Sechs Wochen lang habe ich bei
5vor8 mit meiner Kolumne Pause gemacht, um ein Buch zu vollenden. Die Welt hat sich in der Zwischenzeit weitergedreht. Weniges hat sich zum Besseren verändert, das Meiste ist sich gleich geblieben, einiges hat sich zum Schlechteren gewendet. Wie sieht meine Zwischenbilanz aus?
Zum Besseren gewendet hat sich zunächst die Lage in Berlin: Wir haben wieder eine richtige Regierung. Was das schwarz-rote Bündnis aus den 177 Seiten des Koalitionsvertrages macht, steht freilich noch sehr dahin. Der Anfang war holprig und stolprig. Die Bundeskanzlerin ist geschwächt. Ihr Streit mit Horst Seehofer dauert an; der Bundesinnenminister treibt nun einmal am liebsten bayrischen Wahlkampf. Der Außenminister muss sich nach seinen ersten Antrittsbesuchen in die Dossiers der auswärtigen Politik einarbeiten. (Frage: Warum hat er eigentlich Moskau bei seinen Vorstellungsreisen ausgelassen, wo er doch vernünftigerweise den
Dialog mit Moskau sucht, von dem alle anderen immer nur reden? Dass er auch noch nicht in Washington war, ist eine lahme Ausrede, dort gibt es ja derzeit gar keinen Außenminister.)
Wie lange wollen wir noch in Afghanistan kämpfen? Zu leisen Hoffnungen berechtigt vor allem die Entwicklung in Korea. Wo vor zwei Monaten noch alles so aussah, als stehe ein amerikanischer Militärschlag unmittelbar bevor, haben Kim Jong Un und Moon Jae In vor den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang die Dinge in koreanische Hände genommen.
Im April führt ein Gipfeltreffen die beiden zusammen, und im Mai will
Donald Trump sich mit Kim zusammensetzen. Auch die Chinesen, denen der Nordkoreaner per Sonderzug seine Aufwartung machte, sind wieder im Spiel. Kim versicherte ihnen, dass er unter bestimmten Bedingungen bereit sei, sein Kernwaffenarsenal aufzugeben. Sollte allerdings der Abzug der rund 30.000 US-Soldaten eine dieser Bedingungen sein, wird der Trump-Kim-Gipfel mit Sicherheit scheitern. Insofern bleibt ein Quantum Skepsis angebracht.
Zu den Krisen, die unverändert fortdauern, gehören in erster Linie die mittelöstlichen Kriege: Afghanistan, Irak,
Syrien, Jemen. Sie schwären weiter vor sich hin. Millionen Menschen vegetieren ohne Aussicht auf Frieden elendiglich in Flüchtlingslagern dahin. Die Großmächte USA und Russland sind auf paradoxe, wenig fruchtbare Weise in die verschiedenen Konflikte verwickelt – als Kriegsteilnehmer und zugleich als Friedensvermittler stehen sie teils gegeneinander, teils auf derselben Seite. Unterdessen rückt die
Türkei in Recep Tayyip Erdoğans spätosmanischem Wahn gegen die Kurden brutal mit Panzern –
deutschen Leoparden – vor; ein weitere Komplikation der ohnehin verfahrenen Lage.
Am Krieg gegen die Terrororganisation
"Islamischer Staat" in Syrien und dem Irak ist unsere Luftwaffe aktiv beteiligt. Das Einsatzkontingent der Bundeswehr in Afghanistan wurde soeben von 980 auf bis zu 1.300 Mann aufgestockt. Das Mandat endet am 31. März 2019. Ehe abermals eine Verlängerung ansteht, wird der Bundestag hoffentlich einmal ausführlich darüber diskutieren, ob wir wirklich weitere Jahre, vielleicht Jahrzehnte, in einen ungewinnbaren Krieg verwickelt bleiben wollen. Auch sollte das Parlament der Regierung endlich klarmachen, dass es ein Unding ist, den saudischen Kriegsherren Patrouillenboote zu liefern, mit denen dann die jemenitischen Häfen blockiert werden, über die Lebensmittel und Medikamente in das geplagte Land kommen könnten.
Was mir nach sechs Wochen Versenkung in ganz andere Themen am meisten Sorgen macht, ist die Entwicklung in Washington. Dort hat sich Donald Trump in seiner fernsehreifen
"You are fired"-Manier fast aller konservativen, aber Vernünftigen in seiner unmittelbaren Umgebung entledigt, die bisher seine bellizistischen Impulse, seine diplomatischen Unflätigkeiten und seine protektionistische Handelspolitik halbwegs einzudämmen suchten. Dazu gehören der aufrichtige, doch jämmerlich schwache
Außenminister, Rex Tillerson, der Sicherheitsberater
H. R. McMaster und der oberste Wirtschaftsberater Gary Cohn. Als weiterer Kandidat auf Trumps Streichliste gilt Stabschef John Kelly.
An die Stelle Tillersons soll Mike Pompeo treten, zuletzt CIA-Chef. Er ist der Prototyp eines außenpolitischen Falken. Amerikas Muslimen unterstellt er, sie fühlten sich nicht dem Frieden verpflichtet. Er ist gegen das Nuklearabkommen mit dem Iran und für eine kaltkriegerische Linie gegenüber Russland. Und immer wieder ist er für einen gewaltsamen
regime change in Nordkorea eingetreten. Es ist schwerlich zu erwarten, dass er Donald Trumps wildesten außenpolitischen Anwandlungen entgegentritt.
Bolton verachtet Multilateralismus Schon gar nicht, wenn
John Bolton am 9. April das Amt des nationalen Sicherheitsberaters im Weißen Haus übernimmt. Der Zustimmung des Senats bedarf der Inhaber dieses Postens nicht, sonst würde Bolton mit Sicherheit scharf ins Verhör genommen und möglicherweise sogar durchfallen. Er war einer der Kriegstreiber gegen Saddam Hussein; durch subtile Verfälschung der Geheimdienstberichte trug er zu dem Eindruck bei, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. Auch war er nach 1994 kräftig dabei, das erste Atomabkommen mit Nordkorea zu unterminieren, dass die Erzeugung von Plutonium acht Jahre lang unterband. Bolton teilt Trumps Ablehnung des Multilateralismus, seine unverhohlene Verachtung der Vereinten Nationen wie der Europäischen Union und Bewunderung für sporenklirrenden Militarismus. In den letzten Jahren hat er dafür plädiert, den Iran zu bombardieren, Nordkorea anzugreifen und aus Syrien und dem Irak einen neuen mittelöstlichen Staat zu bilden. Auf Fox News, Trumps rechtslastigem TV-Lieblingssender, beeindruckte er den Präsidenten mit seinen ruppigen Kommentaren. Zwar sagt er jetzt, die lägen inzwischen "hinter ihm". Aber es fällt schwer zu glauben, dass der entschlossene Präventivkrieger Bolton sich nun zum nüchtern abwägenden Realpolitiker wandeln könnte.
Der Monat Mai könnte dramatisch werden. Der Handelskrieg mit China eskaliert. Im Zollkonflikt mit der EU hat Trump den Europäern ein Ultimatum gesetzt: Bis zum 1. Mai sollen sie seine handelspolitisches Forderungen beantworten, sonst ... Bis zum 12. Mai muss Trump entscheiden, ob er den Iran-Vertrag verlängert oder kündigt. Im selben Monat trifft er King Jong Un. Was, wenn der nicht vollständig einknickt?
"Kein Zweifel: Trump hat ein neues Kapitel seiner Präsidentschaft aufgeschlagen", schreibt Klaus-Dieter Frankenberger in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung über den "Radikalinski im Weißen Haus". Und er setzt hinzu: "Vielleicht beginnt sie ja auch jetzt erst richtig; der Chaos- und Krawallpräsident sucht sich das Personal, das er dazu braucht. Die Zeiten werden noch stürmischer, für Amerikas Feinde – und auch für seine Partner."