Elbvertiefung kann beginnen – trotz weiterer KlageKommt sie nun,
die (andere) Elbvertiefung, oder nicht? Zumindest sieht es so aus, als ob
die Bauarbeiten bald beginnen könnten. Die Umweltverbände des
Aktionsbündnisses »Lebendige Tideelbe« haben zwar gestern bekannt gegeben, dass sie weiter klagen wollen, aber
ein Eilantrag auf einen Baustopp werde nicht gestellt. Aus der Politik kam daraufhin schon mal verhaltener Jubel.
»Endlich mal eine gute Nachricht für den Hamburger Hafen«, schrieb die CDU. Und die FDP schlussfolgerte: »Mit dem Verzicht auf einen Eilantrag zum Baustopp der Fahrrinnenanpassung
machen die Umweltverbände den Weg frei für den Beginn der Baumaßnahmen.« Dabei verzichten Nabu, BUND und WWF nur auf den Antrag, weil sie ihm schlicht zu wenig Aussicht auf Erfolg zumessen.
Die Planung zum weiteren Ausbaggern der Fahrrinne halten sie nach wie vor für rechtswidrig. Deshalb wollen sie auch am Freitag
Klage beim Bundesverwaltungsgericht gegen den jüngsten Planergänzungsbeschluss einlegen. Mit einem Urteil rechnen sie frühestens in zwei Jahren. So schnell geht es also vielleicht doch nicht mit der Vertiefung. Und die Umweltverbände planen
noch einen weiteren Schritt: Dabei geht es um die Schäden der letzten Elbvertiefung vor knapp 20 Jahren. Es sei zu einem erheblich stärkeren Sedimenttransport des Flusses gekommen als in den Planungen angenommen, was nun mehrere Schutzgebiete an der Tideelbe gefährde und
immer aufwendigere Unterhaltungsmaßnahmen mit sich brächte (Stichwort: Schlick ausbaggern!). »Wir werden nicht länger hinnehmen,
dass die ökologischen Auswirkungen von Großvorhaben unterschätzt werden, ohne dass dieses im Nachhinein Konsequenzen hat«, sagte
Beatrice Claus vom WWF gestern. Ein entsprechender Antrag werde noch im Oktober bei den zuständigen Behörden eingereicht.
Kritik üben mit Kopfstand Kritik üben kann man üben: Mit dieser These sind Studierende der
Hochschule für bildende Künste zusammen mit
Friedrich von Borries, Professor für Designtheorie, gestartet. Herausgekommen ist die
Ausstellung »Übungsraum der Kritik« sowie ein Übungsbuch mit Tipps und Tricks von geübten Kritikern wie dem
Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert oder dem
Soziologen Armin Nassehi. Wir haben mit Friedrich von Borries über die Aktion gesprochen.
Elbvertiefung: Herr von Borries, Sie haben mit Ihren Studierenden einen Übungsraum der Kritik entwickelt. Was erwartet einen bei der Ausstellung?Friedrich von Borries: Eine Art Trainingsparcours mit neun Stationen. Zum Beispiel ein Stehtisch, an dem sich verschiedene Standpunkte ausprobieren lassen. Eine Yogamatte, um einen Kopfstand zu machen und so mal eine neue Perspektive einzunehmen. Eine Wippe, um zusammen mit jemand anderem das Hin und Her eines Streits auszuprobieren, die Oberhand gewinnen und wieder abgeben.
EV: Das klingt mehr nach Spielplatz als nach Ausstellung.Borries: Ich glaube, dieses spielerische Moment braucht man heute. Kritik ist erstarrt. Wir sind ständig selbstkritisch. Jedes Unternehmen, jede Organisation hat Routinen für Kritik, seien es wiederkehrende Meetings oder ein Briefkasten für Beschwerden. Eigentlich ist Kritik überall. Bei den ersten Gesprächen mit den Studierenden kam aber heraus, dass sie sich nicht trauen, fundamentale Kritik zu üben. Über die Formulierung »Kritik üben« sind wir auf die Idee mit den Übungen zum Kritiküben gekommen.
EV: Gibt es auch eine ernste Seite?Borries: Natürlich. Die ist wichtig und soll auch in den spielerischen und ironischen Elementen immer mitschwingen. Ein Objekt des Parcours ist etwa die harte Bank der Theorie. Jeder soll sich dort überlegen, welches Buch er schon immer mal lesen wollte. Denn Kritik hat auch mit Wissen zu tun. Das ist ein wichtiger Unterschied zwischen Wutbürger und Kritiker. Ein Wutbürger setzt sich nicht ernsthaft mit Fakten und Inhalten auseinander, ein Kritiker schon. Gleichzeitig muss man vielleicht auch nicht jedes Buch zu einem Thema gelesen haben, bevor man Kritik üben kann.
EV: Was sollen die Besucher am Ende gelernt haben?Borries: Keine Angst haben zu scheitern. Erst einmal sollen sie sich trauen, überhaupt mitmachen, sich darauf einlassen. Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass da jemand im Kampnagel-Foyer einen Kopfstand macht, aber vielleicht reicht es auch, darüber nachzudenken, sich den Perspektivwechsel vorzustellen, damit es klick macht. Und im besten Fall nehmen die Besucher am Schluss unser Übungsbuch mit. Das haben wir frei nach dem Motto »Kritik einstecken und austeilen« auch schon ganz selbstironisch zum Verkauf in Tüten gepackt.
EV: Gibt es denn darin auch eine einfache Regel, um das im Alltag zu üben mit der Kritik?Borries: Klar. Das nächste Mal, wenn man jemand mit einer anderen Meinung trifft, hört man einfach mal zehn Minuten zu – ohne zu unterbrechen.
Die Ausstellung »Übungsraum für Kritik« ist diese und nächste Woche von Donnerstag bis Samstag, jeweils abends, im Kampnagel-Foyer zu sehen. Die genauen Zeiten stehen hier. Das begleitende Symposium »Kritik austeilen – Kritik einstecken« findet am Samstag um 19 Uhr statt. Das Buch »Kritik üben – Ein Manual: Für alle – vom Einsteiger bis zum Profi« ist in der Kursbuch-Edition erschienen.