Freitext: Dana Grigorcea: Sind Künstler die besseren Menschen?

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.

 

01.05.2018
 
 
 
 
Freitext


Sind Künstler die besseren Menschen?
 
 
Als Kind schlich ich mich heimlich in die Kulisse der Bukarester Oper. Hier lernte ich, wie Kunst uns zu empathischen Wesen macht. Gilt das umso mehr für die Künstler?
VON DANA GRIGORCEA

 
© Peter Lewicki/Unsplash
 

Ich öffnete die Tür und wusste gleich, dass ich nicht hineindurfte, aber ich trat dennoch ein, schritt durch dieses Dunkel, worin ich erst nach und nach die Dinge wahrnehmen konnte, den Tisch da, die Stühle dahinter, die Kleiderständer. Ich vernahm die Atemzüge der Künstler, die zum Licht eilten, zur Bühne. Ich stieß mich nirgends, ging schnurstracks auf die linke Seite der Bühne, gleich neben den samtenen Vorhang und natürlich von diesem verdeckt, den Kopf stützte ich an der dicken Kordel ab, mit der der Vorhang festgezurrt war; ich lehnte mich so weit in den gerafften Vorhang vor, dass ich mich in seinen Falten unsichtbar wähnte. „Wenn du in die Kulisse willst, musst du selbstbewusst tun und geschäftig, dann hält dich niemand auf“, hatte mir ein Mädchen gesagt, mit dem ich, zwei Stockwerke höher, den Kinderballettunterricht in der rumänischen Staatsoper Bukarest besuchte. Von da an lief ich nach dem Unterricht die Treppe hinunter und stahl mich durch die verbotene Tür in die Vorstellung.
 
Und weil das klappte, wurde ich immer dreister, ich erschien jeden Tag, an dem Vorstellung war, in diesem Hintereingang, und zwar weit vor Beginn der Vorstellung, und begann, die Opernmitarbeiter, an denen ich mich zuvor noch angsterfüllt vorbeigeschlichen hatte, zeremoniös zu grüßen. Alle grüßten zurück, äußerst freundlich, manche tätschelten mir, dem Schulmädchen, den Kopf. Ich war sicher, dass sie mich verwechselten, dass sie also dachten, ich sei das Kind von jemand Wichtigem, die Nichte des Direktors – oder auch nur die Tochter des Repetitors.
 
Wir wohnten in Bukarest gleich gegenüber der rumänischen Staatsoper, von der mich nur eine große, damals allerdings nur sehr schwach befahrene Straßenkreuzung trennte und der kleine Park, der nachts spärlich beleuchtet und der für mich jener gefährliche Märchenwald war, in dem Hexen, Menschenfresser und Securitate-Agenten mit gezückten Bajonetten lauerten. Dort war es am besten, einer Gruppe von Passanten dicht zu folgen. Im Dunkeln aber fanden das die meisten unangenehm und drehten sich oft nach mir um. Also tat ich am Parkeingang so, als würde ich mich gemächlich und nichtsahnend auf einen Spaziergang begeben, nur um von einem bestimmten Punkt an im Zickzack zu rennen, so schnell ich nur konnte, hin zum beleuchteten Operneingang.
 
Eine lang vermisste Harmonie
 
Wie hässlich ich schon damals die Basreliefs auf der Fassade fand, die muskulösen Gestalten mit der finsteren Miene, die doch Sänger und Tänzer repräsentieren sollten, in Wahrheit aber Abgesandte des kommunistischen, kunstverachtenden Kollektivs waren! Ich lief um das Gebäude herum, dorthin, wo ich den Hintereingang wusste und endlich aufatmen konnte, wenn mich die Portière herzlich begrüßte. „Beeil dich, es fängt gleich an!“, rief sie mir zu.

...

Den ganzen Freitext lesen Sie auf ZEIT ONLINE.


Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich.
  VERLAGSANGEBOT
Lesegenuss pur!
Lesegenuss pur!
Lernen Sie jetzt DIE ZEIT als E-Paper, App, Audio und für E-Reader kennen! Lehnen Sie sich zurück und erleben Sie die neue Art des ZEIT-Lesens. Mehr erfahren >>