Fünf vor 8:00: Das passt auf keinen Bierdeckel - Die Morgenkolumne heute von Lenz Jacobsen

 
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FÜNF VOR 8:00
08.03.2018
 
 
 
   
 
Das passt auf keinen Bierdeckel
 
Alle Parteien wollen jetzt ein Einwanderungsgesetz. Schlimmstenfalls weckt das falsche Erwartungen. Bestenfalls reden wir nun endlich über die Zukunft statt über "2015".
VON LENZ JACOBSEN
 
   
 
 
   
 
   
Es gibt in der deutschen Politik einen neuen, übergroßen und merkwürdigen Kompromiss: den Wunsch nach einem neuen Einwanderungsgesetz. Die Grünen wollen es schon seit Jahrzehnten, die SPD will es ungefähr seit Johannes Rau, FDP, Linke und AfD sind in den vergangenen paar Jahren oder Monaten dazu gekommen – und neuerdings will es sogar die Union. So steht es jetzt im Koalitionsvertrag.
 
Klar, die Parteien sind sich nicht wirklich alle einig. Sie teilen sich nur die Überschrift. Direkt danach beginnen dann die großen Unterschiede. Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping zum Beispiel will ihre Partei überzeugen, dass Einwanderung zukünftig "nicht allein nach Nützlichkeitskriterien" geregelt werden dürfe. Die Grünen möchten etwas breitere Zugänge nach Deutschland, die CDU möchte eigentlich nur mehr Hochqualifizierte.

Aber doch haben die Vorschläge gemeinsam, dass sie vor allem eins sein wollen: einfach. Simplify your Einwanderungsrecht! Dahinter steckt der Wunsch, man müsse nur alles einmal gründlich durchdenken und dann ein solides, deutsches Gesetz machen, dann ist die Unordnung bald weggeregelt und das Problem verschwunden. Das war ja schon der Grund für den merkwürdigen Hype, den das kanadische Einwanderungssystem nach Punkten in Deutschland erfuhr: Punkte und Zahlen scheinen objektiv, sie versprechen, all die Emotionen und Streitereien darum, wer ins Land darf und wer nicht, herunterzukühlen.
 
Es gibt ja schon so viele Regeln
 
Die FDP meint es natürlich besonders ernst mit der Vereinfachung. Sie will das Einwanderungsrecht auf ein "Vier-Türen-Prinzip" eindampfen. Drei führen rein ins Land (für Verfolgte, Kriegsflüchtlinge und Menschen, die auf den deutschen Arbeitsmarkt passen), eine führt raus (für illegale Einwanderer und alle, die sich nicht an Regeln halten). Allerdings ist das Modell dann doch zu einfach für die Realität. Genauer gesagt: Über die mühevolle Arbeit, alle möglichen Einwanderer einer der Türen zuzuordnen, redet die FDP weniger gern. Durch welche Tür sollen beispielsweise jene gehen, die per Familiennachzug nach Deutschland wollen? Da spricht die FDP nur schwammig von einer Härtefallregelung, die dann Sache der Gerichte sei, und so weiter.
 
Man ahnt schon: Klappt wohl doch nicht mit dem einen, großen, klärenden Wurf. Weil die allermeisten Einwanderungsregeln gar nicht allein Sache der deutschen Politik sind. Für Zuwanderer aus EU-Ländern bestimmt die EU die Regeln, nicht Deutschland. Für Hochqualifizierte aus anderen Ländern gibt es außerdem die "blaue Karte", für Akademiker seit ein paar Jahren ebenfalls vereinfachte Zugänge. Überhaupt: Eigentlich gibt es schon sehr, sehr viele Einwanderungsgesetze. Die heißen nur nicht so, sondern verstecken sich im deutschen Aufenthaltsrecht, in der europäischen Niederlassungsfreiheit, in der Genfer Flüchtlingskonvention. Es ist (fast) alles schon da. Ein neues Einwanderungsgesetz könnte die Regelungen nur besser zusammenführen.
 
Zumindest eine neue Chiffre
 
Ein deutsches Einwanderungsgesetz wird aber nicht verhindern, dass Menschen auf Schleuserboote nach Europa steigen. Das Problem dieser Menschen ist ja nicht, dass die deutschen Gesetze zu kompliziert sind, sondern dass die deutschen und europäischen Gesetze sie ausschließen. Es wird immer Menschen geben, die die deutsche Politik nicht ins Land holen will, die sich aber trotzdem auf den Weg machen. Selbst wenn das deutsche Einwanderungsgesetz eines Tages auf einen Bierdeckel passt, werden im Mittelmeer weiter Menschen sterben.
 
Also, am besten keine allzu großen Erwartungen haben. Wobei, eine vielleicht doch: dass das "Einwanderungsgesetz", wenn es schon nicht alles umstülpen und lösen wird, zumindest als Anlass und Rahmen dient für ein Gespräch darüber, wie und mit wem wir zusammenleben wollen. Bestenfalls verkehrt sich das Klagen und Anklagen, was während und seit dem längst zur Chiffre gewordenen "Sommer 2015" geschah, in die Frage, wie es denn von nun an sein soll. Bestenfalls reden wir dank der neuen Chiffre "Einwanderungsgesetz" weniger über die Vergangenheit und mehr über die Zukunft. Bestenfalls kommt nach der Überschrift noch mehr.
   
 
   
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