10 nach 8: Christina Baniotopoulou übers Scheitern

 
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28.03.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Frauen stürzen nicht ab
 
Manche Männer kapitulieren vor ihrer Drogensucht und richten sich in der Abhängigkeit ein. Für Frauen ist dieses Scheitern, die Selbstaufgabe ein gesellschaftliches Tabu.
VON CHRISTINA BANIOTOPOULOU

Ein Nachttisch voller Mittelchen: Marie Bäumer als Romy Schneider in "Drei Tage in Quiberon" © Prokino Verleih
 
Ein Nachttisch voller Mittelchen: Marie Bäumer als Romy Schneider in "Drei Tage in Quiberon" © Prokino Verleih
 

Eine unglückliche Frau mit nur 42 Jahren. Der Film Drei Tage in Quiberon, der am 12. April in die Kinos kommt, behandelt nicht nur die versoffene Periode eines an Exzessen nicht armen Lebens, sondern den freien Fall der Romy Schneider, die sich für die rücksichtslose Demontage ihrer selbst entschieden hat. Und das ganz bewusst. Romy Schneider ist im Jahr 1981 nicht nur alkohol-, sondern auch pillensüchtig, ihre Ehe ist gescheitert, die Beziehung zu ihrem Sohn instabil und nur durch flüchtige, hektische Telefonate zusammengehalten. Ihre Lebensfreude scheint verschwunden zu sein, sie ist eine zerrissene Person.

Romy Schneider begibt sich in eine Entzugsklinik in der Bretagne, aber man kann sich vorstellen, dass sie das nur halbherzig tut. Die destruktive Kraft in ihr ist mächtiger als jegliche externe Motivation. Sie säuft im Bett, frisst die Zigaretten und greift beherzt nach den Schlaftabletten auf dem Nachtisch.

Die Freiheit erfordert bekanntermaßen Anständigkeit und Mut. Das Scheitern auch. Die Freiheit zum Scheitern scheint aber keine Option für Frauen zu sein. Sie ist, um Lenin zu paraphrasieren, bloß ein männlich-chauvinistisches Vorurteil. Eine süchtige Frau ist eine Außenseiterin, das Abstoßendste, was man sich vorstellen kann. Selbst in einer liberalen Gesellschaft. Irgendetwas in der weiblichen Natur, vielleicht ihre Vorsehung als Mutter oder die Illusion einer madonnenhaften Reinheit, verträgt sich einfach nicht mit solch einem Lebensstil. Soweit das Vorurteil.

Die Schriftstellerin Marguerite Duras, selbst ein traumatisiertes Wesen, das immer wieder in die Tiefen der Sucht getaucht war, kleidete dieses Phänomen einmal schön in Worte: "Eine trinkende Frau, das ist, wie wenn ein Tier, ein Kind tränke. Der Alkoholismus wird mit der trinkenden Frau zum Skandalon: eine Alkoholikerin, das ist selten, das ist schlimm. Da wird die göttliche Natur verletzt."

Das schrieb Duras Ende der Achtzigerjahre, aber bis heute bleibt ihr Zwischenruf genauso präzise und unumstößlich wie damals. Die Abhängigkeit als Lebensentscheidung, die Drogen- oder Alkoholsucht bleibt – gesellschaftlich gesehen – für Frauen ein Tabu. Süchtige Frauen müssen nicht nur mit ihren Dämonen kämpfen, sie müssen auch die kollektive Abscheu ertragen.

Das Scheitern der Männer hingegen, in der Kunst oder auch im realen Leben, wird zumeist romantisiert.  Wie eine Don-Quijote’sche Flucht aus der Realität. Die Windmühlen drehen sich unaufhaltsam für sie. Sei es für den Konsul – der Protagonist von Malcom Lowrys Säuferbibel Unter dem Vulkan, sei es für den Hardcore-Schlucker Don in Charles R. Jacksons The Lost Weekend oder für Nicolas Cage in der Verfilmung des Trinker-Requiems Leaving Las Vegas. Als Soundtrack dienen ihnen Songs wie die von Tom Waits, dessen Stimme in Whiskey getränkt ist: The Piano Has Been Drinking. Diese Männer gelten als sich selbst aufopfernde Revolutionäre, gescheiterte Helden eines Kampfes gegen die Fesseln des Alltags. 

Elizabeth Taylor wiederum als alkoholsüchtige Ehefrau im Film Wer hat Angst vor Virginia Woolf? wirkt bestialisch, wenn sie mit einem Glas Gin in der Hand und mit schriller Stimme ihren Gatten Richard Burton provoziert: "Wirst du wütend, Liebling? Wirst du wütend, Liebling?"

Und Meg Ryan im Film When A Man Loves A Woman ist eine weitere Repräsentantin der latent aggressiven, kollektiven Haltung gegenüber dem weiblichen Scheitern. Im Zentrum des Films steht nicht sie als verwundete Person oder die Frage, was sie mit dem Alkohol zu vergessen oder zu verdrängen versucht, sondern die Vernachlässigung ihrer Töchter. Und die damit verbundenen Eheprobleme. Ihr Scheitern erlaubt weder eine Romantisierung noch einen Einblick in ihre psychische Labilität. Sie wird auf ihre Rolle reduziert – die einer rücksichtslosen, kranken Mutter.

Alkohol ist ein einsamer Sport

Man könnte jetzt einwenden, das seien nur fiktive Beispiele, das wahre Leben sei weniger brutal. Dem ist aber nicht so. In einer Charlottenburger Kiezkneipe, in die ich gern gehe, weil man dort noch rauchen kann, sehe ich oft eine Frau, sie ist vielleicht Anfang 60. Egal zu welcher Uhrzeit man sich durch den dichten Rauch am Tresen vorbeischiebt, sitzt sie allein an einem Tisch. Vor sich eine Flasche alkoholfreien Biers und einen kleinen Schwenker Asbach Uralt. Das Pils, das ja streng genommen keines ist – höchstens ein Alibi –, ist im Glas längst schal geworden, der Schaum in sich zusammengesackt. Den Weinbrand wiederum trinkt sie mit dem Tempo eines routinierten Säufers. Eins, zwei, drei, manchmal fünf Gläser kippt sie hinunter, und dann murmelt sie etwas über einen Sohn, den sie nicht mal mehr auf der Straße erkennen würde. Sie habe ihn zum letzten Mal vor zehn Jahren gesehen, lallt sie. Die anderen Stammgäste – eine Clique Alkoholiker männlichen Geschlechts – sprechen kaum mit ihr, würdigen sie keines, und wenn, dann nur eines abschätzigen Blickes. Ich beobachte sie. Sie wirkt wie gefangen, in einem engen, durchsichtigen Käfig, jeder kann ihr Leiden sehen, aber für Trost gibt es keinen Platz. Schon gar nicht neben ihr.

Und dann gibt es die elegant gekleidete Frau, die an mehreren Nachmittagen unter der Woche ein ganz bestimmtes Restaurant in der Kantstraße in Berlin besucht. Sie bestellt eine Flasche Champagner, sitzt allein am weiß gedeckten Tisch, nur mit einer Zigarette in der Hand, und beobachtet die Menschen. Wer von ihnen traurig ist, erkennt sie sofort. Und wenn ihr Glas leer und das Restaurant langsam voller wird, geht sie nach Hause. Als ich sie einmal fragte, warum sie immer so früh heimgehe, sagte sie: "Ich will das Mitleid der Anderen nicht sehen. Außerdem ist Alkohol ein einsamer Sport".

Eine solche Lebensweise erfordert also Einsamkeit und Mut. Sie verlangt nicht nur eine körperliche Kraft, sondern auch ein brennendes selbstzerstörerisches Bedürfnis. Wie kann man sonst die unkontrollierte Selbstoffenbarung vor Fremden, die psychische Entblößung, den Gedächtnisverlust, die innere Isolierung, das Mitleid ertragen? In einer Gesellschaft, wo ihr Leiden als moralisches Problem und nicht als subjektive Tragödie wahrgenommen wird, sind Frauen aber immer auch der zusätzlichen gesellschaftlichen Aversion ausgesetzt.

Ingeborg Bachmann, die selbst alle Nuancen von Sucht und Destruktion kannte, beschrieb die psychische Konstellation einer süchtigen Frau einmal in einem Gedicht:
"In meiner Trunkenheit kann ich nur Immerwährendes denken / Und über die Tage lächeln und über die Menschen, die sterben… / In meiner Trunkenheit kann ich nur maßlos sein / Und trinken und nehmen und dauern."

Alkohol als Einwegticket ins Exil der Gescheiterten. Immerwährende Freiheit. Endlich.


Christina Baniotopoulou geboren 1990 in Thessaloniki, Griechenland ist Psychologin. Sie lebt seit 2011 in Berlin. Gerade macht sie die psychotherapeutische Ausbildung. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".


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