| Mieterverein streitet mit dem Wohnungsriesen Vonovia Bröckelt an einem Mietshaus die Fassade, muss der Vermieter ran – und auch dafür bezahlen. Doch wer zahlt, wenn der poröse Putz hinter einer neuen Wärmedämmung verschwindet – und das Ganze als Modernisierung gilt? Darüber streiten sich Mieter in Steilshoop, vertreten durch den Mieterverein zu Hamburg, mit Deutschlands größtem Wohnungsanbieter, dem Dax-Unternehmen Vonovia. »Man versucht, die Instandsetzung klein zu machen, damit man mehr Modernisierungskosten berechnen kann«, kritisiert Siegmund Chychla, Vorsitzender des Mietervereins. Die Modernisierungskosten, die womöglich gar keine seien, würden dann den Mietern in Rechnung gestellt. Das sei in Steilshoop bei Fassadensanierungen und beim Fensteraustausch der Fall, erläutert sein Mitstreiter Rolf Bosse. Vonovia streitet das ab. »Wir halten uns an die gesetzlichen Vorgaben«, erklärt Sprecherin Nina Henckel. Der Mieterverein stelle eine pauschale Behauptung auf, die er bislang nicht habe belegen können. Genau das ist ein weiterer Kritikpunkt, sagt wiederum der Mieterverein: Die Aufteilung der Kosten in Instandsetzung und Modernisierung sei unklar, die Mieter könnten nicht nachvollziehen, wofür genau sie zahlen sollten. Auch das ist für Sprecherin Nina Henckel nicht nachvollziehbar. »Wir sind transparent, und wir passen unsere Anschreiben an die jeweilige Rechtsprechung an«, sagt sie. Die Anschreiben an die Mieter umfassten etwa 40 Seiten, in denen alle Posten klar getrennt würden. Die Auflistung sei zwar sehr detailliert und für Laien schwer verständlich, aber deshalb biete Vonovia ihren Mietern auch Gespräche an. So nun auch im Fall Steilshoop: Der Geschäftsführer der Vonovia Nord will sich mit dem Mieterverein zusammensetzen. »Das ist doch mal was Nettes«, sagt Siegmund Chychla. Allerdings nichts Neues, betont die Sprecherin: »Dieses Angebot stand schon relativ lange im Raum.«
»Archaische Reflexe« Ein Knall, ein Schrei, ein Mensch blutet – und viele wenden sich ab. Im Notfall wie gelähmt zu sein passiert auch couragierten Menschen, wie die vielen Zuschriften unserer Leser zum Thema Erste Hilfe zeigen. Woran das liegt und wie wir unseren Helferreflex trainieren können, erklärt Professor Jürgen Gallinat, Direktor der Psychiatrischen Klinik am UKE. EV: Wieso fällt es uns oft so schwer, in einem akuten Notfall Hilfe zu leisten? Gallinat: Eine Erste-Hilfe-Situation wird erst einmal als eine potenzielle Bedrohung wahrgenommen, auch für den Helfer. Jemand ist zu Schaden gekommen und liegt am Boden – das ist ein Warnsignal: Hier gibt es Gefahr, vielleicht sollte ich mich selbst in Sicherheit bringen. Der Mensch hat sich über diese evolutionären Verhaltensmuster natürlich hinausentwickelt und kann durchaus einschätzen, ob eine Situation für ihn selbst Gefahr birgt. Trotzdem greifen manchmal diese archaischen Reflexe. EV: Manche Menschen dagegen helfen sofort. Wie sind diese unterschiedlichen Reaktionsmuster zu erklären? Gallinat: Wenn wir eine bedrohliche Situation schon einmal erlebt und gelernt haben, dass wir durch Handeln selbst keinen Schaden nehmen, dann relativiert sich der Reflex, auf Distanz zu gehen. Durch die Vertrautheit und motorische Gewohnheiten wird das Helfen erleichtert. Bei manchen Menschen geht das so weit, dass sie darüber schon gar nicht mehr nachdenken. EV: Können wir solche Reaktionen für akute Notfälle üben? Gallinat: Ideal ist, wenn jemand einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht und dann auch regelmäßig aufgefrischt hat. Die Wiederholung ist entscheidend: Es reicht nicht, das vor 35 Jahren bei der Führerscheinprüfung gelernt zu haben. Was auch schon hilft, ist die geistige Auseinandersetzung, etwa indem man sich vorstellt: Was würde ich tun, wenn jetzt in der U-Bahn jemand umkippt? Was habe ich gelernt? Das kann die Hemmschwelle zu handeln bereits reduzieren. EV: Was kann man tun, um in einem akuten Notfall die Schockstarre zu überwinden? Gallinat: Wir sollten uns von dem Gedanken lösen, perfekt sein zu müssen oder nur nach einem Erste-Hilfe-Kurs tätig werden zu können. Es ist nach aller Wahrscheinlichkeit besser, etwas zu tun, als gar nichts zu tun. Schon jemandem den Kopf zu halten oder ihn anzusprechen ist oft eine große Hilfe. Viele Leute haben Angst, etwas falsch zu machen. Die Erfahrung zeigt aber: Der viel größere Schaden entsteht, weil gar nicht gehandelt wird. EV: Besteht nicht auch ein Risiko, sich als Helfer zu infizieren? Gallinat: Diese Ängste treten oft als Reflex auf. Tatsächlich ist es extrem unwahrscheinlich, sich zu infizieren. Doch die Furcht vor Infektionen oder Fehlern macht es uns leichter, nicht zu reagieren und teilweise auch unsere Trägheit zu entschuldigen. Das sagt natürlich niemand so. Aber diese Bequemlichkeit gibt es auch. EV: Falls es trotzdem nicht klappt, auf Opfer zuzugehen – wie können Zeugen eines Notfalls trotzdem helfen? Gallinat: Wenn einem sonst nichts einfällt, ist es das Beste, das Handy in die Hand zu nehmen und Hilfe zu holen. Telefone gibt es ja überall, und wir sind sehr vertraut im Umgang damit. Zwar denken viele: Das hat bestimmt schon jemand gemacht, ich rufe jetzt nicht an. Diesen Gedanken haben leider alle. Also lieber einmal zu viel anrufen als zu wenig. EV: Nützt es eigentlich, eine App mit Anleitungen zur Ersten Hilfe zu benutzen? Gallinat: Ob die Überwindung des Schreckens durch eine App leichter wird, muss die Forschung noch zeigen. Was wir aber wissen: Motorische Tätigkeiten sind – auch wenn man sie im virtuellen Raum oder mit einer App ausübt – eine Hilfe, in einer realen Situation effizienter zu handeln. Die Übertragung von zum Beispiel virtuell erlerntem Verhalten auf reale Situationen nennt man Transfereffekt. Wie gut der in Bezug auf Notfälle funktioniert, ist durch Studien noch nicht abschließend geklärt. Meine Einschätzung ist: Eine App kann helfen, Handlungsbereitschaft in Notsituationen zu trainieren. |
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