Fünf vor 8:00: Noch fehlt der prägende Satz - Die Morgenkolumne heute von Martin Klingst

 
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FÜNF VOR 8:00
19.03.2018
 
 
 
   
 
Noch fehlt der prägende Satz
 
Frank-Walter Steinmeier ist seit einem Jahr Bundespräsident. In den "Bewährungsjahren der Demokratie" wird er deutlicher werden müssen - etwa in der Islamdebatte.
VON MARTIN KLINGST
 
   
 
 
   
 
   
Als sich vergangene Woche die Mitglieder der neuen großen Koalition im Schloss Bellevue zum Foto aufreihten, machte vor allem einer ein zufriedenes Gesicht: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Ihm ist es in erster Linie zu verdanken, dass sich die gebeutelte und von den Wählern hart abgestrafte SPD noch einmal in die Regierungspflicht nehmen ließ.
 
Manche mögen jetzt sagen: Typisch Steinmeier, von ihm habe man auch nichts anderes erwarten können. Schließlich sei er, der ewig besonnene und austarierende Risikovermeider, die perfekte Personifizierung einer großen Koalition.
 
Daran ist durchaus manches wahr. Man kann es aber ebenso gut anders sehen: Steinmeier hat Mut bewiesen und in einem für Deutsche ungewohnten Moment der Orientierungslosigkeit in seiner beharrlich-bedächtigen Art einen Weg gewiesen. Steinmeier ist auch nicht in die Falle zwei seiner Vorgänger getappt, die sich – bis an die Grenze der Verfassungsverträglichkeit – vor den Karren der Regierung spannen ließen und auf deren Wunsch hin den Weg für Neuwahlen freimachten.
 
Steinmeier ist am heutigen Montag seit genau einem Jahr Bundespräsident. Bei seinem Amtsantritt warnte er vor einer Lähmung der Demokratie und davor, dass wachsende Kompromisslosigkeit und Absolutheitsansprüche die Lösung von Problemen immer häufiger blockierten und politische Parteien dadurch regierungsunfähig würden. Überall auf der Welt könne man beobachten, wie Demokratien aus dem Gleichgewicht gerieten. Er wolle darum als Bundespräsident "parteiisch für die Sache der Demokratie" werden, versprach Steinmeier im März 2017.
 
Indem er seine SPD trotz der herben Verluste bei der Bundestagswahl an ihre staatspolitische Verantwortung erinnerte, half er der Republik aus einer schwierigen Situation. Vielleicht wäre eine Jamaika-Koalition die frischere, mutigere Option gewesen. Aber dass dieses Bündnis nicht zustande kam, lag nicht an Steinmeier – und nicht an den Sozialdemokraten.
 
Zurecht sagte der Bundespräsident, man könne das Volk nicht so lange wählen lassen, bis den Parteien das Ergebnis passe. Wahlen dienten dazu, eine Regierung zu bilden.

Das Grundgesetz gewährt dem Bundespräsidenten eigentlich nur eine Möglichkeit, selber in das politische Geschehen einzugreifen: Wenn die Gefahr besteht, dass im Bundestag keine Kanzlermehrheit zustande kommt. Beherzt ergriff der Bundespräsident diese Chance. Der Augenblick, da Jamaika scheiterte, wurde zu Steinmeiers Sternstunde.
 
Aber dieser Moment ist inzwischen Vergangenheit, die Präsidentschaft Steinmeiers währt mindestens vier weitere Jahre. "Dies sind Bewährungsjahre für die Demokratie", mahnte er nach seiner Wahl. Es sind allerdings ebenso Bewährungsjahre für sein Amt – und für ihn persönlich. Ein Bundespräsident wirkt in erster Linie durch die integrative Kraft seiner Worte, die Symbolhaftigkeit seiner Handlungen – und die Kraft seiner Persönlichkeit.
 
Steinmeier ist Gegengewicht zu Populisten
 
Sieben Parteien drängen sich mittlerweile im Bundestag. Dem Land geht es wirtschaftlich gut, aber auch hierzulande weiten sich die gesellschaftlichen Risse, wird die politische Mitte erschüttert und erstarken die politischen Ränder.
 
Viele Menschen in Deutschland stecken in einem Widerspruch fest: Sie wollen, dass möglichst schnell alles anders wird – und schrecken zugleich vor jeder Veränderung zurück. "Lasst uns mutig sein",  forderte Steinmeier in seiner Antrittsrede. Und der neuen Bundesregierung schrieb er vergangene Woche ins Stammbuch: Ein "schlichter Neuaufguss des Alten" dürfe diese große Koalition nicht sein.
 
Wichtiges Gegengewicht zu Populisten
 
Dasselbe gilt aber auch für ihn. Steinmeier hat in jüngster Zeit einige gute Reden gehalten. Er hat ein Demokratie-Forum ins Leben gerufen und ist nach Sachsen und Duisburg-Marxloh gefahren – zu jenen Bürgern, die sich von der Politik, den Institutionen und dem "System" links liegen gelassen fühlen. "Gerechtigkeitsfragen, Flüchtlingspolitik und Migration, Integration und Heimat", nennt Steinmeier zurecht als vordringliche Aufgaben. Dank seiner Bodenständigkeit und Seriosität ist er ein wichtiges Gegengewicht zu den Populisten in und um Deutschland herum. Darin gleicht er der Kanzlerin.
 
Weil auch sie bleiben wird, muss Steinmeier sich stärker absetzen und deutlicher werden. Noch fehlen der prägende Satz, die entscheidenden fünf, sechs Worte, die sich nachhaltig ins Gedächtnis einprägen und eine Debatte auslösen. Je mehr eine große Koalition unter Angela Merkel gestrig und ideenlos zu wirken droht, je mehr sie die Lösung drängender Aufgaben in die Zukunft verschiebt und politische Differenzen zukleistert, desto stärker ist es Aufgabe des Bundespräsidenten, diese Probleme offenzulegen und hartnäckig in Erinnerung rufen. Das gilt sowohl für den vernachlässigten Klimaschutz wie für die wackelnde Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungssysteme, für die vielen schwierigen Folgen der Digitalisierung sowie für das strapazierte Miteinander der Kulturen, Religionen und Ethnien in Deutschland.
 
Steinmeier in Islamdebatte gefragt
 
Eben hat Horst Seehofer, der neue Minister für Innere Sicherheit und Heimat, gesagt: Zwar gehörten Muslime zu Deutschland, nicht aber der Islam. Das ist ein ebenso falscher wie fataler Satz. Als könnten und müssten hier lebende Muslime ihren Glauben an der Türschwelle zur Bundesrepublik abgeben. Als gäbe es kein Grundgesetz, dass alle Religionen schützt, solange sie mit der Verfassung im Einklang stehen.
 
Auch hier schlägt die Stunde des Bundespräsidenten: Natürlich gibt es Reibungen und Widersprüche mit dem Islam (wie auch mit anderen Religionen) und besteht die Gefahr seiner politischen Instrumentalisierung. Doch Seehofer und ihm Gleichgesinnte tun so, als seien Muslime immer noch Fremde in Deutschland. Dabei beten seit langem deutsche Muslime in deutschen Moscheen zu ihrem Gott, ist der Islam längst Teil unseres Landes. Wenn Muslime und ihre Moscheen angegriffen werden, egal von wem, ob von Kurden, von Islamisten oder Rechtsextremisten – dann ist das ein Angriff auf Bürger und auf das Grundgesetz.
 
Steinmeier weiß das, aber hat sich dazu bislang nur in verschachtelten Worten geäußert. Deutschlands Ex-Außenminister und oberster Diplomat wird deutlicher und noch mutiger werden müssen. In Zeiten der großen Koalition muss er wider den Stachel löcken. Steinmeiers Aufgabenfeld liegt in Deutschland.
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.