Stille Helden am Stammtisch, danke!Auf dem Sonderparteitag ließ sich Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin der CDU wählen. Sie hielt eine tolle Rede voller Quark und Murks. VON MELY KIYAK |
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Wie eine Daunenfeder im Himmel sieht sie aus. Strahlend weißes Jackett vor blauer CDU-Parteitagskulisse, so steht sie da und erinnert an Rita Süssmuth in jungen Jahren. Annegret Kramp-Karrenbauer hält auf dem Sonderparteitag eine Rede, in der sie so tun muss, als ob sie sich für den Posten der Generalsekretärin bewerben müsse. Muss sie aber nicht. Personalentscheidungen werden in der CDU traditionell nicht diskutiert, sondern exekutiert. Sie steht also da und könnte reden, was und wie sie will. Sie beginnt irgendwo bei Adam und Eva. Dass sie eine Ministerpräsidentin sei, die mit soundsoviel Prozent bestätigt wurde. Dass irgendwer irgendwen anrief und irgendetwas fragte. Sie will eigentlich sagen: "Ich habe es nicht nötig, als Generalsekretärin zu arbeiten, ich mache es trotzdem." Während man ihr zuschaut und etwas mitfiebert, weil man ihre Nervosität spürt, bemerkt man, dass sie bereits die gleichen auffälligen Knöpfe auf der Brust trägt, wie man sie vom Kanzlerinnenjackett kennt. Die Minuten ziehen sich. Unter dem Mikrofonständer ist ein Slogan angebracht. Das ist ja immer so, dass auf Parteitagen irgendwo in der Kulisse ein paar Worte herumstehen. Direkt unter Kramp-Karrenbauers Mund liest man: "Aufbruch. Dynamik. Zusammenhalt." Der Saal tobt Zu hören bekommt man Gedanken wie diesen: "Wir alle erleben und spüren es, dass wir in einer Zeit leben, die so unruhig ist, und deshalb kommt es im Leben …", man diszipliniert sich und ist willens zuzuhören, wozu es im Leben kommt, aber die Konzentration verheddert sich in den Wortschleifen. Stabilität. Man hört es fünfmal hintereinander. Kramp-Karrenbauer dekliniert den Begriff durch. Die Menschen sehnen sich nach Stabilität. Alles solle stabil bleiben. Möglicherweise handelt es sich um Yin und Yang. Stabilität und Aufbruch. Na gut, warum nicht. Der erste Teil endet mit dem rhythmischen Versprechen "Ich kann, ich will und ich werde!". Der Saal tobt. Männerüberschuss. Jubel in Bariton. Sie wolle sich in den Dienst der Partei stellen, weil sie denjenigen etwas zurückgeben wolle, denen sie alles zu verdanken habe. Sie stutzt kurz und merkt, dass dieses Bekenntnis etwas dicke rüberkommt und präzisiert. Politisch, fügt sie an. Sie habe alles, was sie politisch erreicht habe, der Partei zu verdanken. Zum Beispiel denjenigen, die vor dem Werktoren Flugblätter verteilten. Na ja, Flugblätter vor den Werktoren verteilen, ist vielleicht nicht ganz so anstrengend, wie hinter den Werktoren an den Maschinen zu arbeiten. Aber man will als Zuhörer nicht kleinlich sein. Der Jubel von eben trägt sie. Sagt sie auch gleich. Sie dankt denen, "die mich trugen". Vor allem aber dankt sie, und das ist wirklich eine Überraschung, den "stillen Helden an den Stammtischen". Warum dankt sie den stillen Helden an den Stammtischen? Weil sie sich "nicht zurückgezogen haben, auch wenn die Angriffe unter die Gürtellinie getragen sind". Wir sind hier auf einem Sonderparteitag der CDU, und da ist es nie verkehrt, den Stammtisch zu loben. Grund und Anlass, egal! Grammatik auch. Wie wird es in Europa, und was hält uns zusammen? Kramp-Karrenbauer skizziert, was "die Menschen" bewegt. Das ist ja neuerdings eine olympische Disziplin unter Politikern wie auch unter Politikberichterstattern. Jeder meint zu wissen, was "die Menschen umtreibt". Und weil die künftige Generalsekretärin jetzt nicht alle Fragen erörtern kann, die man sich "da draußen stellt", fasst sie zusammen: "Menschen stellen Fragen, wir müssen antworten." Fragen, Fragen, Fragen Weil es ohne konkrete Beispiele doch nicht geht, fallen sie als Stichworte, die Unternehmer, die Alleinerziehenden, ja sogar das Ehepaar, das sich aus Sicherheitsbedenken nicht traut, U-Bahn zu fahren. Die CDU will für sie alle da sein. Denn sie alle haben Fragen. Die Kirchenmitglieder, die Arbeitnehmer, auch die ganz spezielle Klientel, die gleichzeitig Mitglied in der Jungen Union und beim NABU sind. Junge Union und NABU? Verrückt. Die Hälfte der Redezeit ist um, die wichtigsten Elemente einer CDU-Sonderparteitagsrede sind fast abgehakt, Kirche, Stammtisch, Digitalisierung. Doch vor allem: Fragen, Fragen, Fragen. Deutschland läge in Schutt und Asche Zeit für den heiklen Teil, nämlich das berühmte christliche Menschenbild. Es soll künftig Kompass für politisches Handeln sein. Klar könnte man auch ein griechisches oder humanistisches, antikes oder modernes Menschenbild anstreben, aber weil keine Zeit für theologische Diskurse ist, muss es fürs Erste reichen, zu verkünden, dass das christliche Menschenbild genau das richtige Menschenbild sei. Kramp-Karrenbauer macht jetzt Margot-Käßmann-Gesten: Aus diesem Menschenbild "haben wir unsere Wurzeln entwickelt". Das ist aber noch nicht alles. Hinter jeder dieser Wurzel stehen schon wieder Fragen. Und auf diese konkreten Fragen, die hinter den Wurzeln lauern, gelte es, man ahnt richtig, konkrete Antworten zu geben, denn, Hammerhausaufgabe, "wir sind nur dann stark, wenn wir alle unsere Wurzeln bespielen". Das ist es also, was die CDU künftig tun wird. Sie wird die Wurzeln nach allen Regeln der Kunst bespielen. Die 900.000 Wähler, die man an die AfD, und die 1,4 Millionen, die man die FDP verlor, gelte es zurückzuholen. Natürlich "mit den richtigen Fragen". Die CDU sei nämlich "der Ort, wo um Zukunft gerungen wird", jetzt schnell wieder Antworten geben. Wenn die abtrünnigen FDP-wählenden Handwerker – es folgt ein sehr anspruchsvolles Sprachbild – nach dem Motto "besser nicht regieren, als falsch regieren" handeln würden, dann läge Deutschland nun in Schutt und Asche. Irgendwie schafft Kramp-Karrenbauer es, in diesem Trümmerdeutschland die Olympischen Spiele, den Eishockey und die Medaille unterzubringen und schließt mit der Aufforderung, "mitzutun". Daraufhin springt das gesamte Präsidium von den Stühlen auf, die Delegierten applaudieren minutenlang. Aber nicht mechanisch und pflichtbewusst, sondern aufrichtig und engagiert. Und wie sie da schon wieder so unbeholfen im blauen CDU-Himmel steht und verzweifelt bittet, dass alle wieder Platz nehmen sollen, denkt man sich, selten so einen Quark und Murks gehört. David McAllister hingegen ist hingerissen, beugt sich zu ihr, um ihr ein saftiges schottisches Küsschen zu geben, ja selbst Ursula von der Leyen herzt von der anderen Seite, und zugegeben, man findet sich in Annegret Kramp-Karrenbauers Fabelwelt voller Menschen, Fragen und Antworten nicht wieder, aber es spielt keine Rolle. Sie wurde gewählt, und darum ging es doch.
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