Europa fühlt sich von Donald Trump gedemütigt. Auf seine Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran reagiert es entsetzt, zornig – und vollkommen hilflos. Diese Hilflosigkeit versucht es mit starken Worten zu kaschieren. Der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte vor dem Flämischen Regionalparlament: "Wir sind an dem Punkt angelangt, wo wir an die Stelle der Vereinigten Staaten treten müssen, die als internationaler Akteur ihre Kraft und deshalb langfristig ihren Einfluss eingebüßt haben." Das ist nun eine originelle Analyse der gegenwärtigen Situation. Rund um den Globus buhlen die Mächtigen um die Gunst Amerikas. Sie buckeln und sie busseln, als glaubten sie, sich die einzige Weltmacht so gewogen machen zu können. Selbst Chinas Herrscher Xi Jinping versuchte Trump bei dessen Besuch in Peking mit imperialer Prachtentfaltung zu umgarnen. Und Jean-Claude Juncker behauptet, die USA verlören an Kraft und Einfluss? Gerade wird in Italien eine Regierung aus Populisten und Rechtsextremen gebildet, die sich vor allem in einem einig sind, nämlich in ihrer Abneigung gegen Europa. Die Briten haben sich bereits aus der EU verabschiedet, heute in einem Jahr werden sie der Union nicht mehr angehören. Ungarn und Polen müssen immer wieder daran erinnert werden, dass auch für sie Demokratie und Rechtsstaat gelten. Dieses Europa soll den Platz Amerikas einnehmen? Die Wahrheit ist: Unser größtes Problem ist nicht Donald Trump, unser größtes Problem ist unsere eigene Schwäche.
Kommt da, wie eine List der Geschichte, Amerikas Absage an den Atomdeal mit dem Iran gerade zur rechten Zeit? Das zumindest hofft Wolfgang Ischinger, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Die gegenwärtige transatlantische Krise, sagt er dem Spiegel, sei "ein weiterer dramatischer Weckruf an die Europäische Union, sich endlich zusammenzureißen. Für das europäische Projekt kann ich mir keinen besseren Auftrieb wünschen als diese Erschütterung durch Trump." Zweifel sind erlaubt. Gerade hat die Kanzlerin wieder eine Gelegenheit verstreichen lassen, auf die Europa-Vorschläge Emmanuel Macrons eine kraftvolle, positive Antwort zu geben. In ihrer Laudatio bei der Verleihung des Karlspreises an den französischen Staatspräsidenten schwärmte sie zwar vom "Zauber Europas", doch da, wo es wichtig wird, bei der Finanz- und Wirtschaftspolitik, wurde sie wieder nicht konkret. Vor fast einem Jahr hatte Angela Merkel, frustriert von Trumps Auftritten bei Nato und G7, im Bierzelt von Trudering gesagt: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei. Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigenen Hände nehmen." Aber wer, bitte, will das in Europa tatsächlich? Wer tut alles dafür, um gemeinsam handeln zu können? Die einen öffnen ihre Grenzen für Flüchtlinge, die anderen wollen möglichst keinen einzigen Fremden aufnehmen. Die einen halten solide Staatsfinanzen für die höchste politische Tugend, die anderen warnen, Haushaltsüberschüsse dürften kein "Fetisch" sein. Überall herrscht die Furcht, Wahlen ließen sich nur mit nationalem Egoismus gewinnen. Dabei hat Macron mit seinem Wahlsieg über Marine Le Pen gezeigt, dass es die Begeisterung für Europa immer noch gibt, man muss sie nur wecken wollen. Auch in Deutschland wächst Umfragen zufolge die Zustimmung zur EU. Wenn daraus politisch so wenig folgt, dann ist das volle Maß des Schmerzes, das uns Trumps brutale Machtpolitik zufügt, offenbar noch nicht erreicht. Oder, zweite Möglichkeit, wir haben uns eingerichtet in der Arbeitsteilung: Für die Amerikaner die Weltpolitik, für die Europäer der Weltschmerz. "Den Westen, den gibt es nicht mehr", sagte der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Noch ist es nicht so weit. Doch käme es dazu, dann sollte wäre die Schuld dafür nicht allein in Washington suchen. Dann hätten auch wir Europäer den Westen verspielt, durch eigenes Versagen. |
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