10 nach 8: Ivana Sajko über Kroatien

 
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07.05.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Die Warnung der Mägde
 
Häusliche Gewalt muss bekämpft werden. Klare Sache? In Kroatien protestieren Ultrakonservative: Das würde die Rollenbilder von Mann und Frau gefährlich stören.
VON IVANA SAJKO

Die Frau als des Mannes Magd? Demonstrantinnen am 10. Februar im kroatischen Zagreb © Xinhua/imago
 
Die Frau als des Mannes Magd? Demonstrantinnen am 10. Februar im kroatischen Zagreb © Xinhua/imago
 

Im Februar dieses Jahres bekam ich aus Kroatien die Nachricht: "Unterstütze uns! Die Mägde erheben sich!" Einige Tage danach defilierte eine kostümierte Kolonne durch Zagreb. Frauen hatten sich in Gewänder gehüllt, die nach dem Vorbild der Kostüme aus der Fernsehserie Der Report der Magd geschneidert waren; als Vorlage für diese Serie diente der dystopische Roman von Margaret Atwood über eine Gesellschaft, in der Frauen auf Reproduktionsmaschinen reduziert sind. Begleitet war die Kolonne von schwarz gekleideten Trommlerinnen. Auf einem der Stadtplätze schlossen sich ihnen Aktivistinnen verschiedener zivilgesellschaftlicher Vereine an, die mit lauter Stimme Ausschnitte aus der Istanbuler Konvention vorlasen – einem internationalen Dokument des Europarats, in dem Vorschläge zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gemacht werden.

Dieses Dokument wartet seit 2013 auf seine Ratifizierung durch das kroatische Parlament. Beinahe als direkte Antwort auf den provokativen Auftritt der Mägde forderte die Kroatische Bischofskonferenz das Parlament auf, sich gegen die Ratifizierung der Konvention zu stellen. "Die eigene Stimme FÜR die Ratifizierung der Konvention zu geben, würde unter anderem die Türe für etwas öffnen, das im Gegensatz zur menschlichen Existenz steht, zum Gesetz der Natur und zu grundlegenden Werten des christlichen Glaubens und der christlichen Kultur, und das wir als verheerend für die Familie, für das demographische Wachstum des Volkes und für die Erziehung der neuen Generationen betrachten", schrieben die Bischöfe und warnten vor dem Gespenst der sogenannten Gender-Ideologie, die in diesem Dokument verborgen sei.

Einige Monate zuvor erkannte auch die Kroatische Akademie der Wissenschaften und Künste im Dokument des Europarats eben diese Gender-Ideologie, die sie als vollständig inakzeptabel bewertete, weil sie der kroatischen Bildungs- und Erziehungstradition entgegenstehe. Das vermeintlich pseudowissenschaftliche Konstrukt der Gender-Ideologie wurde somit zum multifunktionalen Werkzeug in den Händen der neuen Konservativen. Sie nutzen dieses Konstrukt, um Antidiskriminierungsmaßnahmen zu bekämpfen – etwa das Recht auf Abtreibung, Sexualkunde im Schulunterricht oder eben die Einführung von konkreten Maßnahmen zum Schutz von Frauen vor Gewalt und Diskriminierung. Die Auflösung stereotyper Rollen wurde als Angriff auf kulturelle Werte und religiöse Weltanschauung gedeutet.

Ende März folgte eine sehr große ultrakonservative Versammlung in Zagreb, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen, die im Begriff war, die Istanbuler Konvention ratifizieren zu lassen. Aus allen Landesteilen kamen Busse in die Hauptstadt und die katholischen Vereine, die die Demonstration organisiert hatten, boten danach – als Bestandteil des Ausflugs – einen Besuch bei Ikea an. Die populistischen Tricks zeigten ihr brutalstes, aber auch banalstes Gesicht: Die aufgewühlte Menge, die sich in den Kampf für die Kultur und den Glauben stürzt, der blaue Flecken auf Frauenkörpern in Kauf nimmt, wurde mit dem Versprechen gelockt, nach der Schlacht die Filiale des schwedischen Möbelproduzenten besuchen zu können. Die Bischöfe jedoch unterstützten diese Versammlung mit den Worten, die Kirche akzeptiere "die Kolonisierung" nicht, "welche in die Anthropologie eindringt, auf der die Identität aufgebaut wird".

Die rhetorischen Triebwerke vom Typus "Identität" und "Kolonisierung", untermauert durch die Legitimität der Kirche, die in Kroatien aggressiv weltliche politische Positionen für sich verlangt und sie offen für einen katholischen Staat anstelle einer demokratischen Gesellschaft einsetzt, verweisen auf den Widerstand gegen die Istanbuler Konvention. Es sind die radikal rechten, auf das Eigene beschränkten Interessen, die sich dagegen sträuben, an gemeinsamen europäischen Projekten teilzunehmen, selbst dann, wenn es sich um die Hinterfragung von Vorurteilen handelt, nach denen Frauen gesellschaftlich minderwertig sind.

Obwohl keiner der einigen Tausend verärgerten und panischen Demonstranten eine Antwort auf die Journalistenfrage geben konnte, was diese Gender-Ideologie kennzeichne, die ihre nationale und religiöse Identität bedrohe, war eine heftige und kohäsive Hysterie entstanden. Eine Hysterie, die mit dem Finger auf den Europarat und das Konzept des gemeinsamen Europas zeigte, das im Zuge der Massenparanoia zu einem bedrohlichen symbolischen Ort wurde, an dem verdächtige Ideen über die Rechte von Minderheiten entstehen, die angeblich die Mehrheit bedrohen, und an dem die Demokratie zur Dekadenz zerfließt.

Jedes Jahr sterben 30 bis 40 Kroatinnen infolge von Gewalteinwirkung

In Kroatien und in anderen traditionell patriarchalen Ländern des südöstlichen Europas ist die Ungleichberechtigung tief verwoben mit der Kultur und den Bräuchen. Das kommt den autoritären Geistern einer starren und nicht modernisierten Kirche bestens zupass, da sie nur die Komplementarität, aber keine Gleichberechtigung des Mannes und der Frau anerkennen. 
Ausgerechnet in den Berggebieten des westlichen Balkans hielt sich bis zum 20. Jahrhundert die Tradition der Virginen, der Mädchen und Frauen, die männliche Genderrollen übernahmen, die sich wie Männer kleideten, ihre Haare kurz schnitten und sich wie Männer gebärdeten, was sie zum Tragen von Waffen und zur Teilnahme an Entscheidungen berechtigte. In einer Erzählung des modernistischen Schriftstellers Dinko Šimunović, die in den kroatischen Schulen gelesen wird, erfahren wir die erschütternde Geschichte des Mädchens Srna, die nach den strengen Regeln für Töchter erzogen wurde. Srna versucht, unter dem Regenbogen hindurchzulaufen, da sie nach einem alten Glauben so zu einem Jungen werden und damit die Freiheit erlangen könne, die es für Mädchen nie geben wird. Bei diesem Versuch kommt Srna um.

Die tragische Geschichte dieses Teils von Europa wurde auch im Krieg nach dem Zerfall Jugoslawiens fortgeschrieben, bei dem die patriarchalische Aufteilung der Geschlechter männliche Krieger hervorbrachte, die einen Teil des Kampfes um das Territorium auf vergewaltigten weiblichen Körpern austrugen. Mehr als 20 Jahre danach verweist der Bericht der staatlichen Gleichstellungsbeauftragten für das Jahr 2017 darauf, dass in Kroatien jedes Jahr 30 bis 40 Frauen infolge von Gewalteinwirkung sterben. Die Opfer von Gewalt in der Familie greifen dabei selten auf die Hilfe der zuständigen Institutionen zurück, da diese sowieso nicht im Stande sind, sie zu schützen. 

Die kroatischen Mägde stehen nicht aus Angst vor der Zukunft auf, sondern gegen die konkrete und vom System ermöglichte Gewalt. "Nationen gründen niemals offen radikale Regierungsformen auf Fundamenten, die nicht bereits vorhanden sind", warnte schon Margaret Atwood.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer

Ivana Sajko ist eine kroatische Prosa- und Theaterautorin, die in Berlin lebt. In deutscher Übersetzung sind bisher erschienen: "Rio bar" (2008), "Archetyp: Medea. Bombenfrau. Europa: Trilogie" (2008), "Trilogie des Ungehorsams" (2012), "Auf dem Weg zum Wahnsinn (und zur Revolution) Eine Lektüre" (2014) und "Liebesroman" (2017). Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".


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