt – und all dies für 15 Jahre. In einem Zusatzprotokoll unterwarf es sich "auf alle Ewigkeit" der schärfsten internationalen Überwachung, die es je gegeben hat. Die Gegenleistung sollte die Aufhebung der Sanktionen sein.
 
Der Vertrag hatte nie den Zweck, Irans destabilisierende Rolle im Mittleren Osten von Grund auf zu verändern: die Unterstützung des syrischen Diktators Baschar al-Assad und der schiitischen Kampfgruppen wie der Hisbollah im Libanon und der Huthis im Jemen zu beenden, die Aufrüstung zu bremsen und die Entwicklung von Raketenwaffen zu vereiteln. Darüber wollten Frankreich, England und Deutschland jetzt mit dem Iran verhandeln. Nach Trumps Ausscheren aus dem Vertrag ist kaum noch damit zu rechnen, dass sich der moderate, von den Hardlinern der Revolutionswächter schwer bedrängte, iranische Präsident Ruhani darauf einlassen kann. 
 
Es ist nicht nur das Iran-Abkommen
 
In der großkotzigen Erklärung, die Trump zur Aufkündigung des Abkommens abgab, kam ein Satz nicht vor: "Iran hat den Vertrag gebrochen." Es hätte ihm auch niemand außer Israels Premier Netanjahu und vielleicht noch der saudi-arabische Kronprinz abgenommen. Vertragsbrüchig war Trump selber, als er – ohne den Funken eines Beweises – gegen das Abkommen verstoßen hat, und weitere Sanktionen gegen Iran verhängte und noch schärfere ankündigte. Hört man sich die Erklärung des Präsidenten an, drängt sich einem unabweisbar der Eindruck auf, dass er auf regime change aus ist. Die Falken in seiner eigenen Umgebung, Sicherheitsberater John Bolton und der neue Außenminister Pompeo, scheinen sogar bereit, es letztlich auf einen Krieg ankommen zu lassen.
 
Trumps Abkehr von dem Abkommen trifft die Europäer besonders hart. Nicht nur, weil das Iran-Abkommen das Ergebnis einer Initiative der "E-3" war, nämlich Englands, Frankreichs und Deutschlands, der sich die anderen erst später anschlossen, sondern in erster Linie, weil sie im Vorgehen des Immobilien-Moguls im Weißen Haus das Ende einer Epoche erkennen, in der auf die Vereinigten Staaten Verlass war. Nicht von ungefähr ist allenthalben vom Ende des Westens die Rede. Trump verachtet die Weltordnung, die seine Vorgänger nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen haben. Schlimmer noch: Er zerstört sie mutwillig.
 
Mit Schumpeters kreativer Zerstörung hat dies nichts zu tun, denn Trump weiß nichts an die Stelle dessen zu setzen, was er sinnlos-brutal zertrümmert. Der große deal maker, als den er sich ausgibt, ist er nicht. Er ist ein notorischer Vertragsbrecher. Er hat mit dem Pariser Klimaschutzabkommen gebrochen, mit der Transpazifischen Partnerschaft (die Chinesen lachen sich ins Fäustchen), mit der nordamerikanischen Freihandelszone Nafta. Er hat die Nato für obsolet erklärt, die EU verhöhnt, sich auf die Welthandelsorganisation WTO als "schreckliche Katastrophe" eingeschossen. 
 
Im Streit mit China nimmt er einen regelrechten Handelskrieg in Kauf. In Israel ließ er die Botschaft nach Jerusalem verlegen, was eine neue Intifada auslösen könnte; gleichzeitig ermutigt er dadurch Netanjahu zur Kriegspolitik gegen den Iran. Nordkorea drohte er "Feuer und Zorn" und totale Vernichtung an, in vier Wochen will er mit Kim Jong-un über die Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel verhandeln. Aber weshalb sollte Kim seine Lebensversicherung aus den Händen geben, wo er doch weiß, dass auf Trumps Wort kein Verlass ist?
 
Was Europa tun muss
 
Von geschichtlich gewachsenen Beziehungen will Donald Trump nichts wissen. Er kennt nur "Transaktionen". Verbündete? Er stellt ihnen finanzielle Forderungen – der Nato, zuletzt aber auch am Golf, wo er die Saudis und die Emirate erst gegen Katar und den Iran aufgehetzt hat, sie dann mit Waffen vollstopfte und ihnen nun eine Rechnung von sieben Billionen – 7.000 Milliarden! – Dollar präsentiert. Etwas Positives hat er bisher weder im Inneren noch im Äußeren bewerkstelligt.
 
Vor einem Jahr sagte die Bundeskanzlerin im Bierzelt von Trudering: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen können, die sind ein Stück weit vorbei. Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen." In ihren Reden während der vergangenen Tage, bei der Karls-Preis-Verleihung in Aachen und beim Katholischen Kirchentag in Münster, sagte sie – an Trump gewendet, ohne ihn zu nennen – das Gleiche. Doch die Vokabeln "völlig" und "ein Stück weit" kamen nicht mehr vor.
 
Nichts könnte die heutige Realität besser beschreiben: Solange Trump im Amt ist, bleibt die transatlantische Interessen- und Wertegemeinschaft suspendiert. Vom "Totsein unserer Träume" spricht Rilke in einem seiner Gedichte und setzt hinzu: "Wer spricht von Siegen? Überstehen ist alles." Wolfgang Ischinger, Deutschlands prominentester Diplomat, drückt sich nüchterner aus: "Überwintern!"

Was aber kann, was sollte Europa nach Trumps Kündigung des Iran-Abkommens tun? Erstens: Es muss versuchen, das Abkommen zu retten. Zweitens: Es muss den Kollateralschaden abwenden, der infolge den amerikanischen Sanktionen für unsere Wirtschaft entsteht, indem es europäische Unternehmen schützt, die mit dem Iran Handel treiben – etwa durch Wiederbelebung der "Blocking Statutes", mit dem 1996 unseren Geschäftsleuten verboten wurde, sich an die US-Sanktionen gegen Iran, Kuba und Libyen zu halten. Drittens aber: Wir dürfen uns weitere Demütigungen durch Trump nicht mehr gefallen lassen. Und müssen auf Stil und Dekorum pochen.
 
So wäre es überfällig, das Weiße Haus wissen zu lassen, dass der Präsident von seiner widerwärtigen Küsserei Abstand nimmt, wenn er die Bundeskanzlerin trifft – und Abstand wäre hier ganz wörtlich zunehmen. Vielleicht könnte man ihm auch einmal sagen, dass seine ewige Selbstbeklatscherei uns ebenso wie die schmatzhafte Abbusselei peinlich an Chruschtschow, Breschnew und Erich Honecker erinnert. Ferner müsste sich Heiko Maas langsam überlegen, ab wann seine Formulierung von der "zunehmenden Feindseligkeit" Russlands auch auf Donald Trump zu münzen sein wird.
 
Auf jeden Fall sollte Maas bald den neuen amerikanischen Botschafter Richard Grenell einbestellen. Der hatte kaum deutschen Boden betreten, da twitterte er auch schon los: "Deutsche Firmen, die im Iran Geschäfte machen, sollten ihre Tätigkeit unverzüglich herunterfahren." Man sollte ihm sagen, dass er keine Termine mit Amtspersonen braucht, wenn er – wie sein Boss – Diplomatie per Twitter betreiben möchte. Und dass die Bonner Zeiten schon länger vorbei sind, in denen der US-Botschafter der Vizekönig der Bundesrepublik war.
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.