Fünf vor 8:00: Steckt in dem Rüpel ein gewiefter Stratege? - Die Morgenkolumne heute von Matthias Nass

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.
 
 
 
   
 
 
 
FÜNF VOR 8:00
02.05.2018
 
 
 
   
 
Steckt in dem Rüpel ein gewiefter Stratege?
 
Vielleicht wurde Trump unterschätzt: Im Konflikt um Nordkoreas Atomprogramm hat der US-Präsident manches richtig gemacht. Aber es ist viel zu früh, den Frieden zu feiern.
VON MATTHIAS NASS
 
   
 
 
   
 
   
Nein, den Friedensnobelpreis wird Donald Trump so schnell nicht bekommen, auch wenn er selbst natürlich der Meinung ist, er habe ihn verdient. Ach, wie genoss er es, als bei einer Kundgebung in Michigan seine Anhänger skandierten: "Nobel! Nobel!" Nicht doch, wehrte er geschmeichelt ab, ich mache nur meinen Job.
 
Klar, dass seine Hardcore-Fans ihm zujubeln. Überraschender ist, dass rund um die Welt plötzlich die Frage hin und her gewendet wird: Haben wir diesen amerikanischen Präsidenten unterschätzt? Steckt in dem Rüpel ein gewiefter Stratege, verbirgt sich hinter dem Kriegstreiber ein hemdsärmeliger Friedensstifter? Ist er gar nicht so blöd, wie wir alle glauben?
 
Wir sollten uns das Gehirn nicht allzu sehr zermartern. Dieser Präsident ist kein Churchill, kein Metternich, auch kein Kissinger. Er ist ein Rabauke, der allenfalls einen Sinn dafür hat, wie Diktatoren und sogenannte "starke Männer" ticken. Er spricht ihre Sprache und fühlt sich wohl in ihrer Nähe.  Warum soll man mit Putin, Erdoğan, Xi Jinping oder Kim Jong Un keine Geschäfte machen können? Wo ist das Problem?
 
Und so hat er sich im Konflikt um das nordkoreanische Atomprogramm für den "maximalen Druck" entschieden, der nun tatsächlich Früchte zu tragen scheint – anders, man muss es leider sagen, als Barack Obamas Politik der "strategischen Geduld".
 
Dank an den guten Freund
 
Immer schärfere Wirtschaftssanktionen und der Aufbau einer glaubwürdigen Kriegskulisse haben Kim Jong Un einlenken lassen. Auch die Entschlossenheit Trumps, China nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Hätte nicht Xi Jinping die vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen mit großer Härte umgesetzt, Kim Jong Un und Südkoreas Präsident Moon Jae In hätten sich am vergangenen Freitag in Panmunjom nicht in den Armen gelegen. Trump dankte seinem "guten Freund" Xi dafür aufrichtig und hatte auch allen Grund dazu.

Anders als Trump ist Moon Jae In, der den US-Präsidenten nun als Anwärter auf den Nobelpreis umgarnt, tatsächlich ein Diplomat von Statur. Der linksliberale ehemalige Menschenrechtsanwalt wusste um das Misstrauen in Washington ihm gegenüber. Aber ohne die Amerikaner konnte es nun einmal keine Entspannung auf der koreanischen Halbinsel geben.
 
Also beteiligte sich Moon an der Politik des "maximalen Drucks", schaffte ein US-Raketenabwehrsystem an, das er eigentlich nicht wollte, führte gemeinsame Militärmanöver mit den Amerikanern durch und ließ so an seiner Bündnistreue nicht den geringsten Zweifel aufkommen.
 
So viel Diplomatie war nie
 
Es war Moon, der die Gunst der Stunde nutzte, und der nun mit aller Energie den Entspannungsprozess vorantreibt. Die diplomatischen Bemühungen legen in diesen Tagen noch einmal an Tempo zu. Mitte der Woche reist Chinas Außenminister Wang Yi nach Pjöngjang. Am 9. Mai trifft Japans Premier Shinzo Abe sich in Tokio mit Moon und dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang. Anschließend reist Moon nach Washington weiter, um mit Trump dessen Gipfel mit Kim Jong Un vorzubereiten.
 
So viel Diplomatie war nie – ein Riesenfortschritt, bedenkt man, dass noch vor einem halben Jahr die koreanische Halbinsel am Rande des Krieges zu stehen schien. Nun sprechen Nord- und Südkorea in ihrer Panmunjom-Erklärung von einer "kompletten Denuklearisierung" und von einem Friedensvertrag, der das Waffenstillstandsabkommen von 1953 ablösen und den Koreakrieg damit offiziell beenden soll.
 
Wohl noch in diesem Monat werden sich dann auch Trump und Kim treffen. Trump wünscht sich eine "große Feier". Und vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn er sich vor allem um die Inszenierung kümmert und die Details den Fachleuten überlässt.
 
Nur keine Zugeständnisse!
 
Von den Details nämlich versteht er wirklich nichts. Es wäre töricht, sich im Überschwang des Augenblicks auf Zugeständnisse einzulassen. Schnell kann das Erreichte wieder zuschanden werden, so wie es in der Vergangenheit oft genug geschehen ist.
 
Der Grundwiderspruch zwischen den Positionen Nordkoreas und der USA bleibt ja bis heute unverändert. Für den Norden sind die Atomwaffen die wichtigste Lebensversicherung, sie aufzugeben würde den Bestand des Regimes gefährden. Die USA wiederum verlangen von Nordkorea unverändert eine "vollständige, überprüfbare und unumkehrbare" atomare Abrüstung. Nur in sehr langen Verhandlungen wird es möglich sein, hier einen Kompromiss zu finden. Wenn überhaupt.
 
Deshalb, so anrührend die Bilder aus Panmunjom gewesen sein mögen: Für eine Friedensfeier ist es viel zu früh. Und den Nobelpreis sollte man ganz schnell wieder vergessen. Oft genug schon ist er dem Falschen verliehen worden.
   
 
   
ANZEIGE
 
 
 
 
Nur für Newsletter-Abonnenten
 
   
 
   
SERIE
 
 
 
 
FÜNF VOR 8:00
Die Morgenkolumne auf ZEIT ONLINE
 
 
Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.