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Ich bin neu an ein kleines Institut berufen worden, in dem wir sehr auf eine enge Zusammenarbeit angewiesen sind. Es scheint aber zwei Fraktionen zu geben, die neulich in einer Sitzung mit viel Getöse aneinandergeraten sind, wohl nicht zum ersten Mal. Der Vorsitzende mehrerer Kommissionen ist danach von allen Ämtern zurückgetreten. Ich durchschaue dieses Spiel noch nicht, würde aber gerne konstruktiv vermitteln. Wie gelingt mir das? Soll ich als Newcomerin einspringen und vakante Ämter über nehmen?“ fragt eine Neuberufene. Sehr geehrte Frau Prof. X, auf gar keinen Fall! Lassen Sie die Finger von den unvermittelt verwaisten Ämtern, selbst wenn Sie gerne helfen würden und vielleicht auch könnten. Es ist jetzt (noch) nicht der richtige Moment dafür. Aber der Reihe nach. Ein wichtiges Stichwort haben Sie bereits genannt: Es geht um ein „Spiel“, in das Sie da hineingeraten sind. Nicht alle Spiele machen Freude, und nicht bei allen gibt es etwas Schönes zu gewinnen. Mit Ihrem frischen Blick sehen Sie klar: Es wäre besser, wenn alle konstruktiv miteinander agieren würden, statt gegeneinander, von Streit und Sticheleien bis hin zur gegenseitigen Blockade oder gar Sabotage. Aber statt solch einer konstruktiven Zusammenarbeit gibt es hier zwei gegeneinander antretende „Teams“. Und: Es gibt Spielregeln, die Ihnen noch nicht bekannt sind. Möglicherweise gehört ein wenig Dramatik bei Sitzungen, nebst Rücktritten, sogar dazu – möglicherweise auch nicht. Das wissen Sie noch nicht. Vielleicht ist es eine Spielregel, dass neu Hinzugekommene schnell in Ämter gebracht werden, etwa mit der Idee, dass der oder die Neue etwas verändern wird. Auch das wissen Sie noch nicht. Würden Sie in ein Spiel einsteigen, dessen Regeln Sie noch nicht kennen? Deswegen: | • | | Machen Sie sich ein Bild. Wer gehört zu welcher Fraktion? Gibt es „freischwebende Teilchen“, die auch zwischen den Fronten wechseln? An welchen Themen und Strukturen machen sich die Reibungen fest, woran werden sie sichtbar? Was sind die expliziten und die impliziten Spielregeln (z. B. „Wenn x, dann y!“, „Es sollte immer / nie ... geschehen!“, „Meide z!“)? Beobachten Sie. | | • | | Vermutlich haben die „Fraktionsbildung“ und der aktuelle Rücktritt eine längere Vorgeschichte. Wie sah es in der Vergangenheit aus? Gab es schon einmal gemeinschaftliche Zeiten? Was wurde bislang versucht, um das Problem zu lösen oder zu vermitteln? Mit welchen Ergebnissen? Zeigen Sie sich interessiert, sammeln Sie Informationen und Eindrücke, mit einer gewissen heiter-naiven Neugier, die Ihnen aktuell noch zusteht. | | • | | Was scheint von Ihnen als Neuangekommene verlangt, erwartet oder erhofft zu werden? Von wem genau eigentlich? Angenommen, Sie würden sich einer der Fraktionen anschließen – was wären die Vor- und Nachteile für Sie selbst und für die anderen? Ermitteln Sie den Einsatz, die Risiken und die Gewinnmöglichkeiten. | Konflikte in Organisationen haben bisweilen eine erstaunliche Lebensdauer. Auch mit der Lösung muss es daher nicht allzu schnell gehen, selbst wenn es sich so anfühlen mag. Eile lohnt nicht. Lassen Sie sich Zeit. Ihre Glaubwürdigkeit als potenzielle Schlichterin wird steigen, gerade wenn Sie nicht sofort Partei ergreifen – auch nicht für das von Ihnen zu Recht bevorzugte gemeinsame Spiel. Bereiten Sie Ihren Einsatz in Ruhe vor. Dr. Boris Schmidt, Berlin, arbeitet seit 2001 als Coach, Berater und Mediator mit den Schwerpunkten Hochschule und öffentlicher Dienst. Er schreibt für das Coachingnetz Wissenschaft als „Dr. acad. Sommer“. Kontakt: www.thema31.de und www.coachingnetz-wissenschaft.de
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