10 nach 8: Caroline Rosales über das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche

 
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04.04.2018
 
 
 
 
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Teufels wichtiger Beitrag
 
Warum wird über das Werbeverbot für Abtreibungen diskutiert? Es muss vielmehr darum gehen, Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren, damit Aufklärung möglich ist.
VON CAROLINE ROSALES

Noch immer traurige Realität: Wer ungewollt schwanger ist, wird behandelt wie eine Aussätzige. © Eric Ward/unsplash.com
 
Noch immer traurige Realität: Wer ungewollt schwanger ist, wird behandelt wie eine Aussätzige. © Eric Ward/unsplash.com
 

Den Millionen Menschen in Deutschland und unserem Gesundheitsminister Jens Spahn, die sich dieser Tage offen oder hinter vorgehaltener Hand gegen die Aufklärung und Information über Schwangerschaftsabbrüche aussprechen, möchte ich mehr Fantasie nahelegen. Oder die Geschichte meiner Mitschülerin, nennen wir sie Danica.

Danica war ein damals 17-jähriges Mädchen, mit dem ich die Oberstufe eines katholischen Gymnasiums in Bonn besuchte. Ich wusste, kurz vor dem Abitur, nicht viel über sie, außer dass sie viele Fehlstunden hatte und schwanger war. So erzählten es mir ein paar Mitschülerinnen, ganz diskret, damit sie es nicht mitbekam. Danica, erinnere ich mich, saß zwei Wochen lang mit gesenktem Blick in der letzten Bankreihe, als trüge sie die Schwere der ganzen Welt auf ihren Schultern. Ausgeschlossen wie eine Aussätzige. Ich sah sie mehrmals in der Woche, wir hatten zusammen einen Leistungskurs. War einfach passiert, sagten die Mitschülerinnen: Mit ihrem Freund geschlafen, Kondom gerissen, da kann man nichts machen, nächste Woche hat sie den Termin für die Abtreibung.

Davor wurde sie von allen gemocht, plötzlich redete keiner mehr mit ihr. Sie mied uns und wir mieden sie. Wir sahen ihr in den Pausen aus der Ferne zu, wie sie in der Raucherecke stand. Ja, durfte sie in ihrem Zustand überhaupt rauchen? Andererseits, wenn sie es nicht austragen würde – schwieriges Thema, entschieden wir und redeten nicht weiter darüber. In der Familie meines damaligen Freundes, meiner großen Jugendliebe, erzählte ich Danicas Geschichte mit der notwendigen Vorsicht. Ich nahm zwar damals schon die Pille, aber schließlich war das eine Situation, in die ich theoretisch auch hätte geraten können. "Ein vernünftiges Mädchen wird nicht schwanger", sagte mir seine Mutter beim Abendessen. Damit war die Sache erledigt.

In den nächsten zwei Wochen sah ich Danica zu. Beim Hefteauspacken, beim Stumm-Dasitzen, beim Aus-dem-Fenster-Schauen. Offiziell sind Abtreibungen in Deutschland nach wie vor illegal. Eine Straftat, die unter bestimmten Bedingungen geduldet wird. Das deutsche Gesetz sieht es vor, dass zwischen dem verpflichtenden ergebnisoffenen Gespräch bei einer anerkannten Beratungsstelle und dem Schwangerschaftsabbruch drei Tage liegen müssen. Dass wie bei Danica zwischen dem Gespräch und der Terminfindung beim Arzt zwei Wochen liegen können, steht in der entsprechenden Regelung natürlich nicht. Sowieso war das Thema ein Tabu. Dabei hatten wir Mädchen so viele Fragen dazu. Doch im Sexualaufklärungsunterricht: nichts. In der Bravo oder anderen Jugendmagazinen: kein Wort. Zu Hause: zu unangenehm.

Dafür erfuhr ich als junge Frau aus einer Schrift der französischen Bestsellerautorin und Abtreibungsaktivistin Benoîte Groult, wie sie in den Siebzigern an sich selbst und bei ihren Schwestern sogenannte Curretages durchführte – mit Sticknadeln und siedendem Wasser. Im Jahr 1975 wurden Abtreibungen in Frankreich schließlich legalisiert und die Frauen starben nicht mehr am privaten Versuch einer Abtreibung. Ich verschlang jedes Wort. Mit jemandem darüber zu reden, traute ich mich allerdings nicht. So lebte ich von den Fakten und Mythen über Abtreibung, die mir das Leben wie Brotkrumen hinwarf. Immer nur Fetzen von Informationen, hier und da mal ein Gerücht, nichts Genaues wusste keiner.

Als ich Anfang 20 war, erzählte mir eine Arzthelferin, dass sie für einen Gynäkologen arbeite und es satt habe. Die Geräte zu säubern, in denen Überreste von Embryonen steckten, sogar kleine Gliedmaßen seien erkennbar. "Aber wie ist das möglich?", fragte ich sie."Spätabtreibungen sind doch in Deutschland verboten." Sie rollte nur mit den Augen. "Ach, da gibt es immer einen Weg, um eine Indikation zu bekommen. Kostet allerdings ein paar hundert Euro." Ich nickte nur mit offenem Mund.

Denn so langsam dämmerte es mir – und der Eindruck ist bis heute geblieben –, dass es Dinge gibt in Deutschland, so zum Beispiel Schwangerschaftsabbrüche, die wie selbstverständlich in eine offene Gesellschaft gehören, über die aber nicht geredet werden darf, die zum Wohle der christlichen oder konservativen Gesellschaftsordnung nicht existieren dürften. Die Frauen, die diese Eingriffe verlangen, werden kriminalisiert, als Gruppe marginalisiert und am Ende in einer jährlichen Statistik versteckt.

Die Gesetzeslage um Abtreibungen schafft ein Klima der Angst

Eine Abtreibung ist in Deutschland immer rechtswidrig, sie wird nur nicht immer bestraft. Und dass dieser Tage im Bundestag wieder über eine Reform des Paragrafen 219a diskutiert wird, der das sogenannte Werben für Abtreibungen verbietet, wird  – egal, wie es ausgeht – an der grundsätzlichen Illegalität von Abtreibungen nichts ändern. "Hände weg vom Paragrafen 219a", sagte der CSU-Generalsekretär Markus Blume dem Spiegel. Eine gesetzliche Änderung sei mit der CSU nicht zu machen, und ich stelle mir vor, wie Horst Seehofer zu diesen Worten sonntags nach der Kirche sein geliebtes Keyboard spielt. Die SPD will dagegen einlenken: Es gehe nicht um Werbung, entgegnete die Justizministerin Katharina Barley. Und dann überspitzt: Niemand wolle Werbespots für den Schwangerschaftsabbruch.

"Doch", will die junge Frau von damals in mir schreien. "Doch, bitte, das möchte ich." Weil ich als Schülerin, als Studentin und nach zwei Geburten bis heute absolut keine Ahnung habe, wo ich eine Abtreibung durchführen könnte, was sie kostet und was genau bei dem Eingriff passiert. Dabei wäre es die Chance der Großen Koalition, im Jahr 2018 endlich die fraglichen Formulierungen zu ändern. Nur Gesetze können für Betroffene Normalität schaffen. Wer die Ehe für alle durchwinkt, wirbt auch für mehr Toleranz und Offenheit. Wer Marihuana freigibt, entkriminalisiert Schmerzpatienten. Und wer Schwangerschaftsabbrüche – zumindest bis zur zwölften Woche – straffrei macht, überträgt Frauen die Selbstbestimmung über ihren Körper.

Denn durch die Gesetzeslage um Abtreibungen wird ein Klima der Angst geschaffen, der Ungewissheit, des Schweigens. Und ich befürchte, dass sich auch 30 Jahre nach Danicas Abbruch nichts geändert haben könnte.

Das heißt, sollte meine heute 14-jährige Tochter eines Tages ungewollt schwanger werden, wird sie weder mit ihren Lehrern noch mit einem Arzt, vermutlich nicht einmal mit mir darüber reden wollen. Sie wird ungefragte Ratschläge zu anonymer Geburt und Adoption in den Kommentarspalten von sozialen Netzwerken lesen, irgendwann auf eine Beratungsseite stoßen und eine einsame Entscheidung treffen. Sie wird allein sein, sich selbst ausschließen und sich schämen. Wie Danica. Jahrzehnte später. Und diese Vorstellung macht mich krank.

Weitere Texte zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt "Schwangerschaftsabbruch".


Caroline Rosales, geboren 1982 in Bonn, arbeitet als Redakteurin der FUNKE Mediengruppe. Zudem ist sie Autorin von zwei Sachbüchern. Im Jahr 2012 gründete sie den Blog Stadtlandmama.de, der bis heute zu den größten Elternblogs in Deutschland zählt. Sie lebt mit ihren zwei Kindern in Berlin und ist Gastautorin von "10 nach 8".


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