10 nach 8: Annett Gröschner über "Montags in Dresden"

 
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13.04.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Der Osten klebt am Schuh
 
Der Dokumentarfilm "Montags in Dresden" lässt drei Pegida-Anhänger zu Wort kommen. Kommentiert werden ihre Ansichten kaum. Ist das skandalös oder genau richtig?
VON ANNETT GRÖSCHNER

Szene aus Sabine Michels Dokumentarfilm "Montags in Dresden" © Solo:film
 
Szene aus Sabine Michels Dokumentarfilm "Montags in Dresden" © Solo:film
 

Wer die schwere Tür des Geschäftshauses in der Berliner Mohrenstraße 63 öffnet, tritt in die Vergangenheit. Nicht nur, weil der Vorsitzende der deutschen Burgenvereinigung Bodo Ebhardt das Haus vor hundert Jahren für die Allianzversicherung im Stil eines Neorenaissancetempels erbaut hat, sondern auch, weil im Windfang noch ein richtiger Pförtner sitzt und aussieht, als würden wir das Jahr 1989 schreiben und ein paar Häuser weiter, im Internationalen Pressezentrum in der Nr. 36/37, läse Schabowski gerade die neuen Reiseregelungen vor.

An der Stirnseite des Foyers ist die Zeit als Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft in Kratzputz konserviert. Ein Ingenieur gibt einem Stahlarbeiter einen Plan, die beiden um einen Kopf kleineren, fröhlich-kumpeligen Frauengestalten sind den Produkten in ihren Armen nach auf dem Feld und im Garten tätig. Es riecht ziemlich penetrant nach DDR, weil im ganzen Haus der alte PVC-Fußboden liegt, das gleiche Muster, das ich noch aus meiner Hochhaus-Kindheit kenne. Seltsam, ausgerechnet hier, gleich neben dem Regierungsviertel von Berlin-Mitte, wo die Bodenpreise ins Unermessliche steigen, noch so ein unrenoviertes Refugium zu finden. Der Fahrstuhl ist kaputt. Auf dem Weg zur Produktionsfirma Solo:film in einer der oberen Etagen komme ich an den Räumen des Deutschen Kulturrats, der Urheberrechtsinitiative und diversen anderen Kulturbüros vorbei.

Was schiefgegangen ist bei der Wiedervereinigung

Eigentlich hatte ich mich mit der Dokumentarfilmerin Sabine Michel anlässlich des bundesweiten Kinostarts ihres jüngsten Dokumentarfilms Montags in Dresden verabreden wollen, aber nun treffe ich sie zur Aufführung des Films beim Festival Achtung Berlin, wo er im Wettbewerb läuft. Hinter ihr liegen turbulente Wochen, seitdem der Film im November auf dem Internationalen Filmfestival Dok Leipzig Weltpremiere hatte. Sabine Michel begleitet in ihrem Film drei überzeugte Pegida-Anhänger, zwei Männer und eine Frau, über mehr als ein Jahr durch ihr Leben und auf die Dresdener Montagsdemonstrationen, lässt sie sprechen und hält sich mit Kommentaren zurück. Der Film wurde kontrovers aufgenommen.

Es ist nicht der erste Dokumentarfilm, den Sabine Michel über den Osten gemacht hat. Es ist ihr Lebensthema und in gewisser Weise verbindet uns das.

Für Take a picture – Die Fotografin Sibylle Bergemann erhielt sie 2012 einen Grimme-Preis. Ihre eigene Geschichte hat sie 2013 in Zonenmädchen verarbeitet, in dem fünf Frauen, unter anderem die Filmemacherin, ihre Zeit seit dem Abitur im Dresden des Jahres 1990 rekapitulieren. Wie viel Zone steckt noch in uns, fragte sie, und die Antworten fielen unterschiedlich aus. Ich habe mir so einen Start in eine völlig andere Gesellschaft für Leute, die gerade erwachsen geworden sind, viel unbeschwerter vorgestellt als für die Älteren. Man trug kaum Ballast mit sich herum und hatte noch keine falschen Entscheidungen getroffen. Man konnte durchstarten und die Herkunft war in der Fremde kein Problem, man war ja nicht mehr an den Schuhen erkennbar. Aber unsere Herkunft holt uns, egal wie alt wir bei der Wende waren, seit 30 Jahren immer wieder ein, selbst wenn wir sie verleugnen. Uns klebt der Osten am Schuh, ob wir nun Arbeitsschuhe oder Manolo Blahniks tragen.

Jede von uns weiß, warum sie aus der ostdeutschen Provinz weggegangen ist, ins Offene, in die Welt oder um das Weite zu suchen. Und jede hat Bekannte oder Verwandte, die dageblieben sind und Parteien wählen, gegen alles stehen, was wir selbst an Werten verkörpern. Es ist Teil unserer Arbeit, darüber nachzudenken, was schiefgegangen ist bei der Wiedervereinigung und was diese Frage mit dem neoliberalen Umbau der gesamtdeutschen Gesellschaft zu tun hat. Wie viel Angst damit verbunden ist. Und warum die Rechten leichte Hand hatten, in Ostdeutschland Erfolge zu feiern.

Wozu einen Film über diese Leute?

Montags in Dresden hat bei seiner Premiere in der Osthalle des Leipziger Hauptbahnhofes Anfang November letzten Jahres für Kontroversen gesorgt. "Es gab auf der 60. Dok Leipzig ein MDR-Special-Screening, wo vor allem Redaktionen und Fachpublikum anwesend waren, die allesamt sehr verhalten reagierten. Man spürte, wie groß die Unsicherheit allein gegenüber dem Thema ist."

Als einer der anwesenden Protagonisten, René Jahn, sich zu Wort meldete, entstand "eine Art Schockstarre", erzählt Sabine Michel in den Räumen der Filmproduktion, den DDR-Geruch haben wir beide in der Nase. "Das war die erste Vorführung und tags darauf fand unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen die Vorführung im Leipziger Hauptbahnhof statt. Und die war sehr kämpferisch, weil im Vorfeld alle der Meinung waren, dass Pegida die Veranstaltung vereinnahmt. Das war dann nicht der Fall, aber es gab und gibt ziemliche Berührungsaversionen von Leuten, die es kaum aushalten, mit meinen Protagonisten in einem Raum zu sein. Der Abend hat uns auch klargemacht, wo es hingeht mit diesem Film. Es war der Sprung ins kalte Wasser vor 800 Leuten, von denen gefühlt 600 der Meinung waren, man darf Pegida so nicht zeigen, sodass ich irgendwann in die Menge gerufen habe: 'Ja, was machen wir dann mit denen, sperren wir 30 Prozent in den Keller?' Da war der Bahnhof für einen Moment sehr still."

Keine eindimensionale Erklärung

Die Leitung des Dokfilmfestivals sah sich nach Protesten gemüßigt, eine Stellungnahme zu veröffentlichen, in der es hieß: "Montags in Dresdenüberträgt die Verantwortung für die Wahrnehmung den Zuschauerinnen und Zuschauern und gibt nicht eine Meinung vor. Der Film fordert vielmehr, eine eigene Meinung zum Geschehen zu bilden. Diese offene Herangehensweise ist eine Herausforderung." Mich machte diese Stellungnahme ratlos. War das nicht genau das, was einen guten Dokumentarfilm ausmachte? Und war es nicht die Errungenschaft der "friedlichen Revolution", nicht mehr bevormundet zu werden, die Klappe aufzumachen, nicht alles ideologisch einordnen zu müssen, etwas stehen zu lassen, ohne es sofort zu kommentieren, andere Meinungen auszuhalten, weil doch unsere anderen Meinungen nie ausgehalten worden war, ohne zu strafen oder zu tadeln?

Ich musste an Thomas Heise denken und die Geschichte seines ersten Films, den er 1980 in der DDR gedreht hatte und der den treffenden Titel hatte: WOZU ÜBER DIESE LEUTE EINEN FILM?. In der DDR galten die kleinkriminellen Weberbrüder aus Prenzlauer Berg, die soffen und klauten, nicht als legitime Protagonisten für einen Film. Also wurde er staatlicherseits untersagt. Heutzutage verbietet der Staat keine Dokumentarfilme, aber ein Teil der Öffentlichkeit fragt dasselbe bei Montags in Dresden: "Wozu über diese Leute einen Film?" Das wurde allerdings auch schon bei den Protagonisten von Heises Nachfolgefilm Stau vor 25 Jahren gefragt. Auch dieser Film hatte sich einer eindimensionalen Erklärung des Phänomens Rechtsradikalismus verweigert.

"Thomas Heises Stau und die nachfolgenden Filme", sagt Sabine Michel, "das sind Arbeiten, die mich geprägt haben. Die haben Anfang der Neunzigerjahre die Generation porträtiert, die später den NSU bildeten, und wenn wir klug gewesen wären, hätten wir es gesehen in seinen Filmen. Die auch sehr kontrovers besprochen wurden."

Differenzierte Betrachtung

Auch wenn Heises Stau und die beiden späteren Filme der Trilogie für mich einen größeren Resonanzraum in die Geschichte haben, so steht zweifelsfrei auch Sabine Michels Film in dieser Tradition von Filmen, die Begegnungen suchen, die unangenehm sind. Und: Ein Dokumentarfilm ist keine soziologische Abhandlung oder eine Handreichung für Lehrer. "Mein Dokumentarfilmethos begibt sich immer auf Augenhöhe. Ich verweigere Manipulation und achte meine Protagonisten. Nur so kann ich etwas erfahren, was Bestand hat. Es handelt sich um einen künstlerischen Dokumentarfilm, das wird manchmal übersehen." So Sabine Michel im Gespräch. "Die Wirkung muss beim Zuschauer entstehen." Dabei zeigt sie im Off des Films immer wieder ihre eigene Position, mitunter auch ihr deutliches Befremden gegenüber den Positionen ihrer Protagonisten.

"Ich würde immer sagen, ich bin links sozialisiert. Das Rückwärtsgewandte ist nicht meins, vom Temperament her nicht und auch nicht von der Anschauung, mit der man auf die Welt guckt. Ich habe immer wieder in den Diskussionen betont, dass es a) nicht darum geht, irgendetwas zu rechtfertigen, und dass es b) um eine differenzierte Betrachtung geht. Das finde ich wichtig. Dass man immer wieder genau hinguckt auf den Einzelnen, dass man nicht von vornherein sagt, die sind alle rechtsradikal. Wobei es in meinem Film ja auch Abstufungen gibt zwischen den dreien: Sabine, René und Daniel. Bei Daniel sieht man eindeutiges Radikalisierungspotenzial, aber das war mir eben auch wichtig, um so eine Schattierung aufzuzeigen. Dass es neben kulturellen und finanziellen Gräben auch um Einsamkeit, Bedürftigkeit und irgendwie auch eine Sehnsucht geht, bis hin zu ganz klarer Ausgrenzungserfahrung in der eigenen Biografie, die wiederholt wird." Jeder Film, so sagt sie, ist eine lange Reise, bei diesem war sie besonders lang, "dieses Sich-bewusst-Werden, wie sehr man auch in einer Blase lebt".

Sich gegen Instrumentalisierungsversuche wehren

Für mich brauchen die Protagonisten keinen Kommentar, sie sprechen für sich. Für das, was Daniel Heimann, Unternehmer und Funktionär von Pro Patria Pirna, da über Verweichlichung, Überfremdung, Überwältigung des christlichen Abendlandes durch fremde Religionen schwadroniert, und gleichzeitig auf der Bildebene zu sehen ist, wie er seine Rassehunde, einer heißt Pilatus, streichelt oder straft oder mit dem Rechtsaußen Götz Kubitschek plaudert, braucht es keinen Kommentar, das spricht für sich selbst und erzeugt bei mir Gänsehaut. Auch René Jahn, früherer Vizechef von Pegida, entlarvt sich schon ganz von allein, wenn er versucht, mit einem Reinigungsmittel eine Wanne zu säubern, und scheitert, weil sowieso an allem immer einer "da oben" Schuld hat. Mal die Industrie, mal Angela Merkel.

Eher tragisch ist die Geschichte von Sabine Ban, die allein mit ihrem autistischen Sohn Olli lebt und bei Pegida eine Gemeinschaft gefunden hat, die sie und vor allem ihren Sohn akzeptiert. Sie ist eine Frau, die aus Angst einen ganzen Keller voll Dosenwurst, Instantkaffee und Klopapier hortet, in Erwartung des kommenden Bürgerkriegs oder eines Konflikts mit Russland. Sie erinnert mich an Christine aus dem Dokumentarfilm Winter adé von Helke Misselwitz, die 30 Jahre zuvor, nur ein paar Kilometer weiter, im Schichtsystem in der Brikettfabrik arbeitete und zu Hause eine hochaggressive behinderte Tochter hatte. Ganz eindeutig, dass es Sabine heute besser geht als der überforderten und alleingelassenen Christine, von der ich mich immer wieder frage, was aus ihr und all den anderen Frauen aus diesem Film, der 1988 auf dem Leipziger Dokfilmfestival die Silberne Taube gewann, eigentlich geworden ist nach der Wende.

Kein Pauschalisieren

Auch die Intention meiner dokumentarischen Bücher war immer, die Texte so zu komponieren, dass sie Gespräche zwischen Protagonisten ergaben, in die ich mich nicht unbedingt einmischen wollte, Irritationen inbegriffen. Vielleicht ist es ja gerade der oft vormundschaftliche Ton der Medien und der Politik, auf den Ostdeutsche empfindlicher reagieren als andere, die in keinem auf Schritt und Tritt überwachenden und strafenden Staat gelebt haben.

Zu den Instrumentalisierungsversuchen aus dem Pegida-Umfeld hat Sabine Michel eine klare Haltung, und das muss sie auch, um ihren Film nicht auf andere Weise zu verraten: "Das geht natürlich nicht, da musst du dich abgrenzen, klar bleiben, sonst machst du dich auch vor dir selber angreifbar." Der Grat ist schmal. "Und man darf nicht vergessen, das Medium ist langsam. Der Film ist vor über einem Jahr fertig gedreht. Doch die politische Entwicklung, so traurig das ist, spielt dem Film in die Karten. Er bleibt aktuell", so Sabine Michel an diesem Nachmittag im April in dem holzvertäfelten Versammlungsraum in der Geruchskonserve aus DDR-Zeiten. "Ich habe Ende '15, Anfang '16 angefangen und hatte vorher schon ganz viel gelesen. Ich wollte da unter die erste Ebene druntergucken und wollte, dass man denen auch mal zuhört, um rauszukommen aus dem pauschalen 'Die sind' …" Das hat sie nämlich großgemacht. Inzwischen schaffen es die rechten Demagogen bis in die Tagesthemen und die AfD versucht gar nicht mehr, ihre Menschenverachtung im Bundestag zu bemänteln.

Für die kommende Generation

Ein Filmverleih hat sich nicht gefunden, Solo:film hat sich für den Eigenverleih entschieden, eine bundesweite Kinoauswertung wird es nicht geben, stattdessen Diskussionsveranstaltungen, auf denen der Film laufen wird, im Mai an einem Montag auch in der Frauenkirche in Dresden. Vielleicht ist das der bessere Weg, ins Gespräch zu kommen über das, was im Osten falsch läuft. "In Leipzig haben völlig unterschiedliche Gruppen nach diesem Film eineinhalb Stunden debattiert und sich miteinander auseinandergesetzt. Die Diskussion war intensiv und hatte viele wertvolle Aspekte. Genau das wollen wir mit diesem Film erreichen." Auch wenn Michel und Solo:film sich mit ihrem Film mitten zwischen die Fronten gesetzt haben.

Aber die Diskussion zeigt eben auch, dass eine Errungenschaft aus der Wendezeit zunehmend in der Gemengelage zwischen Aufgeregtheit, Aggression und Lagerdenken zerrieben zu werden droht. Bei Perlentaucher habe ich letzte Woche eine Rezension über einen Briefwechselband von Christa Wolf gefunden, der auch meine Empfindlichkeiten beschreibt und Christa Wolf paraphrasierte: "Literatur, die zeigen darf, was ist, ohne dass ihr das gleich als Rechtfertigung dessen, was ist, ausgelegt wird, ist darum immer wieder der einzige Weg zur Erkenntnis. Nicht nur in Epochen, in denen die Machthaber massiv die Freiheit der Rede einschränken, sondern auch in solchen, in denen die Redefreiheit zwar immer wieder beschworen wird, zugleich aber gerade ihre Verteidiger sehr genaue Vorstellungen darüber haben, wie sie genutzt werden soll."

Vielleicht wird ja Montags in Dresden – wie schon heute Stau von Thomas Heise und Winter adé von Helke Misselwitz – der nächsten ost- wie westdeutschen Generation erzählen, wie es zu dem kam, zu dem es kommen wird.

"Montags in Dresden" läuft im Rahmen des Festivals Achtung Berlin am Sonntag, 15. April 2018, um 19 Uhr im Filmtheater am Friedrichshain.


Annett Gröschner lebt als Schriftstellerin und Publizistin in Berlin. Sie schreibt Romane, Erzählungen, Essays, Theaterstücke, Radiofeatures und Reportagen. Sie ist Mitglied der Redaktion von "10 nach 8".


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