Fünf vor 8:00: Von Trump vergrault - Die Morgenkolumne heute von Michael Thumann

 
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FÜNF VOR 8:00
18.05.2018
 
 
 
   
 
Von Trump vergrault
 
Wladimir Putin hat in Deutschland mehr Sympathisanten als Donald Trump. Das weiß auch Kanzlerin Angela Merkel, wenn sie am heutigen Freitag Russlands Staatschef trifft.
VON MICHAEL THUMANN
 
   
 
 
   
 
   
Angela Merkel trifft in Sotschi Wladimir Putin in einer neuen, historisch höchst delikaten Situation. Zwischen Europa und den USA liegt viel im Argen. Donald Trump zertrümmert mit erschreckender Systematik die Institutionen und das gegenseitige Vertrauen im Westen. Der letzte Schlag war der Bruch des von den USA und Europa ausgehandelten Atomabkommens mit Iran.
 
Für all das hat Putin ein besonderes Gespür, mit seiner Deutschland-Erfahrung und als Hobbyhistoriker. Er weiß, dass das globale Ringen der USA und der Sowjetunion um Europa im Kalten Krieg davon abhing, wer den großen Preis Deutschland bekam. Der Kompromiss war die Teilung, zementiert mit der von den Kommunisten gebauten und von den USA hingenommenen Mauer durch das Land. Nach 1989 ging das ganze Deutschland im Westen auf, was Putin rückblickend als Niederlage sieht. Der russische Präsident denkt – bei aller taktischen Spontaneität – in historischen Dimensionen. Und die Geschichte, die ist eben nicht zu Ende.
 
Schon beim Besuch von Außenminister Heiko Maas in Moskau in der vergangenen Woche zeigte sich Sergej Lawrow für seine Verhältnisse entspannt und bemüht um einen konfliktfreien Verlauf des Treffens. Wahrscheinlich wird auch der russische Präsident Merkel sehr gastfreundlich empfangen. Das zumindest raten Deutschlandkenner in Moskau Putin. Nie seit der Annexion der Krim 2014 hätten die Deutschen so viel Streit mit den USA gehabt. Russland und Deutschland teilten gemeinsame Interessen, in Iran, in Syrien, beim Pipeline-Bauen in der Ostsee.
 
Mehr Russland-Befürworter in Deutschland
 
In Deutschland selbst dreht sich derweil die Stimmung. Der klare, realistische Ton des neuen deutschen Außenministers gegenüber der Regierung in Moskau ändert nichts am zunehmenden Entsetzen der Deutschen über Trump. In Berlin ist der Stadtkommandanten-Tweet des neuen US-Botschafters ("Deutsche Unternehmen müssen ihre Aktivitäten in Iran eindampfen, sofort") wie eine Bombe eingeschlagen. Die Empörung über die USA ist einhellig, es fehlen die Gegenstimmen, die jedes Mal kommen, wenn Russland kritisiert wird. Da wird sichtbar, was Trump und seinesgleichen gerade in blinder Rage zerstören. Russland hat in Deutschland plötzlich mehr, die USA immer weniger Befürworter.
 
Dazu ein paar Zahlen: Nach der jüngsten Pew-Umfrage hatten 2017 ganze 11 Prozent der Deutschen Vertrauen in Trump, aber 25 Prozent Vertrauen in Putin. Auch nicht viel, aber: Den Weltfrieden sehen laut Forsa 79 Prozent durch Trump gefährdet und nur 13 Prozent durch Putin. Nach dem ARD-Trend vertrauen 30 Prozent der Deutschen Russland, aber nur noch 25 Prozent den USA – und das war noch vor dem Bruch des iranischen Atomabkommens durch die USA.

Diese Zahlen sind Momentaufnahmen, aber auf eine Stimmungswende sollten sich die USA in Deutschland besser nicht verlassen. Putin hat hierzulande viele Fans oder zumindest Leute, die gute, enge Beziehungen wünschen. Das fängt mit den radikalen Rändern (Linke und AfD) an und geht tief bis in die Mitte: die ostdeutschen Ministerpräsidenten und ihr Wahlvolk, die bayerische CSU, die Willy-und-Egon-Vermächtnis-Front in der SPD, die deutsche Wirtschaft mit Ostbindung. Und dann gibt es noch rund drei Millionen Russlanddeutsche. 
 
Die USA haben keine vergleichbare Basis in Deutschland. Die einzigen Parteien, die noch ein starkes transatlantisches Fundament haben, sind die CDU und wohl die Grünen. Auch in der SPD und FDP gibt es diverse Transatlantiker, aber man profiliert sich nicht mehr so gern mit Amerika. In Dresden und Rostock blüht die Russland-Ostalgie, aber dass Frankfurt, München und Stuttgart mal im amerikanischen Sektor lagen, merkt niemand mehr.
 
Natürlich pflegen Vereine und NGOs die transatlantischen Beziehungen, aber sie erreichen weniger die normalen Bürger. Die liberalen Eliten sind proamerikanisch, und ausgerechnet gegen sie und ihre Überzeugungen wütet Trump. Der Mann bekämpft Amerikas engste Verbündete in Deutschland. Das könnte Putin mit seinen russischen Kohorten nicht passieren.
 
Putin ist viel geschickter als Trump
 
Der US-Präsident pflegt derweil seine Ressentiments gegen die deutsche Wirtschaft und deutsche Exporte. Geplante US-Strafzölle werden die Fürsprecher Amerikas in den deutschen Konzernen treffen. Sie werden Trump zürnen, nicht Merkel. Putin ist viel geschickter. Seine Sanktionen gegen die EU-Lebensmittelindustrie lastet die bayerische Milchwirtschaft nicht ihm, sondern der Bundesregierung an. Manche Deutsche glauben gar den Fake-News, das Lebensmittelembargo käme von der EU.
 
Beide, Trump und Putin, spielen nur zu gern den Beleidigten. Doch interessanterweise funktioniert Putins Opfererzählung bestens in Deutschland, während Trump niemand glaubt. Viele Deutsche meinen mit Putin, dass die Nato-Osterweiterung und die Sanktionen falsch und ungerecht seien. Manche lasten gar Russlands Krieg gegen die Ukraine der Ukraine an. Trumps Klage indes, Deutschland habe mit seinem niedrigen Verteidigungsetat und seinem Exportüberschuss auf Amerikas Kosten gelebt, wollen hierzulande nur die wenigsten hören.
 
Die USA haben weiterhin Anziehungskraft
 
All das wird nicht gleich morgen zu einem Orientierungswechsel Deutschlands führen. Das Amerika jenseits von Trump hat nach wie vor starke Anziehungskraft. Und anders als zu Schaukelpolitik-Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschland heute Teil der EU und der Nato – und Frankreich kein Gegner, sondern unser engster Freund. Das gehört zum deutschen Selbstverständnis.
 
Aber es ist viel in Bewegung in der Welt. Die deutsche Amerikakritik würde noch einmal explosiv anwachsen, wenn die USA demnächst gegen Iran Krieg führten. Und anders als bei der russischen Invasion auf der Krim und in der Ostukraine wird es für US-Bomben auf iranische Atomanlagen keine deutsche Front der Verständnishaber geben.
 
Das ist die neue Großwetterlage, in der Merkel und Putin miteinander reden. Die Kanzlerin ist unverdächtig, ihm auf den Leim zu gehen. Aber dass sie mit Putin auf einmal gemeinsame Sorgen in der Welt hat, wird auf eigenartige Weise neu für sie sein.
 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.