Sonderausgabe zur Exzellenzstrategie

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
na, rast Ihr Puls auch noch? Wir haben die letzten Stunden auf der Stuhlkante verbracht und vorhin ebendort im (leider ruckelnden) Live-Stream die Pressekonferenz aus Bonn verfolgt. Die Entscheidung über die neuen Exzellenzcluster und die potenziellen dauerhaft geförderten Exzellenz-Universitäten (Pressemitteilungen von DFG und Wissenschaftsrat und vom BMBF) ist schließlich so eine Art Oscarverleihung für die Scientific Community. Auf unserem Schreibtisch liegt hier eine Deutschlandkarte, in die wir eingekritztelt haben, wer, was, wo. Nachfolgend alles, was auf den ersten Blick wichtig ist!

Zuerst die Links:

Liste der 57 bewilligten Exzellenzcluster

Liste der 88 Exzellenzcluster, die begutachtet wurden
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Wer gewinnt?
Es gibt drei besonders funkelnde Gewinnerinnen dieser wichtigsten Auswahlstufe des Exzellenzwettbewerbs: Berlin, Hamburg, Bonn. Den Berliner Verbund aus HU, FU, TU, Charité (sieben Cluster) hat die Krone auf, kein anderer Standort wird künftig so viele Exzellenzgelder bündeln. Unkenrufe gab es ja: Es sei ein Zwangsverbund, politisch gewollt, völlig unsteuerbar. Zugleich war aber kein anderer Wissenschaftsstandort in Deutschland derart selbstbewusst angetreten, hat die Eitelkeiten der Einzelinstitutionen hinter eine große Vision gestellt. Im Roten Rathaus können sie jetzt den Schampus rausholen: Der BER mag das Image ramponiert haben, die Unis hauen die Stadt wieder raus. (Im Vorort von Berlin, Hannover, gibt‘s übrigens ebenfalls Sekt – auch die Leibniz-Universität hatte sich in den Verbund gewagt, mit der Medizinischen Hochschule Hannover. Macht im Ergebnis: fünf Cluster.) – Der zweite Star: Hamburg. Man hatte sich ja schon gesorgt. So eine große Uni, so eine wohlhabende Stadt. So wenig exzellent. Die neueste Exzellenz-Runde war für Präsident Dieter Lenzen aber wohl ein Hauruck-Vorhaben, das einfach gelingen musste. Et voilà: Hamburg hat alle vier beantragten Cluster durchbekommen. (Und darf sich den Ruhm, Leuchtturm des Nordens zu sein, mit einem anderen Sieger teilen: die kleine, feine Universität Kiel hat zwei von zwei Clustern bewilligt bekommen.) – Schließlich: Bonn. Die Ex-Hauptstadtuni, die lange nur vom alten Glanz gelebt und sich in den letzten Jahren überraschend abgehängt gezeigt hatte. Jetzt aber: Das große Comeback! Sechs Cluster und damit voller Rückenwind für die Zukunft als potenzielle Elite-Universität. – Und es gibt noch mehr Universitäten, die wir uns auf unserer Deutschlandkarte rot eingekringelt haben: Aachen und Dresden (je drei Cluster) konsolidieren ihren guten Ruf als forschungsstarke, technische Universitäten. Im Süden Baden-Württembergs tummeln sich die Hotspots – in Tübingen (3 Cluster), Freiburg, Konstanz, Stuttgart (je 2 Cluster). Ein erwartbar solides, wenngleich nicht besonders spektakuläres Ergebnis liefern auch die Münchner ab – vier Cluster wurden bewilligt. Der Standort ist der Antipode zu Berlin, wo sich die Unis willig aneinanderkuscheln. In München sind alle vier Cluster gemeinsame Forschungsvorhaben von LMU und TUM, ohne dass es jedoch einen Verbundantrag gibt. Beide Unis werden also je ein Zukunftskonzept einreichen und sind Partnerinnen und Konkurrentinnen zugleich.
  
 
 
Wer verliert?
Zunächst: Es gibt ein großes Mittelfeld. (Vielleicht ein zu großes.) Einige kleinere und mittelgroße Universitäten sind unter verhältnismäßig überdurchschnittlichem Aufwand im Exzellenz-Wettkampf angetreten. Dass Universitäten wie Jena, Bayreuth, Mainz je ein Cluster haben, zeigt, dass sich exzellente Forschung in Deutschland immer noch in der breiten Fläche findet. Zwei richtige Verliererinnen gibt es aber durchaus: Da wäre Heidelberg. Drei Cluster wurden hier beantragt, nur eines wurde bewilligt, plus ein geteiltes (mit dem KIT) – für die älteste Universität des Landes ein enttäuschendes Ergebnis. Und dann wäre da, ein paar Kilometer weiter, das KIT. Zwei Clusteranträge wurden abgesägt, zwei bewilligt (in Kooperation mit Heidelberg und Ulm) – bisschen wenig für einen solchen Riesentanker mit Riesenanspruch. 
  
 
 
Kleine ExStra-Arithmetik
Die richtigen Deutungsfestspiele gehen natürlich jetzt erst los. Die Universitäten und Ministerien werden die Ergebnisse drehen und wenden. Hier die wichtigsten Zahlen: 88 Clusteranträge wurden begutachtet, 57 schließlich bewilligt. – Zehn der bewilligten Cluster werden geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsvorhaben umsetzen. – Sachsen-Anhalt und das Saarland sind die einzigen Bundesländer ohne Exzellenzcluster. – Die meisten Cluster, nämlich 14, sammeln sich in Nordrhein-Westfalen. – Für die finale Exzellenzrunde, die Zukunftskonzepte, sind jetzt noch 17 Universitäten und zwei Verbünde im Rennen, sie haben mindestens zwei bzw. drei Cluster bewilligt bekommen. Stichtag für die Anträge ist der 10. Dezember 2018, 12 Uhr. 
  
   
   
   
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Standpunkt
 
 
   
von Anna-Lena Scholz
   
 
   
Herzklopfen – und ein bisschen Geld für viele
In den Universitäten des Landes pochten heute die Herzen aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Erst vor Aufregung, dann vor Freude – oder Enttäuschung. Fast wie bei einer Oscarverleihung, nur etwas weniger glamourös. Schließlich ging es um viel: die Zukunft der deutschen Spitzenforschung. Zwei Jahre haben die Universitäten auf diesen Tag hingefiebert – haben Forschungsanträge geschrieben, sich einem internationalen Expertengremium gestellt, ihre Muskeln gestählt. Heute also verkündete Bundesforschungsministerin Anja Karliczek gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Wissenschaftsrat (WR), welche Forschungsprojekte ab 2019 gefördert werden, mit insgesamt 533 Millionen Euro pro Jahr. Wichtig für die Universitäten war die Zwei-Cluster-Hürde: Nur wer die Zusage für mindestens zwei Exzellenzcluster erhalten hat, darf sich im Dezember auf das goldene Krönchen bewerben: den Titel „Exzellenzuniversität“. Er bedeutet eine dauerhafte Förderung der Universitäten durch den Bund.
Die strahlenden Gewinnerinnen sind allesamt jene, die sich mutig am eigenen Schopf gepackt und gefragt haben: Wo wollen wir hin? Die Universitäten in Berlin – HU, FU, TU, Charité, jede ein eitler Kosmos für sich selbst – haben sich zu einem großen Verbund zusammengeschlossen und sieben Cluster errungen, mehr als jeder andere Standort. Man wollte nicht nur Exzellenzuni sein, sondern ein echter Wissenschaftsstandort, in dem Ideen mehr gelten als Institutionen. Auch die Universitäten Hamburg und Bonn haben gezeigt, was möglich ist. Hamburg hat vier Cluster durchgekämpft, Bonn sogar sechs. Ein Zeichen des Trotzes, auch der Visionen. Hamburg hat lange mit seinem mittelmäßigen Ruf gehadert; Bonn, die Ex-Hauptstadt, stand im Schatten alter Zeiten, in denen das gelbe Uni-Schloss noch in der Nähe politischer Macht prunkte. Beide haben jetzt gezeigt, dass Exzellenzuniversitäten nicht vom Himmel fallen, sondern sich Spitzenleistungen hart und strategisch erarbeiten lassen.
Ein großes, sperriges Wort stand in all den Monaten über dem Auswahlverfahren: „Wissenschaftsgeleitet“ sollte es sein. Wir entscheiden inhaltlich und unabhängig, sollte das heißen – wir Wissenschaftler, wir Expertinnen. So kam es, fast jedenfalls. Ganz ohne Einfluss der Politik scheint es nicht zugegangen zu sein in der Entscheidungsfindung, welche Cluster gefördert werden. Es sind viel mehr, als erwartet, nämlich 57 Cluster an 34 Universitäten, und sie sind auffällig flächig verteilt. Das Ergebnis ist ein Paradox: Spitzenforschung in der Fläche, ein bisschen Geld für viele. Das beweist insgesamt die Stärke der deutschen Forschung, hier gibt es eben viele kleine Harvards. Wenn es aber Sinn und Zweck der Exzellenzstrategie ist, die Wissenschaftslandschaft in Deutschland schärfer zu profilieren und echte Eliteunis zu schaffen, die über föderale Ausgewogenheiten erhaben sind – dann hat sie ihre eigene Zwei-Cluster-Hürde nun überflüssig gemacht. International werden künftig all jene Unis glänzen, die mehr als das geschafft haben – wo sich Spitzenforschung nicht in ein, zwei Clustern ballt, sondern über die gesamte Institution erstreckt. 

Dieser Kommentar erscheint morgen auch auf ZEIT ONLINE
   
 
   
 
   
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c.t.
 
 
   
 
 
Anna-Lena Scholz im ExStra-Labor der ZEIT. Nicht im Bild, aber am anderen Ende der Telefonleitung: Manuel Hartung und Martin Spiewak, Co-Exzellenzausdeuter.
 
 
 
 
 
   
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