Läge das chinesische Taiwan in Europa – es wäre längst ein Mitglied der Europäischen Union. Die autonom regierte Insel ist eine lebhafte und prosperierende Demokratie, seit hier Anfang der Neunzigerjahre die ersten freien Parlamentswahlen abgehalten wurden. Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung, Rechtsstaat, dazu eine offene Marktwirtschaft: Taiwan erfüllt alle Voraussetzungen für einen modernen Staat. Im
Transformation Index der Bertelsmann-Stiftung zur weltweiten Entwicklung von Demokratie und Marktwirtschaft landet es regelmäßig weit vorn. Doch diese Musterdemokratie hat ein Problem: Sie wird von der kommunistischen Regierung in Peking bedroht.
Deren Präsident hat gerade scharfe Warnungen an die Taiwanesen gerichtet: Alle Versuche, das Vaterland zu spalten, sagte Xi Jinping in einer nationalistisch grundierten Rede vor dem Nationalen Volkskongress, der Pseudovolksvertretung Chinas, seien "zum Scheitern verurteilt" und würden von der Geschichte bestraft werden. Die VR China betrachtet Taiwan als seine Provinz und spricht der dortigen Regierung das Recht zu zwischenstaatlichen Beziehungen ab. Seit Jahrzehnten
bläut die kommunistische Propaganda ihren Landsleuten ein, dass Taiwan nichts Eigenständiges sei.
Die
Vorgeschichte dazu ist, dass die Nationalisten unter Chiang Kai-shek im Jahr 1949 den Bürgerkrieg in China gegen die Kommunisten verloren hatten und nach Taiwan geflüchtet waren. Jahrzehntelang galten die Nationalisten dann im Westen als international rechtmäßige Vertreter Chinas. Doch seit 1972 hat Peking den Sitz in den UN inne, und im Jahr 1979 unter Präsident Jimmy Carter brachen die USA ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan zugunsten jener zu Peking ab, was das Gros der Völkergemeinschaft dann auch tat. Mit seiner Ein-China-Doktrin fordert Peking seither, dass kein Land diplomatische und andere offizielle Beziehungen zu der Inselrepublik unterhalten darf, wenn es ein normales Verhältnis mit der Volksrepublik pflegen will. Wenn überhaupt kommen daher aus dem Ausland nur noch niederrangige Regierungsbeamte nach Taiwan.
Als Ausgleich für Taiwan hatten sich daher die USA 1979 mit dem Taiwan-Akt verpflichtet, die Insel mit gegen China gerichteten Verteidigungswaffen auszustatten. Taipeh erwirbt seither bei amerikanischen Unternehmen regelmäßig Kampfhubschrauber, Abwehrsysteme und Raketen.
Für eine gewisse Aussöhnung zwischen Peking und Taipeh sorgt seit 1992 ein vager Konsens darüber, dass beide zu "einem China" gehören würden, auch wenn es unterschiedliche Interpretationen gibt, was darunter zu verstehen ist. Doch seit die Insel sich zur Demokratie gewandelt hat, ist das Verhältnis zu Peking insgesamt schlechter geworden.
Das Gros der unter 40-Jährigen – also jene, die unter demokratischen Verhältnissen groß geworden sind – versteht sich heute als Taiwanesen und befürwortet die Unabhängigkeit von der Ein-China-Idee. Niemand will hier von Peking regiert werden. Auch eine Wiedervereinigung mit dem Festland nach dem Modell von Hongkongs "Ein Land, zwei Systeme" kommt für viele angesichts der Unterdrückung der Demokratiebewegung in der britischen Ex-Kolonie kaum noch infrage. Die aktuelle Regierung Taiwans unter Präsidentin Tsai Ing-wen tritt gegenüber Peking distanziert auf.
Die VR China reagiert darauf mit verstärktem Druck. Peking verhinderte beispielsweise die Teilnahme von taiwanischen Vertretern in internationalen Foren wie der UN-Luftsicherheitsbehörde ICAO oder der Weltgesundheitsorganisation WHO. Peking will Taiwan diplomatisch weiter isolieren und macht Druck auf die paar verbliebenen (kleinen) Länder, ihre offiziellen Beziehungen zu Taiwan abzubrechen, Panama beispielsweise hat das jetzt getan. Wirtschaftlich versucht man den Taiwanern zu schaden, indem zum Beispiel Gruppenreisen aus China auf die Insel blockiert werden – damit geht eine wichtige Einnahmequelle der Tourismusindustrie verloren. Gleichzeitig versucht man verstärkt taiwanische Geschäftsleute mit finanziellen Förderungen nach China zu locken, um diese als Fürsprecher zu gewinnen.
Taiwan Travel Act soll Regierungsbesuche erleichtern Und natürlich nehmen die
militärischen Drohgebärden Chinas rund um Taiwan auffallend zu. Die Kommunisten in Peking haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie sich Taiwan notfalls mit Gewalt einverleiben. Allerdings mussten sie stets davon ausgehen, dass die USA Taiwan in diesem Fall verteidigen würde. Das haben die Regierungen in Washington zwar niemals explizit gesagt, doch diese strategische Zweideutigkeit hat bislang offenbar funktioniert.
Unter der US-Regierung von Donald Trump scheint es jetzt jedoch ein paar Verschiebungen zu geben. Wie seine Vorgänger auch genehmigt er Waffenlieferungen an Taiwan, doch das Besondere
ist der sogenannte Taiwan Travel Act. Noch während der für die Kommunisten in Peking so wichtige Nationale Volkskongress lief, unterzeichnete Donald Trump ein Gesetz, nach dem auch hochrangige US-Regierungsvertreter ermutigt werden sollen, nach Taiwan zu reisen. Das Gesetz soll Taiwans internationale Isolation etwas entspannen.
Das Gesetz war einstimmig durch den Kongress gegangen, denn die Initiative findet sowohl bei Republikanern wie bei Demokraten großen Zuspruch. Sie war kein Trump-Dekret. Doch Trumps pflichtgemäßes Signet war auch an Peking gerichtet: Seht her, wir halten zu Taiwan.
Drei unsichere Kantonisten Für Taiwan ist die stärkere Unterstützung durch die USA eigentlich ein Glücksfall. Schon kurz nach seinem Wahlsieg hatte Trump Ende 2016
mit der taiwanesischen Präsidentin telefoniert und sie kurze Zeit später in einem Tweet "
president of Taiwan" genannt. Das war für Xi Jinping ein Affront, denn aus Pekings Sicht war das eben eine Einmischung in innere Angelegenheiten.
Doch ist diese neue Unterstützung für Taiwan auch nicht frei von Ambivalenz. Zwar gelten der designierte Außenminister Mike Pompeo und der kommende Sicherheitsberater John Bolton als ausgesprochen Taiwan-freundlich. Nur sind die beiden mächtigsten Fürsprecher des demokratischen De-facto-Inselstaates ausgerechnet scharfe Falken, im Falle Boltons heißt es, seine bellizistischen Neigungen seien gar brandgefährlich. Und der US-Präsident selbst ist ein populistischer Nationalist, bei dem man nicht weiß, ob er Taiwan nicht als Spielkarte gegenüber China in seinen Verhandlungen mit Nordkorea einsetzen möchte.
Alle drei sind für die Taiwanesen also irgendwie auch unsichere Kantonisten, während auf der anderen Seite auf dem chinesischen Festland ein Präsident sitzt, der den Inselbewohnern unverhohlen mit Gewalt droht. Wegen der Gefahr, einen Zusammenstoß mit den USA zu riskieren, ist die Wahrscheinlichkeit einer erzwungenen Wiedervereinigung zum Glück erst mal sehr gering. Dennoch: Es sind auf beiden Seiten Falken und Nationalisten am Werk, Taiwan muss aufpassen, nicht aufgerieben zu werden.