Fünf vor 8:00: Europa ist für die Deutschen nur eine Geldfrage - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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FÜNF VOR 8:00
19.04.2018
 
 
 
   
 
Europa ist für die Deutschen nur eine Geldfrage
 
Frankreichs Präsident will die Zukunft der EU groß erörtern – doch die Bundesregierung verengt die Debatte stets auf die Finanzen. Aus Mangel an Mut und Kreativität.
VON PETRA PINZLER
 
   
 
 
   
 
   
Heute kommt Emmanuel Macron nach Berlin – um dort abgewatscht zu werden. Natürlich wird das in aller gebotenen Höflichkeit passieren, aber dennoch. Denn der französische Präsident möchte gern die EU reformieren, seit Monaten schon, weil es dringend nötig wäre. Er hat dafür auch jede Menge Vorschläge gemacht. Nur, alleine kann er die nur nicht umsetzen, er braucht die Bundesregierung. Und die will nicht, auch das schon seit Monaten. Erst, weil es sie nicht gab, jedenfalls nicht in handlungsfähiger Form. Dann, weil die neuen Groko-Koalitionäre nicht wussten, was sie überhaupt noch an der EU mögen, was nicht und auf welches gemeinsame Urteil sie sich überhaupt noch einigen können. Und jetzt scheinen sich Kanzlerin Angela Merkel und ihr neuen Finanzminister Olaf Scholz (und damit die entscheidenden Spieler der Regierung) darauf geeinigt zu haben, erst mal nicht viel verändern zu wollen und Europa so sehr als leidige Pflichtprogramm abzuhandeln, dass man schon beim Zuhören die Lust verliert.
 
Der Grund ist so einfach wie fatal: Das ganze Denken der GroKo kreist, wenn von der EU die Rede ist, offensichtlich um nichts anderes als ums Geld. Ums deutsche Geld natürlich, auch wenn das inzwischen Euro heißt.
 
Nun ist es natürlich wichtig, wie in der EU Geld ausgegeben wird, für wen, wie viel und wer darüber entscheidet. Man muss profund darüber streiten, wie viel die EU-Kommission dabei zu sagen haben soll und wie viel das Parlament, ob es einen europäischen Finanzminister und eine europäische Steuer gegeben oder ob die Hoheit über die Finanzen besser auch in Zukunft (wie Merkel es gern hätte) weitgehend bei den Regierungen bleiben soll. Auch die Frage, welche Lehren Europa aus der Finanzkrise noch ziehen muss und wie sich die Union am besten für die nächste Krise (und die kommt bestimmt) rüstet, wie sie wettbewerbsfähig bleiben und ihre Wirtschaft stark, ist wichtig.
 
Doch die Bundesregierung und auch viele (vor allem konservative und liberale) Abgeordnete verkürzen das Nachdenken über Europa schlicht zu sehr auf ein vulgärökonomisches Schwarz-weiß-Szenario: Für sie stehen auf der falschen Seite die Franzosen, die angeblich wie alle Südländer vor allem unser Geld ausgeben wollen und nur deswegen Reformen und mehr Macht für die EU fordern. Und auf der anderen Seite wir, die sparsamen Deutschen, unterstützt von ein paar noch sparsameren Nordländern. Und deswegen steht jede Veränderung, jedes mehr an Europa oder auch nur jede andere EU unter dem Generalverdacht des Prassen. Die SPD-Führung wiederum scheint sich dieser Erzählung weitgehend angeschlossen zu haben, also sucht Finanzminister Scholz heute lieber das Weite und reist nach Washington.
 
Da ist es dann nur logisch, dass die neue Groko zwar offiziell die Reform der EU, aber de facto keine Macht dafür abgeben will. Also propagiert sie offiziell ein starkes Europa, verschwendet aber wenig Energie auf die Suche nach einem guten Weg. Schlimmer noch, sie hat nicht nur keine Ideen mehr. Sie will auch keine mehr haben, jedenfalls keine wirklich beflügelnden. Die EU, so ist es deutlich zu spüren, ist ihr eine Last. Kompliziert, schwer, teuer, ermüdend. Definitiv nichts, das zum Träumen animiert.
 
Zwar hat Macron in den vergangenen Monaten bewiesen, das das durchaus möglich ist. Er hat eine Wahl mit einem starken Plädoyer für den Euro gewonnen (statt wie der SPD Spitzenkandidat Martin Schulz die Europakompetenz zu verstecken oder wie Merkel Europa schlicht wegzuverwalten). Und er zeigt seither immer wieder, dass ein pro-europäischer Geist viel Energie freisetzen kann. Doch genau das trauen die führenden Figuren in SPD und CDU sich und den Bürgern offensichtlich nicht zu. Und genau deswegen verengen die Kanzlerin, verengt der neue sozialdemokratische Finanzminister Olaf Scholz die Debatte über die EU und ihre Reform so gern auf die Worte: Geld, Wirtschaft und über Finanzen. Und kommen dann zu dem Schluss: Jede große Veränderung ist zu teuer für Deutschland.
 
Das ist, mit Verlaub, so unkreativ, dass man darüber weinen möchte.
 
Träumen wir doch mal einen Moment an ihrer Stelle: Was wäre denn, wenn Merkel den französischen Präsidenten mit folgenden Worten begrüßte: Cher Ami, wir wissen ja beide, dass in Europa vieles nicht so funktioniert, wie es sein sollte. Wir alle haben die Populisten im Nacken, die die EU gern gestern abgeschafft haben und das macht uns allen Angst. Deswegen brauchen wir jetzt Phantasie. Lassen wir also also den Streit um den Finanzminister, die EU-Steuer oder den Haushalt mal einen halben Tag beiseite und reden ganz offen darüber, was wir gemeinsam machen würden – wenn es die EU nicht gäbe. Und was auch besser nicht.
 
Und dann, so träumen wir weiter, würden sich die beiden und ihre Berater einfach ein paar Fragen stellen. Fragen, die viele europäische Bürger bewegen.
 
Wie können wir beispielsweise den amerikanischen Digitalkonzernen die Stirn bieten und unsere Daten besser schützen? Wahrscheinlich geht das gemeinsam besser. Brauchen wir noch eine gemeinsame Agrarpolitik, für die immer noch der größte Teil des EU-Geldes ausgegeben wird, die sich im Großen und Ganzen aber darauf beschränkt, eine umweltschädliche, industrielle Landwirtschaft zu subventionieren? Vielleicht wäre hier eine grundsätzliche Reform gut, und zwar eine, die sich von Land zu Land unterscheidet. Wie können wir den Energiemarkt so umbauen, dass Sonnenstrom aus dem Süden und Windenergie aus dem Norden die fossilen Energien überflüssig machen und das bald schon? Wahrscheinlich braucht es hier mehr EU. Und wie helfen wir den Gegenden in Europa, in denen sich die Menschen abgehängt fühlen und in denen die Populisten immer mehr Leute überzeugen: Können wir dabei von einander lernen?
 
Es gäbe noch viel mehr Themen für das Gespräch, vielleicht andere, vielleicht bessere. Präsident Macron hat einige davon in seiner Rede an der Sorbonne erwähnt. Sie alle würde das Reden über das Geld nicht erübrigen. Aber sie würden ihm Sinn geben.
   
 
 
   
   
 
 
   
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