| Wolli verband Welten
Wolli Köhler war vermutlich die einzige Kiezgröße, die von einem sozialistischen Bordell auf St. Pauli träumte. Allein das wäre wohl Grund genug gewesen, den im vergangenen Jahr gestorbenen Weltenbummler, Künstler, Intellektuellen und Lebemann zu interviewen, der Ende der 1970er Jahre auch noch Puff-Boss war. Der Schriftsteller Hubert Fichte übernahm den Job und führte über Jahre Gespräche mit Köhler. Gesammelt wurden sie in dem Werk »Wolli Indienfahrer«. Auch Rocko Schamoni, Hamburger Tausendsassa, der am kommenden Mittwoch im Schauspielhaus unter anderem mit Schauspielerin Lina Beckmann und »Tagesschau«-Sprecherin Linda Zervakis Einblicke in Wollis Welt gibt, ist fasziniert von Wolli Köhler, zu dem er eine ganz besondere Verbindung hatte. Elbvertiefung: Herr Schamoni, die Zeiten der alten Kiezgrößen sind vorbei. Was sagen uns heute noch Puff-Interviews aus den 1970er Jahren? Rocko Schamoni: Mich interessiert daran vor allem der Freiheitsbegriff. Die Interviews fanden damals in der Großen Freiheit statt, einem Ort, an dem es zuvor schon die Zunftfreiheit gegeben hatte und später auch die Religionsfreiheit. Dann kamen das Varieté und die Prostitution. Später musste um die Freiheit zwar wieder gerungen werden, aber was die freiheitliche Liebe angeht, gab es bei Wolli und Hubert Fichte immer einen viel größeren Wagemut, als das heute der Fall ist, eine größere Offenheit für Sexualität, Sexualpraktiken, gleichgeschlechtliche Liebe. Und Fichte hat damals als Einziger einen Blick in eine Welt geworfen, die tabu war.
EV: Und heute? Schamoni: Ich sehe wenige Schriftsteller, die sich in diese Bereiche wagen. Und viele Menschen leben ein offenes Liebesleben, aber kaum einer spricht darüber. Ich weiß außerdem nicht, inwieweit heutige Größen auf dem Kiez auch politisch denken, so wie Wolli es tat. Die Leute damals haben viel stärker geforscht. Durch die Rückbesinnung auf altbackene Werte wie das Häusliche, Treue und die Ehe existiert das heute nicht mehr in dieser Form. Auch die Verbindung zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten war früher viel stärker ausgeprägt. Heute gibt es ein Aufeinandertreffen von Intellektuellen mit dem Kiezmillieu gar nicht mehr. Das ist ein No-go-Bereich.
EV: Was fasziniert Sie so an der Person Wolli Köhler? Schamoni: Er war einfach eine außergewöhnliche Gestalt, ein Anarchist mit vielen freiheitlichen Ansätzen, mein Interesse verbindet sich in erster Linie mit seiner Figur. Er hat verschiedene Welten miteinander verbunden. Und er war Puff-Boss, kein Zuhälter. Das ist ein Unterschied.
EV: Sie haben Wolli Köhler noch ein Stück auf seinem Lebensweg begleitet, bevor er 2017 mit 85 Jahren in Hamburg-Rissen gestorben ist. Wie kam der Kontakt zustande? Schamoni: Dabei ist der Maler und Künstler Heino Jaeger die Kernfigur. Über die Beschäftigung mit ihm und seinem Freund Michael Mau bin ich in einem Film auf Wolli gestoßen. Sie saßen in den Siebzigern bei ihm und zeichneten jede Nacht. Dann habe ich mich auf die Suche nach Wolli begeben und durfte ihn in seiner Wohnung in Rissen treffen, wo er mit seiner Frau Linda lebte. Wir haben uns angefreundet, teilweise war ich alle zwei Wochen bei ihm. Nach seinem Schlaganfall habe ich ihn telefonisch in einem Krankenhaus ausfindig gemacht und besucht. Leider ist er dann sehr schnell gestorben.
EV: Sie klingen so, als sei die Verbindung eng gewesen. Schamoni: Ja, für mich war sie das. Ob für ihn auch, das kann ich nicht sagen. Jedenfalls durfte ich ihn noch eine Zeit lang besuchen, als er sich von anderen schon zurückgezogen hatte.
EV: Bei dem Abend im Schauspielhaus wird die Zuschauer höchstwahrscheinlich auch der ein oder andere derbe Ausdruck erwarten. Könnte sich jemand vor den Kopf gestoßen fühlen? Schamoni: Aus meiner Sicht nicht. Ich weiß aber von Linda Zervakis, dass sich Leute echauffiert haben, nachdem sie die Ankündigung des Abends bei Facebook gepostet hatte. Nach dem Motto: Warum gibt es so einen Abend überhaupt, das sei doch ein brutaler Zuhälter gewesen. Es geht aber gar nicht darum, Zuhälterei schönzufärben. Sondern darum, Licht in Bereiche unserer Gesellschaft zu bringen, die anders sind und mit denen sich sonst niemand auseinanderzusetzen wagt.
Roma-Café in Wilhelmsburg: Miteinander gegen Vorurteile
Seit neun Jahren lebt Zumreta auf der Veddel. Wie lang die 50-Jährige noch in Deutschland bleiben kann, weiß sie nicht, denn wie so viele Roma ist sie nur mit einer Duldung in Hamburg. In ihre Heimat Montenegro will sie nicht zurück, weil sie dort Gewalt und Ausgrenzung erlebte. Während Zumreta um ihr Bleiberecht kämpft, hilft sie anderen im »Romani Kafava« in Wilhelmsburg, einem Café der besonderen Art: Es wird von Roma selbst verwaltet. Dort können sie über ihre Probleme sprechen, Kaffee trinken oder Musik machen – im Austausch mit Anwohnern. Das Café finanziert sich über Spendengelder und kooperiert mit dem Flüchtlingsrat, New Hamburg und der Poliklinik Veddel. Zumreta, die fließend Deutsch spricht, berät andere Roma und begleitet sie zu Behördengängen. »Es gibt zu wenig Treffpunkte für Roma in Hamburg, in denen sie in Kontakt mit Deutschen kommen«, sagt Zumreta. »Dabei helfen Begegnungen, Vorurteile abzubauen. Wir erleben noch immer oft Diskriminierung im Alltag, viele denken, alle Roma wären kriminell und faul.« Vorurteile abbauen und aufklären, das ist auch die Idee hinter dem »Internationalen Tag der Sinti und Roma« am 8. April. Das Bürgerhaus Wilhelmsburg lädt zum »Elbinsel Gipsy Festival«. Und Zumreta wird auf die Straße gehen, bei der »Roma-Parade«, die am Sonntag ab 14 Uhr durch Wilhelmsburg ziehen wird. »Es ist wichtig, dass wir unsere Kultur feiern«, sagt sie. »So zeige ich meinen Kindern, dass sie sich nicht dafür schämen müssen.« Das Roma-Café in der Mokrystraße 1 ist jeden Freitag ab 15 Uhr geöffnet. | |
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