Inges Frikadellen brennenDer Journalist Markus Feldenkirchen hat den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz monatelang begleitet. Sein Buch "Die Schulz-Story" ist irre komisch und dabei hochseriös. VON MELY KIYAK |
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Das Buch beginnt mit dem Ende. Es ist im Februar dieses Jahres, Martin Schulz wird als Nächstes den Parteivorsitz abgeben, das Amt des Außenministers bleibt ebenfalls ein unerfüllter Traum, Kanzler sowieso, und auch sonst hat einfach nichts geklappt. Nun denkt man, das war’s. Das ist so schlimm, schlimmer kann es nicht kommen. Man ist noch auf Seite eins. Aber dann, der Hammer, man fällt vor Lachen vom Sofa. Man beachte die Steigerung. Jetzt hat er auch noch einen Krampf im Fuß. "Vermutlich Kalziummangel." Genauso steht es da. Und man begreift, Aufstieg und Fall des Martin Schulz, dieser lange Weg von Würselen nach Brüssel, weiter nach Berlin und dann wieder zurück nach Würselen, mit Krampf im Fuß, gewissermaßen humpelnd, das ist die Via Dolorosa unter akutem Mineralstoffmangel. Man blättert weiter auf Seite zwei. Schulz sagt: "Gott, bin ich müde." Er glaubt nicht daran, "jemals wieder fit werden zu können". Jemals. Also niemals. Und wenn doch, dann brauche er sicher "ein halbes Jahr, um wieder zu Kräften zu kommen". Man lernt, dass in der deutschen Spitzenpolitik ein halbes Jahr gleichbedeutend mit einer Ewigkeit ist. So geht es die nächsten dreihundert Seiten weiter. Tragisch und komisch, also hochpolitisch. Markus Feldenkirchen, Reporter des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, durfte den Kanzlerkandidaten Martin Schulz über Monate hinweg im Bundestagswahlkampf begleiten und darüber schreiben. Sein Buch Die Schulz-Story ist vor wenigen Tagen erschienen. Eine Art Vorabdruck in Form einer Titelgeschichte brachte das Nachrichtenmagazin gleich nach der Wahl. So war es zwischen dem Reporter und dem Politiker vereinbart. Dieser dürfe schreiben, was er wolle, aber erst nach der Wahl veröffentlichen. Winzigste Scherzkeksbeobachtungen Der Autor wurde für die fulminante Reportage, die in seinem Blatt erschien, bereits ausgezeichnet, aber kein Vorabdruck, keine Zusammenfassung nirgends, kommt an das Buch heran. Feldenkirchen dokumentiert immer so viel, dass der unkundige Leser en passant auf den gleichen Wissensstand wie der Autor gebracht wird. Wer, was, wann, wo. Und erklärt, was "unter Drei" konkret bedeutet, was genau die Fraktionsspitze macht und was die Parteiführung, warum es die Sommerreisen gibt (weil es sie schon immer gab), und läuft in diesen Szenen immer neben Martin Schulz her und rapportiert, was dieser sagt oder macht, liest auch laut das Handydisplay des Kanzlerkandidaten mit und streut wie mit der Chilimühle, also ganz behutsam, winzigste Scherzkeksbeobachtungen, allerlustigsten gossip, und das macht wahnsinnig süchtig nach der Lektüre. Weil, man muss das wiederholen, weil man sich vor Lachen zerkrümelt und zerbröselt. Natürlich liest man Feldenkirchens Filter mit.Muss man sogar. Wenn Markus Feldenkirchen die Ehefrau des Kanzlerkandidaten beschreiben möchte, dann macht er das in drei, vier Sätzen, aber diese kurze Passage erzählt ein Epos. Während Martin Schulz 2012 in Oslo den Friedensnobelpreis für die Europäische Union entgegennimmt, brennen Inge in Würselen vor Aufregung die Frikadellen in der Pfanne an. Das weiß der Reporter natürlich nur, weil es ihm der Kanzlerkandidat erzählt haben muss. Man stellt sich also vor, wie Schulz immer nur jene Geschichten über Inge preisgibt, von denen er meint, dass sie ihm gut stehen. Die Ehefrau als Frikadellen bratende Gefährtin darzustellen oder als eine Frau, die dem Ehemann zur Beruhigung aus einem Sprüchekalender eine Seite ausreißt und hinlegt, soll natürlich sagen: Wir sind auf dem Boden geblieben. Beim Leser aber kommt an: Genauso stellt man sich eine Liebe in Würselen vor, Frikadellchen und Abreißkalender. Der sensible Leser aber denkt weiter und fragt sich, wie es erstens sein kann, dass ein erwachsener Mann die Wirkung seiner Geschichten nicht einschätzen kann und zweitens allen Ernstes glaubt, dass durch das bloße Erzählen ausgewählter Geschichten an einen Journalisten diese am Ende beim Rezipienten genau die Wirkung erzielen werden, die man beim gezielten Ausplaudern beabsichtigte. Aus diesem Grund handelt es sich bei Die Schulz-Story genau genommen um Schulz’ Storys. Schulz’ permanentes Taumeln zwischen Diät und Gebäck Feldenkirchen hat es nicht leicht. Er musste ganz offensichtlich aus einem großen Angebot an Plauderei auswählen, was er verwendet und was nicht. Denn Schulz labert permanent. Selbst wenn er noch fertig und enttäuscht ist, wenn er nicht weiß, was er essen, denken oder machen soll, labert er. Wie viele Laberer auf der Welt, labert auch er, weil er labil ist, und das macht das Buch, wie man im Literaturbusiness so sagt, zu einem Pageturner. Und nur nebenbei: Man freut sich, dass Feldenkirchen sich Herrn Schulz gegenüber im Schreiben nie danebenbenimmt. Ihm weder als Dank für das Vertrauen eine Art Arschkriechreportage schreibt, noch ihn als Zeichen einer vermeintlichen Objektivität völlig auseinandernimmt, bloß um den Kollegen aus der Branche zu demonstrieren, dass man sich nicht hat einwickeln lassen. Er macht es genau richtig. Er ist der Autor geblieben, der er ist. Seriös und humorvoll. Kann auch nicht jeder. Vor allem in Deutschland. Das Buch legt die Strukturen der Spitzenpolitik offen. Wie sich Heerscharen von Politikern, Kampagnenmanagern und Referenten daran abarbeiten, der Öffentlichkeit ein leidenschaftliches Anliegen eines Politikers zu suggerieren, das er schlicht nicht hat. Schulz’ permanentes Taumeln zwischen Diät und Gebäck, zwischen Burn-out und Betriebsbesichtigung ist so tragisch, dass er einem natürlich leidtut. Es ist alles genauso, wie man immer vermutete, und in dem Text steht nichts, was man nicht auch zuvor mit genauer Beobachtungsgabe selbst gesehen hat, aber nun hat man es endlich schwarz auf weiß: den ganzen unreflektierten Unsinn der Redenschreiber, deren Werk nie durch talentiertes Schreiben und exorbitantes Sprachgefühl strahlt, sondern immer nur durch enormes Nichtkönnen. Monströs auch die Beschreibung, wie Schulz’ Intuition anfangs glänzend funktioniert und dann Stück für Stück "zerberatert" wird. Unschön auch das Gebaren der politischen Korrespondenten und das ungute Geflecht, die beiderseitige Fixierung zwischen Politik und Hauptstadtjournalisten, also jetzt schön korrekt ausgedrückt, super schön nachzulesen, aber super unschön zu erfahren. Man leidet nicht nur mit dem Protagonisten mit, man leidet mit dem Reporter, denn sie alle müssen sinnloseste Termine absolvieren, Leuten zuhören, die vermeintlich beraten und alles wissen und doch nur auf professionellem Niveau dilettieren. Puh. Danke! Und dann sind da noch die Parteikollegen, die man auch mal anrufen und bitten muss, ob die nicht mal eben jemanden aus der Konkurrenz öffentlich auseinandernehmen können, damit man selber nicht als Pitbull in Erscheinung tritt. Weil doch die teuren Berater herausgefunden haben wollen, dass das nicht gut ankomme, wenn ein Mann eine Frau attackiert. Und dann sitzt der Beschriebene da, kann sich auf nichts anderes mehr konzentrieren und beobachtet die Medien und dann endlich, endlich die Meldung, dass der Sigmar wie besprochen die Kanzlerin zusammengefaltet hat. Puh. Danke! Aber, oh weh, was ist denn jetzt passiert? Die Medien loben Gabriel und fragen, wo denn der Schulz schon wieder stecke, dieser abgetauchte Hasenfuß. Die Schulz-Story wurde von anderen in einen Zusammenhang mit Yasmina Rezas Frühmorgens, abends oder nachts gestellt. Da gehört das Buch aber nicht hin. Es gibt zwei Arten von Politikberichterstattung. Die der Schriftsteller und Künstler und auf der anderen Seite die der Journalisten und Korrespondenten. Dem Journalisten geht es stets um das Beschreiben von politischen Vorgängen. Dem Schriftsteller geht es immer um Dramaturgie und Sprache. Reza ist eine Schriftstellerin, die Nicolas Sarkozy im Wahlkampf begleitete. Ihr Text arbeitet formal mit literarischen Mitteln. Sie beschreibt strikt, was sie sieht und fühlt, erklärt nichts, führt keine Personen ein (die werden im Anhang im Personenregister aufgeführt), erläutert keine Zusammenhänge, es geht um Rhythmus und Sprache. Sie schreibt immer ausgehend vom literarischen Ich, Sarkozy aber ist immer nur "er". Im Mittelpunkt steht also die schreibende, beobachtende Autorin. Bei Feldenkirchen ist es das Gegenteil. Er verhält sich strikt journalistisch, immer einordnend, strukturierend. Wenn er sich meint, tritt er kurz einen Moment zur Seite und erlaubt sich eine Bemerkung in Ich-Form. Bei Reza geht es um Reza. Bei Feldenkirchen geht es um Schulz.
Es gibt in Deutschland keine Tradition der Politik beschreibenden Schriftsteller. Jedenfalls nicht mehr. Zwar gibt es jede Menge politischer Autoren, zu einem der wichtigsten zählte Roger Willemsen (Das Hohe Haus, Afghanische Reise), aber kaum Schriftsteller, die einen Prozess oder einen Wahlkampf begleiten. Als die Nürnberger Prozesse begannen, waren Heerscharen von internationalen Schriftstellern akkreditiert, auch deutschsprachige wie Erika Mann, Erich Kästner oder Alfred Döblin, doch in der Gegenwart kennt man lediglich jede Menge Essays oder politische Feuilletons und Kolumnen verfassende Künstler. Aber keinen, der eine Langzeitbeobachtung verfasst hätte, etwa über den NSU-Prozess in München. Wer könnte so etwas machen, von wem würde man es gerne lesen? Vielleicht von Daniel Kehlmann oder, ja warum nicht, von der einzigen lebenden Literaturnobelpreisträgerin, nämlich Herta Müller. Nun werden sicher einige sagen, Markus Feldenkirchen, Dirk Kurbjuweit und viele andere hätten doch auch Romane geschrieben. Aber mit ihrer Belletristik verhält es sich wie mit den singenden Schauspielern. Dass Klaas Heufer-Umlauf oder Matthias Schweighöfer Platten besingen, macht sie genauso wenig zu Künstlern, wie Romane schreibende Journalisten dadurch zu Schriftstellern werden. Dieser Text soll aber nun nicht so schließen. Er soll mit einem Kompliment an den Kollegen Markus Feldenkirchen enden. Also: Kompliment.
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