Fünf vor 8:00: Das mit dem Plastik muss anders - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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FÜNF VOR 8:00
30.05.2018
 
 
 
   
 
Das mit dem Plastik muss anders
 
Den Streit über das geplante Strohhalmverbot kann man nur aus einem Grund ernst nehmen: Er zeigt, wie bizarr unser Umgang mit dem Umweltschutz ist.
VON PETRA PINZLER
 
   
 
 
   
 
   

Plastikstrohhalmverbot! Plastikstrohhalmverbot? Dass tagelang jede Menge kluger Kommentatoren das Für und Wider eines Verbotes von Strohhalmen abwägen würde, dass eine Kollegin über den Niedergang der Cocktailkultur jammert, weil sie ihren Batida Brasil vielleicht bald nicht mehr durch einen roten Halm trinken darf, und andere genau in diesem Verbot den ultimativen Einstieg in den Umweltschutz sehen – das hätte ich wirklich nicht für möglich gehalten.

Doch genau das ist in den vergangenen Tagen passiert, und seither frage ich mich: Merkt eigentlich noch einer was? Sollten wir nicht alle mal kurz in schallendes Gelächter ausbrechen – und uns den echten Umweltproblemen zuwenden: dem rasanten Tempo der Klimaerwärmung und den wahrscheinlich ziemlich üblen Folgen für viele Menschen, dem Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, der ständigen Versiegelung der Erde. Und ja, natürlich auch den wirklich großen Plastikmengen.

Ernst nehmen kann man den Streit über das geplante Halmverbot der EU-Kommission nur aus einem Grund – als Metapher. Weil er beispielhaft zeigt, wie bizarr unser Umgang mit dem Umweltschutz derzeit ist. Woran er krankt. Und warum das Verbot eines Plastikhalms zwar ein kleiner Schritt ist. Aber eben kein großer für die Umwelt.

Betrachtet man die Sache mit dem Halm von Anfang an, dann verlief sie bisher so:

Akt 1: Ein findiger Unternehmer stellt den Strohhalm, der bis dato aus Stroh war, aus Plastik her. Dieses Material ist schön bunt, vergleichsweise unkaputtbar und vor allem sehr billig. Also gibt es immer mehr davon. (So wie von vielen anderen praktischen, aber leider umweltschädlichen Produkten auch.) Hierzulande. Weltweit.
 
Akt 2: Plastik taucht immer häufiger auch da auf, wo es nicht hinsoll. Mikroskopisch klein im Salz, im Meer, an den Stränden, in der Arktis. In den Mägen von Riesenschildkröten, die sich dann satt fühlen und nicht mehr fressen. Und elendig verhungern.
 
Akt 3: Die dramatischen Berichte häufen sich. Und auch die Bilder von Plastikinseln im Meer, verendenden Tieren, Müllbergen am Strand. Also berichten die Medien viel, das Thema ist ja auch neuer als der Klimawandel. Die Bürger sorgen sich, längst stört sie kein anderes Umweltproblem stärker.
 
Akt 4: Die Politiker, in diesem Fall die EU-Kommission, wollen was tun, möglichst etwas schlagzeilenträchtiges. Die EU-Beamten schreiben eine "Kunststoffstrategie". Viel Analyse steht in dem Papier und viele komplizierte Vorschläge.
 

Akt 5: Die Kommentatoren lieben vor allem das Plastikstrohhalmverbot. Denn das ist so schön plakativ. Darüber kann man schreiben, ohne zu viel von dem restlichen EU-Papier lesen zu müssen. Darüber kann man spotten, oder es im Gegenteil als wichtigen ersten kleinen Schritt (der der Wirtschaft und dem Wachstum nicht zu sehr schadet) loben. Die Ideen lassen sich dann in ein paar Nebensätzen abhandeln. Die Kommission ist zufrieden, sie wirkt wie jemand, der was Ungewöhnliches gewagt hat. Der Vorhang fällt.
 
Akt 6 und folgende werden nun hinter den Kulissen spielen. Wie bei jeder Brüsseler Gesetzgebung, die die Umwelt betrifft, legen jetzt die Lobbyisten der Wirtschaft und ihre Verbündeten in den Parlamenten und in den Regierungen los. Sie werden in den kommenden Monaten wenig über die Strohhalme reden, stattdessen aber die vielen anderen Seiten an Kleingedrucktem und Gutgemeintem auseinandernehmen. Das tun sie gerade mit vielen geplanten Umweltregeln, den strengeren Abgasnormen für Lkw oder den wenigen grünen Ideen in der EU-Agrarpolitik. Das fällt ihnen so leicht, weil kaum ein normaler Mensch die komplizierten Vorschläge der EU verfolgen kann, die "Recyclingquoten", die "nationalen Zielvorgaben", die "Sensibilisierungsmaßnahmen" – und auch nur wenige Journalisten die Zeit und die Mittel dazu haben.
 
Am Ende, und das ist jetzt ein Prognose, wird die EU eine Plastikgesetzgebung haben, in der ein paar gute Ideen stecken, die aber ein dramatisches Problem wieder viel zu langsam angeht. Weil sie die Lösungen viel zu kompliziert bastelt. Weil sie sich nur bei kleinen Problemen wie dem Strohhalm wirklich was traut.
 

Dabei ginge es anders: beim Plastik, wie bei vielen anderen umweltschädlichen Stoffen. Die EU (unterstützt von der Bundesregierung) müsste nur einen sehr einfachen, sehr machtvollen Mechanismus nutzen: den Preis.

Die Sache ginge so: Wenn etwas zu viel produziert wird und das der Umwelt schadet, dann muss es teuer werden. Das gilt für Plastik (dessen Rohstoff Öl ist) genauso wie für CO2 oder Methan, das in der industriellen Landwirtschaft viel zu viel frei wird und dem Klima erheblich schadet. Würden nun Ölverbrauch, CO2-Ausstoß und Methanausstoß in der Produktion besteuert, würde auch das Endprodukt teurer. Der Plastikeimer, das Steak, das Auto würden so viel kosten, wie sie der Umwelt schaden.

Die EU hätte also beispielsweise in ihrer Kunststoffstrategie vorschlagen müssen: eine Steuer auf Öl. Oder eine auf Plastikprodukte. Das wäre einfach zu verstehen gewesen, und es würde einfach wirken. Man könnte es sogar leicht auf alle anderen Sektoren übertragen – und es hätte dann durchschlagende Wirkung. Es würde Europas Wirtschaft nach und nach wirklich umweltfreundlich machen. Und auch noch innovativ.

Denn umweltfreundliche Produkte würden vergleichsweise billiger.

Und die Barbesucher würden häufiger nach echten Strohhalmen greifen. Mit denen schmecken Cocktails übrigens auch.

   
 
   
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