Wir sind fremd in diesem Film Die #MeToo-Debatte ist ein riesiges feministisches Anliegen. Aber sie behandelt vor allem heterosexuelles Verhalten. Wie stehen eigentlich Lesben und Queers dazu? VON ANDREA ROEDIG |
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| | Dieses Bild zeigt drei Männer und zwei Frauen. Deren Körpersprache ist übrigens nicht zwingend den Männern zugewandt. Und das ist in sozialen Situationen oft ein Problem. © rawpixel/unsplash.com |
Vor einigen Wochen berichtete Emilia Smechowski im Süddeutsche Magazin über einen Selbstversuch, den sie im Auftrag der Redaktion durchgeführt hatte: Sexisten direkt zur Rede stellen. Sobald eine Situation als übergriffig verstanden werden könnte, sei es eine Geste oder ein unangemessen sexualisiertes Kompliment, sollte sie den betreffenden Mann direkt konfrontieren. In ihr Experiment bezog Smechowski nicht nur spontane Begegnungen ein, sondern stellte auch einen Kollegen zur Rede, der ihr bei einer schon länger zurückliegenden Feier einen Zungenkuss aufgezwungen hatte.
Ich habe diesen Bericht mit einer eigenartigen Neugier gelesen, die weit hinausging über das allgemeine Interesse daran, was eigentlich geschieht, wenn der ungeschriebene Vertrag, sexualisierte Situationen nicht als solche zu benennen, gebrochen wird. Meine Neugier hatte zusätzlich einen ethnologischen Hintergrund: Wie wirkt männliche Anmache auf eine heterosexuelle Frau? Was passiert solch einer Frau eigentlich im täglichen Leben?
Wir lesbischen Feministinnen reden zwar in der #MeToo-Debatte mit, als wüssten wir, worum es geht. Aber wissen wir das wirklich? Selbstverständlich geht #MeToo uns alle an. Alle Frauen teilen ähnliche Erfahrungen, und natürlich widerfährt auch Lesben und Queers Sexismus. Auch wir erleben Angestarrtwerden in der U-Bahn, Hinterhergepfeife, dumme Bemerkungen und mehr oder weniger gelungene Schmeicheleien.
Das war es dann aber auch. Denn trotz einiger homosexueller Fälle, wie etwa der Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Kevin Spacey, geht es im Kern der Debatte ja darum, wie, warum und wozu Männer Frauen angraben. Seit ich mich als lesbisch definiere – beziehungsweise als zu rund 90 Prozent nicht heterosexuell –, erfahre ich solche Anmachen wesentlich seltener. Vermutlich, weil ich ein gewisses Mann-Frau-Spiel gar nicht zulasse. Ich lächele nicht mehr so lieb, nur weil ein Mann spricht, höre weniger bereitwillig langatmigen Ausführungen zu, trage kaum Röcke. Wenn eine Besprechung mit einem männlichen Vorgesetzten ansteht, kleide ich mich so, dass ich nicht in die klassische Frauenrolle geraten kann. Trage ich doch ein Kleid, passiert Unglaubliches: Mir wird (vor allem in Wien) der Stuhl herangerückt, in den Mantel geholfen – plötzlich ist ein ganz anderes Verhaltensrepertoire aufgerufen, in dem ich mich mittlerweile fremd fühle. Das Spiel nicht zuzulassen heißt: es nicht wahrnehmen, nicht darauf reagieren. Eine meiner lesbischen Freundinnen kann sogar gefahrlos Röcke anziehen, sie hat so wenig Gespür für das Interesse von männlicher Seite, dass sie selbst einen vor unseren Augen masturbierenden Spanner ignorierte. Er war für sie einfach nicht da.
Alle Sozialverhältnisse sind gegendert und daher sozusagen kryptosexualisiert. Geschlechtsgleichheit (als erotische Solidarität) oder Geschlechterdifferenz (als potenzielle erotische Anziehung) sind gesellschaftliche – hm, nun ja – Schmiermittel. Man könnte Edmund Husserls Begriff der Protentionalität verwenden, um das zu beschreiben. Jede erlebte Gegenwart, so sagt Husserl, greift aus in die Zukunft, sie trägt einen Horizont an Erwartungen und Möglichkeiten in sich. Eine gewisse erotische Protentionalität (die Husserl natürlich nicht im Sinn hatte) macht den Kick, die Schönheit und den Charme der meisten sozialen Situationen aus und erleichtert das Gespräch. Dabei muss eine Situation gar nicht erotisiert sein, um dennoch so zu wirken. Es muss nichts passieren, aber es könnte. Für Lesben, Queers oder alle Personen, die nicht ins klassisch-heterosexuelle weibliche Schema passen, beginnt hier schwieriges Gelände: Das Desinteresse am männlichen Interesse kann wirken wie eine unüberwindbare Mauer. Etwas fehlt, es knirscht im Gebälk. Begegnungen bleiben auf unsagbare Weise leicht irritiert und ungelenk.
Ich frage mich, was schlimmer ist: in einem Machtgefälle sexualisiert angemacht zu werden von einer Person des Geschlechts, das man begehrt, oder von einer des falschen Ufers. Einmal bin ich von einer lesbischen Chefin zu einem leicht schwülen Kaffeetrinken eingeladen worden, und was da in der Luft lag, war gar nicht schön. Vielleicht geht bei unerwünschten Avancen vonseiten des prinzipiell "passenden" Geschlechts die Scham sogar tiefer.
#MeToo betrifft Queers und Lesben anders
Die Avancen vonseiten des "unpassenden" Geschlechts treffen einen anderen wunden Punkt. Die männliche Anmache stößt uns Lesben und Queers besonders ab, weil sie ein Begehren aufruft, das wir nicht erwidern und die Selbstverständlichkeit eines "patriarchalischen Rechts", das wir ablehnen. Da mag das Kompliment noch so nett gemeint sein. Aus lesbischer Sicht sind daher auch Gedichte wie Eugen Gomringers heiß umkämpftes avenidas zwar nicht unbedingt sexistisch, aber irgendwie verzichtbar.
Gleichzeitig stehen wir Lesben auch auf der männlichen Seite. Schließlich begehren wir Frauen. Weil es uns selbst aber so unangenehm ist, von Männern angemacht zu werden, herrscht in der Community eine weit verbreitete Angst, genauso dämlich-dreist zu wirken wie der herkömmliche Macho. Das "Pestering" jedenfalls, das Catherine Deneuve und Co in ihrem offenen Brief als männliches Recht einforderten, ist den meisten von uns hochnotpeinlich. Was im Gegenzug zu einer eigenartigen Hemmung in der Annäherung führt. Lesbische Flirtkultur ist ein schwieriges Thema, und das hat auch mit #MeToo zu tun.
Ich denke immer noch an den schon vor langer Zeit dahingeseufzten Satz einer Bekannten namens Tilly: "Wir kümmern uns permanent um die Probleme von Frauen. Aber mal ehrlich: WIR haben diese Probleme gar nicht." Verhütung, Abtreibung, Aufteilung der Hausarbeit, männliche Gewalt in Beziehungen, patriarchale Machtansprüche – viele der feministischen Themen betreffen Lesben nicht konkret, sondern höchstens strukturell. Ja, "wir Frauen" teilen ähnliche Erfahrungen, wir teilen die Wut und auch die Hoffnung auf Verhältnisse, in denen diejenigen, die das Sagen haben, nicht zugleich auch bestimmen, worüber geschwiegen werden muss – aber wir teilen diese Erfahrung aus verschiedenen Gründen. #MeToo betrifft Queers und Lesben anders. Wir rufen auf zu neuen sexuellen Beziehungen, wie etwa Paul Preciado, der #MeToo als Symptom des "Ancien Régime" des "Nekrosex" interpretiert. Wir finden, dass es einer Revolution bedarf, die die ungute Verquickung von gesellschaftlicher und sexueller Rolle auflöst. Aber sind diese Gender-Bender-Utopien auch nur ansatzweise mehrheitsfähig?
Ich fürchte, dass wir Homos und Queers die Sache mit der Heterosexualität nicht recht verstehen, oder nur halb. Wir sind fremd in diesem Film. Vermutlich begreifen wir nicht in ganzer Tiefe, warum Frauen sich zu Männern hingezogen fühlen und umgekehrt. Dieses heterosexuelle Begehren ist mächtig, was sich nicht zuletzt daran ablesen lässt, wie lange und wie weitreichend die #MeToo-Debatte geführt wird. Im Gegensatz zu Diskussionen um Transgenderthemen käme hier niemand auf die Idee, zu sagen: "Marginales Thema! Habt ihr eigentlich nichts Besseres zu tun, als euch wortreich darum zu sorgen, ob man nach #MeToo noch flirten kann?" Tilly hätte diese Frage gestellt. Andrea Roedig, geboren in Düsseldorf, lebt als freie Publizistin in Wien und ist Mitherausgeberin der Literatur- und Essayzeitschrift "Wespennest". Von 2001 bis 2006 leitete sie in Berlin die Kulturredaktion der Wochenzeitung "Freitag". 2015 erschien ihr Buch "Bestandsaufnahme Kopfarbeit" (zusammen mit Sandra Lehmann) im Klever-Verlag. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".
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