Heilige Schrift? Ich hätte da eine Idee Religionen sind schlecht für die Umwelt, das Miteinander und die Gleichberechtigung aller Menschen. Es wird Zeit für eine universelle Spiritualität. VON MATEJA MEDED |
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| | Die griechisch-orthodoxe Ostermesse 2018 in der Grabeskirche in Jerusalem © Gali Tibboni/AFP/Getty Images |
Immer wenn ich über Gesellschaften nachdenke, lande ich bei Religionen. Ich wurde in einem Land geboren, das in unserer Galaxie nicht mehr existiert, weil sich dort die Menschen aufgrund unterschiedlicher religiöser Überzeugungen gegenseitig vertrieben, totvergewaltigt, abgeschlachtet und in Konzentrationslagern gequält haben.
Das ehemalige Jugoslawien konnte mit der Vielfalt an Religionen nicht umgehen, was nichts Besonderes ist, da im Auftrag der Religionen seit Jahrhunderten Menschen getötet oder versklavt werden. Meine Familie ist ein ungläubiges Potpourri aus Glaubensrichtungen. So hatte ich das Glück, verschiedene Religionen aus der Nähe betrachten zu können. Dabei konnte ich auch beobachten, wie während des Krieges bei ein paar Familienmitgliedern die patriotischen Gedanken stärker wurden und im Gleichschritt die jeweilige Religion, obwohl sie davor gar keine Rolle gespielt hat. Nationalitäten und Religionen sind eine toxische Symbiose.
Religionen machen uns außerdem emotional abhängig und klein. In dem Film Das Leben des Brian gibt es diese großartige Szene, in der Brian oben am Fenster steht und dem Volk zuruft: "Ihr seid alle Individuen." Und das Volk antwortet im Chor: "Wir sind alle Individuen." Für mich ist das die beste Beschreibung einer Religion: Eine Masse spricht unisono Sätze nach, ohne darüber nachzudenken, was sie bedeuten.
Religion kann ein Plazentaersatz sein oder etwas Kosmisches, mit Gott an der Spitze. Dieser Gott (ein Er) schickt Zeichen oder ist immer da (die "väterliche Hand", die über einen wacht), besonders in schweren Momenten. Das verlagert die Verantwortung über die eigene emotionale Innenwelt nach außen, an "Gott". Um diesen Gott besser zu verstehen, gibt es einen Pastor = Hirte, Rabbi = Lehrer, Meister oder einen Imam = Vorsteher, Anführer. In einer Religion musst du durch jemanden gehen, um zur Wahrheit zu kommen. Im Religiösen zu Hause zu sein, bedeutet: jemand anders wird es schon richten. Der Messias wird uns retten. Doch Gott hat uns nicht erschaffen, wir haben Gott erschaffen. Deswegen kann er niemals die Verantwortung für uns, unsere Gedanken und unser Handeln übernehmen und dafür sorgen, dass es uns gut geht. Das müssen wir schon selbst tun.
Vermessenheit ist eines der Probleme von Religionen, ein anderes ist der Separatismus. "Wir müssen alle Juden töten, denn sie haben Jesus getötet", sagte Baba Milka, eine Frau aus einem kroatischen Fischerdörfchen, beim Sljivo-trinken zu mir. In Hongkong traf ich einen evangelischen Chinesen, der davon überzeugt war, dass alle Muslime Islamisten seien. Dann nahm er seine Gitarre und sang Lieder aus dem Tarzan-Musical. In Israel wollten drei erwachsene Frauen nicht mehr mit mir sprechen, weil ich es unverständlich fand, dass die israelische Regierung die Ehe meiner Freunde nicht anerkennt, nur weil der Mann Palästinenser ist. Überall auf der Erde trennen Religionen die einen von den anderen. Und gleichzeitig gibt es Bilder von Juden, die einen schützenden Kreis um betende Muslime bilden und umgekehrt. Doch anstatt sich gegenseitig zu beschützen oder zu bekämpfen, sollten wir uns alle vereinen und unsere Erde schützen.
Eid al-Adha, das islamische Opferfest, eines der höchsten islamischen Feste, fordert sogar Tieropfer. Das griechische Ostern ist ohne ein Stück Kälbchen auf dem Teller nicht vorstellbar. Menschen beten einen unsichtbaren Gott an und zerstören das sichtbar Göttliche, die Natur. Religionen sehen den Menschen als Krone der Schöpfung, weil sie angeblich als Ebenbild Gottes erschaffen wurden. Dabei würden wir sofort sterben, wenn auf einmal alle Pflanzen verschwinden würden. Zudem haben Pflanzen die radikalste und am innigsten verwurzelte Beziehung zur Erde, physisch und metaphysisch, oder um es in Emanuele Coccias Worten zu sagen: "Nie werden wir eine Pflanze verstehen können, solange wir nicht verstanden haben, was die Welt ist." In der universellen Spiritualität ist alles miteinander verbunden.
Divide et impera, genau das Gegenteil davon machen Religionen. Sie teilen Menschen von der Natur, von den Tieren und von sich selbst, indem sie behaupten: Mein Gott ist besser als deiner, oder: Wir sind das auserwählte Volk. Sie trennen auch in der eigenen Gemeinschaft, da Religionen patriarchal und konservativ sind. Die Heiligen Schriften haben das menschliche Geschlecht auf männlich und weiblich limitiert. Sie haben das gleiche Problem wie die Filmwelt, in der die meisten Frauenrollen von Männern geschrieben werden. Es gibt zu wenige Rollen, und die wenigen, die es gibt, sind passive Nebenrollen, zum Beispiel Maria, der Brutkasten Jesu. Die Hauptrolle hat meistens Gott, James Bond, Indiana Jones, ein Rabbi oder ein Imam.
Frauen werden über ihre Beziehung zum Mann definiert. Entweder sind sie die Ehefrau, die Mutter, die Schwester oder Tochter und sie stehen unter dem Mann und müssen gehorsam sein. Im Judentum ist die Frau nach der Geburt eines Sohnes für 33 Tage unrein, nach einer Tochter 66 Tage. Das liegt an der Beschneidung, die am achten Tag vollzogen wird – ohne das Einverständnis des Neugeborenen –, das Blut der Vorhaut verkürzt die Unreinheit der Mutter. Das heißt, dass das männliche Blut heilig ist, aber das weibliche Blut, Menstruation, Niddah, unheilig. Im Koranvers Sure 4 Vers 34 steht geschrieben, dass Frauen bestraft werden dürfen, wenn sie ihrem Mann gegenüber ungehorsam sind. Ich frage mich, ob der Prophet Mohammed diese Regel bei seinen circa 13 Frauen angewendet hat, von denen eine erst neun Jahre alt war. Die neunjährige Aisha dient übrigens mancherorts als Verteidigung für Kinderehen.
Ich würde gern die Heilige Schrift umschreiben: Am Anfang schuf Gott den Mann, und dann, aus seiner Rippe, die Frau. Und da erschien Nebel, und heraus kam noch eine Frau und sie erschuf sich eigenhändig ein Schwert und rammte es Gott in den Bauch und sprach: "Mich hat eine Frau erschaffen und nicht du. Und nun mach Platz und nimm deine Stockholmsyndrom-Frauen mit, denn jetzt kommen wir. Und wir bauen eine neue Welt, die auf Selbstliebe, Empathie und Sensibilität beruht und in der die Natur und die Tiere verehrt werden."
Mateja Meded studierte an der Filmuniversität Babelsberg. Sie arbeitet als Schauspielerin. Zur Zeit macht sie gerade ihren ersten Langfilm fertig, "Berlin Harlekin". Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". |
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Frauen schreiben jetzt auch abends. Montags, mittwochs, freitags. Immer um 10 nach 8. Wir, die Redaktion von 10 nach 8, sind ein vielseitiges und wandelbares Autorinnen-Kollektiv. Wir finden, dass unsere Gesellschaft mehr weibliche Stimmen in der Öffentlichkeit braucht.
Wir denken, dass diese Stimmen divers sein sollten. Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung. Aber wir halten Feminismus für wichtig, weil Gerechtigkeit in der Gesellschaft uns alle angeht. Wir möchten uns mit unseren LeserInnen austauschen. Und mit unseren Gastautorinnen. Auf dieser Seite sammeln wir alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen. |
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