Fünf vor 8:00: Der Kalte Krieg war simpel im Vergleich - Die Morgenkolumne heute von Theo Sommer

 
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FÜNF VOR 8:00
17.04.2018
 
 
 
   
 
Der Kalte Krieg war simpel im Vergleich
 
Trumps Amerika fällt als verlässlicher Akteur aus. Im Mittleren Osten Frieden zu schaffen ohne Waffen ist nun eine europäische Aufgabe.
VON THEO SOMMER
 
   
 
 
   
 
   
Einen "Hauch von Sarajevo 1914" glaubte der Guardian wahrzunehmen, die "Gefahr eines Weltenbrandes" beschwor der Spiegel, der Gedanke an die Kuba-Krise 1962 schoss anderen Kommentatoren beunruhigend durch den Kopf. Aber das Schlimmste ist ausgeblieben.
 
Der Zerstörungsschlag der Amerikaner, Briten und Franzosen gegen drei syrische Forschungseinrichtungen, Produktions- und Lagerstätten für Chemiewaffen hat die Konfrontation zwischen Washington und Moskau nicht nennenswert verschärft. Er hat freilich auch keine erkennbaren Auswirkungen auf den Bürgerkrieg, der jetzt ins achte Jahr geht und bisher 600.000 Syrern das Leben und 14 Millionen Flüchtlingen die Heimat gekostet hat. Und es ist nicht einmal sicher, dass er seinen engeren Zweck erfüllt hat: Assads Chemiewaffenarsenal zu zerstören und ihn von weiteren Giftgasangriffen auf die Gegner seines Regimes abzuschrecken.
 
Der Dreier-Schlag im Morgengrauen war ausdrücklich begrenzt worden. Keine Einmischung in den Bürgerkrieg, kein Regimewechsel war beabsichtigt, lediglich ein "Statement". Der Angriff barg eine Botschaft an Assad: "Mach das nicht wieder"; und an andere, die in Versuchung geraten könnten, es ihm gleichzutun: "Lasst die Finger davon!" Er sollte der völkerrechtlichen Ächtung des Einsatzes von Chemiewaffen wieder Geltung verschaffen. Nicht mehr, und nicht weniger, sagte der US-Verteidigungsminister; ein one-time shot sollte es sein – es sei denn, der syrische Diktator lasse nicht ab vom Giftgaskrieg.
 
Wo Präsident Trumps gröbste rhetorische Keulen gegenüber Russland und Iran schwang, war der kriegserfahrene General Mattis sorgsam darauf bedacht, das Eskalationsrisiko so gering wie möglich zu halten. Ihm ist zu verdanken, dass der Militärschlag in seinem Umfang erheblich reduziert wurde. Und bei aller Kritik an Trump hielt sich Putin ebenfalls zurück. Den Gegenschlagsdrohungen mancher seiner Diplomaten ließ er keine Taten folgen.
 
Gegen die Vergeltungsaktion vom vorigen Samstag sind verschiedene Einwände vorgebracht worden. Der Einwand, zum Beispiel, dass man wenigstens das Ergebnis der OPCW-Chemiewaffeninspektion hätte abwarten sollen. Juristische Einwände: Es fehlte nicht nur ein UN-Mandat, sondern auch ein Mandat des US-Kongresses und des britischen Parlaments. Sachliche Einwände: Es ist unklar, ob die zerstörten Einrichtungen überhaupt noch in Gebrauch waren; Auch könnte Assad die Produktion von Sarin oder Chlorgas leicht anderswo aufbauen. Schließlich ist es eine Tatsache, dass der Vergeltungseinsatz von 59 amerikanischen Tomahawk-Marschflugkörpern im April 2017 gegen einen syrischen Fliegerhorst keinerlei militärische und politische Folgen hatte. Wieso sollte es diesmal anders sein?
 
Assad bleibt an der Macht
 
Sicher geht man nicht fehl in der Annahme, dass es nicht nur berechtigte moralische Empörung war, die alle drei westlichen Akteure zum Handeln brachte (wobei es einen schon wundert, dass einige Dutzend Gas-Tote in Duma sie zum Losschlagen bewegt haben, nicht aber die Hunderttausenden, die ganz konventionell mit Artilleriegranaten, modernsten Flugzeugbomben und primitiven Fassbomben ums Leben gebracht worden sind). Innenpolitische Erwägungen gaben wohl überall den Ausschlag. Donald Trump, unter Druck durch Stormy Daniels, Robert Mueller und James Comey, brauchte dringend Ablenkung nach außen. Ebenso Theresa May, die Brexit-Geplagte, die in der Aktion zugleich ein Stück Vergeltung für den Russland zugeschriebenen Angriff auf den Ex-Doppelagenten Skripal und seine Tochter sah. Und auch Emmanuel Macron, der um seine Wirtschaftsreform kämpft, kam es sehr zupass, im Konflikt mit den Gewerkschaften mit seinen Rafael-Jagdbombern Frankreichs Anspruch auf Weltgeltung zu manifestieren.
 
Was bleibt unterm Strich? Die Lage im Lande ändert die Strafaktion nicht. Assad bleibt an der Macht. Er hat unter dem russischen Schutzdach seine Herrschaft über den größten Teil des Landes wiederhergestellt; die Rebellen halten sich nur noch in wenigen Flecken. Russen und Iraner bleiben an seiner Seite. Donald Trump brüstet sich eines Sieges über die Terrorgruppe "Islamischer Staat", hat aber das Pentagon angewiesen, seine 2.000 Soldaten im nächsten halben Jahr aus Nordsyrien zurückzuziehen (ob seine Generäle mitziehen, steht dahin). Wenn er aber in vier Wochen das Nuklearabkommen mit dem Iran kündigt und Teheran danach die Urananreicherung zur Atombombenherstellung wiederaufnimmt, wird sich der Mittelost-Konflikt brandgefährlich verschärfen.
 
Ein neues Great Game im Vorderen Orient
 
Für Russland ist seine Präsenz in der Region Ausweis seines Großmachtsstatus, und es wird sie unbeirrt gegen Amerika ausspielen; Iran sucht, seinen Einflusskorridor vom Golf bis zum Libanon zu verfestigen; Saudi-Arabien setzt dem seine sunnitische Counterstrategie entgegen; die Türkei will mit allen Mitteln die Kurden daran hindern, sich im Norden Syriens und Iraks eine territoriale Basis zu schaffen, die den Anspruch auf einen kurdischen Staat untermauern könnte; Israel jedoch wird um seiner eigenen Sicherheit willen dem Einfluss Irans immer entschlossener Schach bieten.
 
Der Kalte Krieg war im Vergleich dazu ein simpler Konflikt: zwei Lager, zwei Gegenüber – wie im Schach. 111 Jahre, nachdem Briten und Russen das Tauziehen in dem damaligen Great Game im Vorderen Orient beendigten, spielen heute vier, fünf, sechs Mächte in einem konventionell und atomar aufgeladenen Mensch-Ärgere-Dich-nicht ein neues Great Game. Eine militärische Lösung kann und darf es nicht geben. Sie anzustreben, könnte in der Tat einen Weltenbrand auslösen.
 
Deutschland hat sich an der jüngsten Aktion schon aus mangelnder militärischer Kompetenz nicht beteiligt; es war "dafür, aber nicht dabei" (Robin Alexander). Aber es hat jedes Recht – und angesichts mehrerer Hunderttausend syrischer Flüchtlinge, die der Krieg zu uns gebracht hat, vertretbaren Anlass – sich mit Nachdruck für die Belebung des in den Sackgassen von Genf und Astana stecken gebliebenen diplomatischen Friedensprozesses einzusetzen.
 
Wer freilich glaubt, dass weitere Sanktionen gegen Russland dafür die Bahn brechen könnten, oder davon ausgeht, dass Moskau in allen Streitpunkten einknicken müsse, der macht sich etwas vor. Der Sieg, der militärisch nicht zu erringen ist, wird sich auch diplomatisch nicht erlangen lassen. Am Ende wird bestenfalls ein Kompromiss stehen. Wenn er dem geschundenen Syrien Frieden bringen soll, die Aussicht auf Wiederaufbau und auf Rückkehr der Flüchtlinge, wird der Westen manche Zugeständnisse machen müssen – sicherlich die fortdauernde Präsenz Russlands und wahrscheinlich sogar Assads zeitweiliges Verbleiben im Amt.
 
Im Mittleren Osten Frieden zu schaffen ohne Waffen – es ist eine Aufgabe, die einen Bismarck überfordern könnte. Es ist, da Trumps Amerika als verlässlicher Akteur ausfällt, eine europäische Aufgabe, an der sich die M-M-Kombination Merkel/Macron beweisen kann. Die bedachtsame Differenziertheit des Bundespräsidenten wird einem Ausgleich dabei förderlicher sein als die noch reichlich holzschnitthafte Bestimmtheit unseres neuen Bundesaußenministers.
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.