Es gehört nicht viel dazu, um in den USA auch eine nur klitzekleine Verschärfung der Waffengesetze als "historischen Erfolg" zu feiern. Zum Beispiel in Florida, wo vor wenigen Wochen ein 19-Jähriger in einer Schule 17 Menschen erschoss.
Noch bis vor wenigen Tagen waren dieser südliche Bundesstaat und sein republikanischer Gouverneur Rick Scott die Lieblinge der Waffenlobby NRA. Besaß Florida doch weit und breit die laxesten Gesetze – und hatte der Staat den Waffenwahnsinn die letzten zwanzig Jahre mit aller Macht verteidigt. Doch am vergangenen Freitag unterzeichnete Gouverneur Scott ein vom Parlament mehrheitlich beschlossenes Gesetz, das die einen jubeln und
die NRA vor Wut schäumen lässt. Dabei gibt es fortan nur drei sehr geringfügige Verschärfungen: Das gesetzliche Alter eines Waffenkäufers wurde von 18 auf 21 Jahre heraufgesetzt. Um Käufer besser ausleuchten zu können, wurde die Frist zwischen dem Erwerb und der tatsächlichen Inbesitznahme einer Schusswaffe auf drei Tage erhöht. Und verboten sind jetzt sogenannte
bump stocks, also technische Vorrichtungen, mit denen sich eine ähnlich hohe Schussfolge erreichen lässt wie mit einem Maschinengewehr.
Worauf sich die Parlamentarier jedoch nicht einigen konnten, was aber bitter nötig gewesen wäre und von vielen Schülern in Florida gefordert wurde: ein Verbot sogenannter Sturmgewehre wie zum Beispiel des AR-15. Eine solche halbautomatische Todesmaschine benutzte nicht nur der Schütze von Florida, damit schossen in den vergangenen Jahren viele Amokläufer um sich: zum Beispiel in der Kirche von Sutherland Springs, beim Open-Air-Konzert in Las Vegas, in einer Diskothek in Orlando, in einer Sozialeinrichtung in San Bernardino, in der Grundschule in Newtown und in einem Kino in Aurora.
Die Mehrheit will etwas ändern Ebenso wenig konnten sich die Abgeordneten zu einer Kapazitätsbegrenzung von Gewehrmagazinen durchringen. Besonders beliebt sind jene, die bis zu hundert Schuss enthalten und darum nur selten nachgeladen werden müssen.
Was in Europa bisweilen im Entsetzen über die Waffenliebe auf der anderen Seite des Atlantiks untergeht: Die große Mehrheit der US-Amerikaner – 70 Prozent – ist für ein Verbot von Sturmgewehren und eine Einschränkung von Magazinen. Sie ist auch für eine weit strengere Überprüfung von Waffenkäufern.
Diese 70 Prozent leben nicht nur an den Küsten und in den liberalen großen Städten. Wer in den USA über Land fährt, durch den berühmt-berüchtigten Mittleren Westen, der trifft dort durchaus auf etliche Waffenbesitzer, die nachdenklich geworden sind. Zum Beispiel im Bundesstaat Wisconsin. Dort hat die Hälfte der Einwohner ein Gewehr. Wisconsin ist ein Staat der Jäger und Sportschützen, dort hat die NRA besonders viele Anhänger.
Doch in dem kleinen Städtchen Plaine du Sac begegnet man zum Beispiel dem Waffenladenbesitzer und Trump-Wähler Jeff Rekob, Nachfahre deutscher Einwanderer und seit ewig in der NRA. Ginge es nach ihm, gehörten Sturmgewehre aus den Regalen verbannt und Magazine auf fünf Schuss begrenzt. "Wenn wir Waffenbesitzer jetzt nicht endlich einlenken und uns verantwortlich zeigen", sagt er, "wird sich die junge Generation bald gegen uns wenden".
Wie Rekob spricht auch der 65-jährige Dan Anderson, der 100 Kilometer weiter westlich ein Geschäft für Motorsägen betreibt. Im Laden liegt stets ein Gewehr, ein weiteres hinter dem Sitz seines Pickups. Anderson ist mit Schusswaffen groß geworden, bereits mit acht Jahren nahm ihn sein Großvater mit auf die Jagd. Der Aufstand der Schüler in Florida hat ihn beeindruckt. "Es muss etwas geschehen", sagt er, "so kann es nicht weitergehen".
Um die Ecke von Andersons Laden, zwischen den Hügeln am Rande des Mississippi, betreibt der 80-jährige Darrel Tennet seit Jahrzehnten einen Schießstand. Erst im Freien, dann baute er mit anderen eine Halle. Einer seiner Schüler steht kurz davor, Landesmeister zu werden. "Die NRA", sagt das NRA-Mitglied, "ist zu extrem, zu radikal geworden. Es muss doch Kompromisse geben".
Ein radikaler Gegner Und genau hier liegt das Problem. Eine große Mehrheit fordert zwar Verschärfungen, doch ihr Wille kann sich nicht in Politik umsetzen. Das liegt an Zweierlei: an der zu großen Macht der NRA – und an der zu kleinen der Waffenskeptiker.
Die NRA ist ein Kampfverband. Sie hat viel Geld, vor allem aber hat sie eine sehr engagierte und schnell in Rage zu bringende radikale Anhängerschaft. Wollen irgendwo Politiker die Waffengesetze verschärfen, werden die Truppen in Bewegung gesetzt und machen Abgeordneten und Senatoren die Hölle heiß.
NRA-Mitglieder, so zeigen alle Umfragen, gehen auch meist zur Wahl – und sie wählen vor allem aus dem einen Grund, ihr möglichst uneingeschränktes Recht auf Waffenbesitz zu verteidigen. Die andere Seite hingegen wählt aus vielen unterschiedlichen Gründen. Der Wunsch auf stärkere Waffenkontrolle steht dabei meist nicht oben auf der Agenda, sondern rangiert unter ferner liefen.
Auch die Waffenskeptiker und -kritiker haben inzwischen viel Geld, sie sind aber keine
so gut organisierte Graswurzelbewegung wie die NRA. Das zeigte sich zum Beispiel vor einiger Zeit in Colorado. Nachdem dort 2012 ein Amokläufer in einem Kino von Aurora zwölf Menschen erschossen hatte, beschloss der Kongress des Bundesstaates ein strengeres Waffengesetz. Die große Mehrheit der Einwohner war dafür.
Die NRA lief Sturm und sammelte alsbald genügend Unterschriften, um eine Abwahl von zwei Senatoren der Demokratischen Partei durchzuführen. Laut Umfragen hatte das Vorhaben zunächst keine Chance. Doch am Wahltag blieben die meisten Wähler daheim – außer den NRA-Mitgliedern. Sie erschienen zahlreich und sorgten dafür, dass die zwei Waffenkritiker im Senat von Colorado ihre Sitze räumen mussten. Eine knappe Mehrheit hatte für die Abwahl gestimmt.
So gesehen ist die auch nur kleine Verschärfung der Waffengesetze in Florida jetzt durchaus ein Erfolg. Vor einiger Zeit wäre das wohl noch nicht möglich gewesen. Und dennoch: Wenn eine kleine, radikale Minderheit den politischen Prozess immer wieder derart dominieren und sabotieren kann wie die NRA, dann steckt der Wurm im System.