Freitext: Manfred Rebhandl: Nach der Hölle kommt nichts mehr

 
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18.04.2018
 
 
 
 
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Nach der Hölle kommt nichts mehr
 
Ja, die Pubertät in Österreich, was für eine Naturgewalt! Voller Todessehnsucht, Übermut und Sinnlosigkeit. Davor gab es leider nur eine Rettung.
VON MANFRED REBHANDL

 
© Photofusion / Getty Images
 
Als Heranwachsender suchte ich wie jeder andere Sicherheit und Orientierung, etwas, an dem man sich festhalten kann. Zumal diese Zeit meines Lebens gepflastert war mit Toten, fast wie bei Django: Der Bauer nördlich unseres Hauses erhängte sich, als ich sechs war. Der Sohn des Bauern westlich unseres Hauses erschoss sich wenig später. Die Mutter eines Freundes sprang in die Güllegrube und tauchte nicht mehr auf. Der Sohn eines Freundes meines Vaters, eines Gendarms, erschoss sich mit dessen Waffe. Es war ganz schön was los!
 
Das stellte das Leben als solches für uns Heranwachsende gewissermaßen unter Generalverdacht. Die hohen Berge ringsherum, das tiefe Elend inmitten? Oder doch etwas ganz anderes?
 
Von den Großen kam dazu nicht viel als Antwort. Niemand aß glutenfrei damals, um besonders lange zu leben, das war einfach kein Ziel; auch war niemand durch das Betrachten von Kunst im Museum so verstört, dass er sich deswegen gleich umbringen musste. Von den Großen kam dazu also nur Schulterzucken und irgendetwas mit „der Herrgott“. Und dann: „Geht’s wieder spielen!“
 
Sie rauchten dabei ihre Zigaretten, denn Zigaretten gaben Sicherheit, und die brauchten sie selbst. Die Zigaretten hießen Hobby, Smart oder Milde Sorte und kamen noch aus der staatseigenen Austria Tabak. Staatseigentum gab auch Sicherheit. Wir rauchten sie bald selbst und wollten dabei so cool aussehen wie die Erwachsenen.
 
Irgendeinen Sinn musste das Leben ja haben
 
Dann kamen die ersten deutschen Gäste ins Tal und brachten Stuyvesant und Ernte 23 mit, den Duft der großen, weiten Welt! Hamburger Hafen und Osnabrück, das sollte man sich mal anschauen, später. Sie kamen in ihren Audis 100 C1 in schönem Rostbraun oder sattem, dunklem Grün, und setzten dem Trend zum Selbstmord für uns Heranwachsende etwas bis dahin Ungekanntes entgegen: Schönheit und Stil. Was für herrliche Autos die Deutschen damals bauten! Solche wollten wir irgendwann haben.
 
Allerdings kamen viele dieser Audis und BMWs erst gar nicht bei uns an, das war ein kleiner Rückschlag für einen Pubertierenden. Sie landeten zerknüllt im Straßengraben oder wickelten sich um einen Brückenpfeiler. Die Deutschen näherten sich unserem engen Tal nämlich über die sogenannte Gastarbeiterroute, die an unserem Ort vorbeiführte, von Norden nach Süden und umgekehrt.
 
Die Straßen waren damals ein Schlachtfeld, Todesursache: Rasen in Kombination mit Selbstüberschätzung. Airbag und Sicherheitsgurt gab es nicht, denn – siehe oben – ein übertrieben langes Leben war niemandem ein großes Anliegen. Es herrschten einfach andere Götter damals, wie der Philosoph Robert Pfaller nie vergisst zu erwähnen: kleine, feine Götter der Sorglosigkeit und des Übermutes, wie sie die Antike kannte; Götter, die auch mal besoffen waren oder zu schnell unterwegs, und die das Risiko nicht scheuten. In der Rockmusik, die damals auch in unser Leben schwappte, ging die dazu passende Zeile so: Born to be wild. Irgendeinen Sinn musste das Leben ja haben.


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