10 nach 8: Tanja Tabbara über Rohstoffe

 
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23.03.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Es ist unser Land!
 
Westliche Industrienationen betreiben Bergbau in Südafrika, der dem Land und der Bevölkerung mehr schadet als nützt. Die betroffenen Gemeinden fordern Selbstbestimmung.
VON TANJA TABBARA

Die Frauen der Minenarbeiter kämpfen für mehr Mitspracherecht. Am 16. August 2017 jährte sich das Massaker von Marikana zum fünften Mal, hier sieht man die Witwen auf dem Weg zur Gedenkfeier. © Gulshan Khan/AFP/Getty Images
 
Die Frauen der Minenarbeiter kämpfen für mehr Mitspracherecht. Am 16. August 2017 jährte sich das Massaker von Marikana zum fünften Mal, hier sieht man die Witwen auf dem Weg zur Gedenkfeier. © Gulshan Khan/AFP/Getty Images
 

Woher kommt eigentlich das Platin in unseren Handys? Woher nehmen wir Titan für die Schmuckindustrie? Und zu welchem Preis das alles? Die Antworten darauf liegen in Afrika. Nicht umsonst heißt es auf dem Kontinent, die Rohstoffe seien ein Fluch – und kein Segen. Kolonialismus und Apartheid stützten sich einst auf den Bergbau und die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte. Heute ist es die neoliberale Ökonomie, die die Ausbeutung durch transnationale Unternehmen begünstigt. Auch deutsche Unternehmen sind daran beteiligt.

2012 kamen mehr als 40 streikende Bergarbeiter bei Protesten im südafrikanischen Marikana ums Leben. Bis heute wurden nicht alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. Das britische Unternehmen Lonmin, das die dortige Platinmine betreibt, hatte Zusagen gemacht, die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Bergarbeiter zu verbessern, ist dem aber laut einem Bericht von Amnesty International bisher nicht nachgekommen. Auch das deutsche Unternehmen BASF trägt als Hauptabnehmer des Platins eine Mitverantwortung für die Achtung der Menschenrechte im Rahmen seiner Lieferkette. Die Kampagne Plough Back the Fruits fordert daher auch von BASF eine Entschädigung für die Hinterbliebenen der Opfer von Marikana.

Bislang wird es Unternehmen mit Niederlassungen im globalen Süden nämlich weitgehend selbst überlassen, dort dieselben Standards wie in ihren Heimatländern anzuwenden. Nationale Aktionspläne halten zwar dazu an, auch dort die Sorgfaltspflicht ernst zu nehmen, aber verbindlich ist das nicht. Immerhin gibt es Juristen, die sich dafür einsetzen, das internationale Recht an dieser Schwachstelle verbindlicher zu gestalten. Über ein entsprechendes Abkommen der Vereinten Nationen wird zur Zeit erhitzt auf internationalen Bühnen verhandelt.

Akhona Mehlo kämpft dafür, dass dabei auch die besondere Situation von Frauen bedacht wird. Ich traf sie im Februar bei einem Workshop während der Alternative Mining Indaba (AMI) in Kapstadt. Mehlo arbeitet für ein Rechtszentrum in Johannesburg und setzt sich dafür ein, dass die UN-Verträge nicht, wie es so schön heißt, "genderblind" ausfallen. Auch Judy Seidman, die zum Thema Frauen und Bergbau forscht, erzählte im Workshop, dass Frauen von den Mitbestimmungsprozessen meist ausgeschlossen seien. Dabei sind auch sie von den Menschenrechtsverletzungen im Bergbau stark betroffen: Sie müssen die schlechten Löhne der Männer kompensieren und sich gleichzeitig allein um die Familie kümmern, die oft weit entfernt von den Minen lebt. Durch die Kontaminierung von Boden und Wasser können sie der Land- und Viehwirtschaft nicht mehr nachgehen. Werden die Männer von der harten Arbeit in der Mine krank, müssen sie versorgt werden, und wenn sie früh sterben, liegt wiederum alle Verantwortung bei den Frauen.

Die negativen Auswirkungen des Bergbaus drohen seit geraumer Zeit auch den Menschen in Xolobeni, in Pondoland. Xolobeni liegt an der Wild Coast des Eastern Cape in Südafrika. Die Gegend ist für ihre Artenvielfalt bekannt. Der Landstrich mit seinen sechs Flüssen beherbergt viele Tierarten und die Menschen in der Region leben hauptsächlich von Land- und Viehwirtschaft. Auch die Umweltaktivistin Nonhle Mbuthuma stammt aus Pondoland. Seit Jahren setzt sie sich unermüdlich gegen den Bergbau in ihrer Region ein. Und auch sie sprach darüber im Februar bei einer Sitzung zu den Mitbestimmungsrechten lokaler Gemeinschaften auf der AMI. Über die fatalen Folgen, die ein geplantes Bergbauprojekt für ihre Heimat hätte.

Kampf dem Bergbau

Zunächst würden die Menschen aus Xolobeni aus dem etwa 22 Quadratkilometer großen Gebiet umgesiedelt, sagt Mbuthuma. Ihre Toten müssten ausgegraben werden. Land und Flüsse würden von den Folgen des Titanabbaus vergiftet. Und es wäre vorbei mit Landwirtschaft, gutem Wasser und Gesundheit. Straßen würden zwar gebaut, doch voraussichtlich nur solche, auf denen das Titan schnell abtransportiert würde. Keine Verbindungsstraßen für die lokale Bevölkerung. Und Jobs? Kurzfristig stünden mehr zur Verfügung, vielleicht. Doch die Erfahrungen vom Bergbau in Südafrika zeigen, dass die Menschen in der Regel ausgebeutet werden und kaum davon leben können – von den gesundheitlichen Problemen der Arbeit ganz zu schweigen. Auch die Zerstörung des Landes wäre nicht mehr umkehrbar, wenn das Titan nach vielleicht 20 Jahren abgebaut wäre. Es gibt also gute Gründe, aus denen Mbuthuma sich als Sprecherin des Amadhiba Krisenkomitees gegen das Minenprojekt einsetzt.

Sie ist eine zierliche Person, doch wenn sie spricht, wirkt sie groß und kraftvoll. Mbuthuma ist es gewohnt, vor vielen Menschen zu reden. Schon mit zwölf Jahren ging sie das erste Mal zu den Versammlungen ihrer Dorfgemeinschaft, an der bis dahin nur die Dorfältesten teilnahmen. Kurz darauf brachte sie andere junge Leute zu den Versammlungen mit. Heute sei ihr Einfluss so groß, dass sie sowohl der südafrikanischen Regierung als auch den Bergbauunternehmen ein Dorn im Auge sei, erzählt sie mir Interview. Vor zwei Jahren wurde ihr Mitstreiter, Sikhosiphi Rhadebe, getötet. Auch sie lebe seit Jahren mit Morddrohungen, sagt Mbuthuma und niemals lange am selben Ort. Alle wissen, dass es ohne charismatische Führungsfiguren wie sie keine Proteste gegen den Bergbau in Pondoland gäbe.

Laut südafrikanischem Gewohnheitsrecht, das nach Auffassung der Aktivistinnen von der Verfassung anerkannt ist, müssen die Unternehmen die Zustimmung der lokalen Gemeinschaft für den Bergbau einholen. "Sie wollten uns alle dazu zu bringen, auf Fragebögen unser Kreuz zu machen", sagt Mbuthuma. Doch das entspricht nicht dem Mitbestimmungsrecht. Denn danach müssen die Gemeinschaften "frei, vorher und informiert" (free, prior and informed consent) ihre Entscheidung für oder gegen den Bergbau treffen können. Die überwiegende Mehrheit in Xolobeni ist dagegen. Trotzdem habe die Regierung bereits 2008 erste Bohrungen gestattet, obwohl die Zustimmungen aus der Gemeinschaft fehlten, so Mbuthuma. Doch auch wenn das Gewohnheitsrecht auf Seite der lokalen Gemeinschaften steht: Es muss erst noch von einem Gericht bestätigt werden. Sollte das Oberste Gericht dies am 23. April in Pretoria tatsächlich für Amadhiba tun, wäre das ein bahnbrechendes Urteil für alle lokalen Gemeinschaften in Südafrika, die gegen Bergbau kämpfen.

Bislang hält die südafrikanische Regierung den Bergbau nämlich trotz sozialer und ökologischer Probleme für ein positives Entwicklungsmodell. Ungeachtet der Tatsache, dass viele lokale Gemeinschaften kein vom Bergbau geplündertes Land mehr wollen. Sie fordern eine selbstbestimmte Entwicklung, bei der die betroffene Bevölkerung mitwirken kann, nicht eine "Entwicklung von oben nach unten". Die Amadhiba Gemeinschaft steht hier exemplarisch für viele andere: "Das Land ist unsere Identität", sagt Mbuthuma. "Niemand kann uns etwas darüber beibringen. Wenn es um unser Land geht, sind wir die Experten." Die Bewohner von Xolobeni sehen sich als Teil des ökologischen Systems und haben entsprechend Einkommensquellen erschlossen, die im Einklang mit der Natur und der Artenvielfalt stehen. Ökologische Landwirtschaft und Ökotourismus sind für sie zukunftsträchtige Entwicklungswege, die sie ausbauen wollen  – wenn der Kampf gegen den Bergbau erst einmal gewonnen ist.
 

Tanja Tabbara ist Islamwissenschaftlerin und Juristin. Sie hat viele Jahre in Ägypten, dem Libanon und den palästinensischen Gebieten gelebt. Heute leitet sie das Afrikareferat der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".


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