| | Ein Haus in der Medina der marokkanischen Hauptstadt Rabat © Alex Vasey/unsplash.com |
Das Goethe-Institut hat mich nach Rabat eingeladen. Eigentlich kein schlechter Start in den Frühling. Zumal die Veranstaltungsreihe, die ich mir ansehen soll, ein vorverlegter Geburtstag ist. Theoretisch feiert das Bauhaus zwar erst im kommenden Jahr den Hundertsten. Aber die Zeit lässt sich natürlich bestens mit Kulturprojekten überbrücken. Ich fahre also durch die marokkanische Hauptstadt und frage mich, wie eine Kunstbewegung aus Weimar es bis hierher geschafft hat. Denn genau das wollen die Kuratoren Marion von Osten und Grant Watson in den nächsten Monaten bei Veranstaltungen zwischen Marokko und China klären. Wie Afrika, Asien und Amerika sich mit der Bauhaus-Clique ausgetauscht und gegenseitig inspiriert haben. Bislang klingt ihr Konzept zwar noch etwas akademisch. Weil das Ganze aber in einer kleinen Galerie im Bahnhofsviertel starten soll, hoffe ich auf den Input der lokalen Kunstszene.
Die Künstler und Kunsthistoriker, die mich im Le Cube begrüßen, sind bereits voll bei der Sache. Angeregt plaudern sie in der Küche des Showrooms und unterhalten sich über die Bilder im Nebenraum. Dort hängen Fotos von Studenten und Dozenten der legendären École des Beaux-Arts in Casablanca. Fotos von Menschen, die in den Sechzigerjahren radikal neue Vorstellungen von Gesellschaft im Maghreb prägten – unter anderem inspiriert durch das einst revolutionäre Bauhaus. Ihre Bilder vermitteln die Aufbruchstimmung in der Zeit nach der europäischen Besatzung. Und doch scheint es, als hätten sich 60 Jahre später längst nicht all ihre Versprechen eingelöst. Der Workshop hat noch gar nicht angefangen, da diskutiert die aktuelle Künstlergeneration schon darüber, warum sie die Übermacht des Westens noch immer nicht ganz abgeschüttelt hat.
Myriam El Haïk hat in Rabat und Paris Musik studiert. Heute lebt sie in Berlin und setzt in ihrer Kunst auf abstrakte Symbolik, in der das Vermitteln zwischen den Kulturen leise mitschwingt. An diesem Morgen hat sie ein kleines rotes Spielzeugklavier dabei, auf dem sie ein schepperndes Lied vorspielt. Im Geschäft hatte man ihr schräge Blicke zugeworfen, als sie dort jedes Minipiano einzeln ausprobierte. Die Dinger hätten keinen echten musikalischen Wert, hatte eine geduldige Verkäuferin ihr erklärt. "Doch, für mich schon", hatte El Haïk geantwortet und war mit ihrem Instrument auf die Straße spaziert. Denn für sie steckt Bedeutung in diesem Klavier. Es steht für etwas Spielerisches, was ihr in der Ausbildung an den Musikhochschulen fehlte. Für das Experiment mit dem vermeintlich Fremden, mit Stilrichtungen, die in ihrer kolonial geprägten Musikerziehung keinen Platz hatten. "Es sind die scheinbaren Gegensätze, die mich faszinieren", sagt sie. Und ich ahne, dass es an diesem Wochenende nicht allein ums Bauhaus gehen wird.
Denn viel zu viel steht hier heute im Raum. Und viel zu selten haben Künstler in Marokko die Möglichkeit, sich in informellem Rahmen darüber auszutauschen, was genau das Leben zwischen Europa und dem Maghreb mit ihnen macht. Es gibt kaum Plattformen, auf denen sie sich abseits staatlicher Kulturinstitutionen und ohne Angst vor Zensur darüber verständigen könnten, warum es so viele ins Ausland zieht und dann doch wieder zurück. Darüber, wie europäische Abschottungspolitik auf der einen und reformresistente Monarchieapparate auf der anderen Seite dafür sorgen, dass eine Generation, die den Kolonialismus gar nicht mehr miterlebt hat, noch immer im Dazwischen festhängt.
Postkoloniale Aufarbeitung
Immerhin versucht Europa sich derzeit an postkolonialer Aufarbeitung, doch bislang wirkt es noch etwas holprig. Das Humboldt Forum beispielsweise bietet immer wieder Zündstoff: Kritiker vermuten unangemessene Selbstdarstellungsattitüden mit neokolonialen Fehltritten in dem kulturellen Großprojekt. Die angehenden Veranstalter dagegen träumen von einem Ort des radikalen Austauschs. Letzteres wäre natürlich auch schön. Doch was nicht wirklich hilft, ist, dass die umstrittenen Artefakte in ihren Sammlungen aus Kulturen stammen, deren Mitglieder heute selbst kaum Chancen auf ein Leben in Europa haben. In der Mittagspause erzählt mir eine Künstlerin von Repressionen gegen Aktivisten. Sie spricht von der noch immer währenden Angst vor staatlicher Überwachung und der sozialen Not in Marokko. Und kurz frage ich mich, ob die Menschen, die unten vor der Haustür Plastikspielzeug verkaufen, sich wohl eher über den transparenten Umgang mit Artefakten oder über ein Bleiberecht in Deutschland freuen würden.
Etwa einen Kilometer weiter schlendern Touristen durch die Medina und feilschen mit traditionellen Händlern um Tajine-Gefäße und Silberketten. Sie scheinen Welten entfernt, als Kader Attia sich nach der Kaffeepause im Le Cube zurück an den Tisch setzt und vom Schmuck seiner Großmutter erzählt. Fotos von ähnlichem Kunsthandwerk hängen in einer Vitrine im Nebenraum. Es ist die Art von ornamentalem Berberschmuck, nach denen Souvenirjäger sich die Finger lecken dürften. Für Attia steckt persönliche Geschichte darin. Die alten kolonialen Münzen, die in den Schmuck eingearbeitet sind, dienten den Berbern früher als Zahlungsmittel. Ein Umstand, den sie als Symbol der Ermächtigung ansahen. Attias Großmutter hatte während des Widerstandes im Algerienkrieg sogar Ketten einschmelzen lassen und gegen Kalaschnikows eingetauscht. Es ist eine von vielen Erfahrungen, die seine interkulturelle Kunst geprägt haben, die mittlerweile im Centre Pompidou und dem Guggenheim Museum ausgestellt werden.
Kader Attia ist in den Banlieues von Paris aufgewachsen. In einem Viertel mit schlechten Schulen und noch schlechteren Perspektiven. Heute stehen die Autos dort auf Parkplätzen Schlange, durch die Fenster werden Drogen verkauft, sehr junge Mädchen prostituieren sich – und Attia fragt in seiner Kunst oft nach den Gründen. Sein Kulturzentrum La Colonie hat er am 17. Oktober in Paris eröffnet – im Gedenken an die Demonstrationen für Algeriens Unabhängigkeit. Denn das, was Aktivisten, Wissenschaftler und Künstler seither dort verhandeln, sind die Nachwehen eines Kolonialismus, der sich noch heute in den Banlieues fortschreibt: die strukturelle Ungerechtigkeit zwischen Europäern und all jenen, die es nach Meinung der weißen Mehrheit oft noch nicht sind.
Myriam El Haïk fliegt regelmäßig von Berlin nach Rabat. Ihr Atelier liegt in Sichtweite vom Le Cube, von ihrem Balkon hat sie vorbeilaufende Künstler ebenso im Blick wie die Straßenhändler auf dem Gehweg. Sieben Jahre nach den arabischen Revolutionen hofft sie noch immer auf ein echte Demokratisierung in Marokko. Sie weiß, dass nur der offene Dialog dort hinführen kann, deshalb hat sie 2017 eine Ausstellung im Le Cube gezeigt. Reiner Zufall, dass ihre Großmutter früher einmal in genau derselben Wohnung gelebt hat. Und dass El Haïk das Apartment Jahrzehnte später nun als Künstlerin neu bespielt. Sie verneigt sich damit vor ihrer Oma, die einst als Analphabetin aus Taroudant nach Rabat gezogen war. Die ihren polygamen Ehemann in der Provinz zurückgelassen hatte und ihren Kindern Emanzipation in der Großstadt vorlebte. Und die vielleicht sogar die Selbstverständlichkeit geprägt hat, mit der ihre Enkelin sich heute zwischen den Kulturen bewegt.
In Berlin ist in der Zwischenzeit Frühling geworden. Mit dem Fahrrad radle ich Richtung Tiergarten, vorbei am Alexanderplatz und der unvermeidbaren Schlossbaustelle. Ob Emanzipation und "Wiedergutmachung" eines Tages wohl auch an diesem wuchtigen Ort offen besprochen werden? Ob die Hüter alter Kulturen eine neue Auslegung der gemeinsamen Geschichte tatsächlich zulassen werden? Wer weiß. Immerhin hat die Bauhaus Stiftung in Rabat nun schon mal vorgemacht, wie man sich vornehm im Hintergrund hält und zuweilen auch mal "den anderen" zuhört. Elisabeth Wellershaus, 1974 geboren, lebt in Berlin. Sie ist Journalistin und arbeitet unter anderem als Redakteurin für das Kunstmagazin "Comtemporary And". Sie ist Mitglied der Redaktion von "10 nach 8".
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