Fünf vor 8:00: Der bayerische Sonderweg ist am Ende - Die Morgenkolumne heute von Ferdinand Otto

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.
 
 
 
   
 
 
 
FÜNF VOR 8:00
13.09.2018
 
 
 
   
 
Der bayerische Sonderweg ist am Ende
 
Die CSU in ungewohnter Rolle: Sie sucht einen Partner oder zwei. Erkenntnisse aus dem einzigen TV-Duell des Wahlkampfs, einem Schaulaufen der möglichen Koalitionäre
VON FERDINAND OTTO
 
   
 
 
   
 
   

In Bayern steht ein Epochenwandel bevor, nichts weniger. Die CSU muss sich einen, vielleicht zwei Koalitionspartner suchen. Knapp ein Monat vor der Landtagswahl hat der Bayerische Rundfunk Zahlen veröffentlicht, die so ungeheuerlich sind, dass Franz-Josef-Strauß-Haus dem einen oder anderen vor Schreck das Weißbierglas aus der Hand gefallen sein dürfte: die CSU bei 35 Prozent.
 
Fraktionschef Thomas Kreuzer brummt am Abend missmutig im einzigen TV-Duell des Wahlkampfs "Das sind ja Berliner Verhältnisse!" in die Kameras. Und so finden sich die Christsozialen gerade in einer ungewohnten Rolle wieder. Wer mit regiert, wird Bayerns Politik in den kommenden fünf Jahren maßgeblich beeinflussen – und damit den Kurs der CSU im Bund. Wer könnte mit wem? Der TV-Gipfel gibt erste Hinweise.
 
CSU und Grüne – Beziehungsstatus: Gegensätze ziehen sich an. Oder?
 
Das wäre derzeit womöglich die einzige Zweier-Koalition – was auch davon abhängt, ob Linke und FDP in den Landtag kommen, was mit jeweils fünf Prozent nicht sicher ist. Man muss schon sehr genau suchen, um zwischen Christsozialen und Grünen Gemeinsamkeiten zu finden. Polizeiaufgabengesetz, Flüchtlingspolitik, Wohnungsbau, Gemeinschaftsschulen, Flächenverbrauch – bei nahezu jedem größeren Politikthema sind die Grünen die Antipoden der Staatsregierung. Was sicher Teil ihres derzeitigen Erfolgs ist. Kreuzer wagt, was Ministerpräsident Markus Söder bislang vermieden hat: Er schließt eine Koalition aus. Im TV-Duell gibt es nur eine Überschneidung: Grüne wie CSU wollen nicht, dass Kitas kostenlos werden.
 
Warum also die ständigen Spekulationen? Schwarz-Grün wäre in der Bevölkerung die beliebteste Koalition. Überschneidungen im christlichen und öko-sozialen Milieu gibt es durchaus. Und hartnäckig hält sich folgendes Gedankenspiel: Die CSU schmiert ab, Söder und Seehofer müssen gehen. Eine neue, weniger toxische CSU-Führung, vielleicht unter Manfred Weber oder Ilse Aigner, und schon könnte man miteinander.
 
CSU und SPD – Beziehungsstatus: Kein Kommentar
 
Die große Koalition im Bund hätte in Bayern derzeit knapp keine Mehrheit, die SPD kommt nur auf elf Prozent. Inhaltlich liegt man schon auch ein gutes Stück auseinander. Aber die SPD versucht einen Wahlkampf mit sozialen Themen und auch Ministerpräsident Söder tourt derzeit mit Versprechen für die Menschen, die er "kleine Leute" nennt durch die Bierzelte. Bayern könnte sich bei den vollen Kassen alle Sozi-Träume locker leisten. Was, wenn Söder verspricht, tausende Lehrer zu verbeamten, noch viel mehr Wohnungen zu bauen und die Kita-Gebühren abzuschaffen? Könnte die SPD da Nein sagen? Eigentlich müsste sie auf ihrem Weg Richtung Fünfprozenthürde diesen Absprung in die Regierung nehmen. Spitzenkandidatin Natscha Kohnen sagt dazu im TV-Duell nur: Sie wolle überhaupt nur über Inhalte reden, nicht über Koalitionen.
 
CSU und Freie Wähler – Beziehungsstatus: It’s a Match
 
Das passt – reicht aber, genau wie bei der SPD, knapp nicht. Auch die FW liegen bei elf Prozent. Sie sind eine Art kommunalpolitischer Abspaltung der CSU, stellt viele Bürgermeister und Landräte. Sie ist für solche Wähler, die wertkonservativ sind, heimatverbunden, denen die CSU aber zu großkopfert daher kommt. Parteichef und Spitzenkandidat Huber Aiwanger macht derzeit als einziger ganz offensiv einen Koalitionswahlkampf.
 
Inhaltlich passt vieles zusammen: Das Polizeiaufgabengesetz, naja, findet Aiwanger, vieles gehe in die richtige Richtung, bei anderem schieße die CSU übers Ziel hinaus. Müssen wir nach ein paar Jahren mal evaluieren, findet er. Auch beim Thema Asyl Gemeinsamkeiten mit der CSU: "Wir müssen schon aufpassen, wen wir reinlassen." Transitzentren, Ankerzentren? "Brauchen wir nicht." Es reiche, geltendes Recht durchzusetzen. Ansonsten will er den ländlichen Raum stärken und eine Bestandsgarantie für kleine Schulen.
 
Auch wenn die CSU nicht der Traumpartner sei, er will mit ihr regieren und mit niemand sonst: "Für ein buntes Bündnis stehe ich nicht zur Verfügung." Und die CSU? Hätte mit den FW an der Seite wohl noch das geringste Problem, man könnte sich schon arrangieren.
 
CSU und FDP und X – Beziehungsstatus: Alte Bekannte
 
Mit den Liberalen hat die CSU schon mal regiert, 2008 bis 2013. Diesmal bräuchte es mal mindestens einen weiteren Partner, sofern die FDP überhaupt in den Landtag kommt. Was die CSU eigentlich nicht gebrauchen kann. Denn mehr Parteien machen die Regierungsbildung schwerer. Und da kommt der alte Frust der Liberalen ins Spiel. Nachdem sie fünf Jahre mitregiert haben – nicht ohne Querelen aber auch nicht im Desaster – flogen sie 2013 knapp aus dem Landtag. Zur Freude des CSU. Das sicherte ihr die absolute Mehrheit der Mandate – mit damals 48 Prozent der Stimmen.

Und auch inhaltlich sind CSU und FDP nicht unbedingt das, was man natürliche Partner nennt. Die Liberalen haben sich in Berlin mit Grünen und Linken zusammen getan, um das bayerische Polizeigesetz zu stoppen, mit einer Normenkontrolle. "Söder hat jetzt ein Feuerwerk abgebrannt an Sozialleistungen, die er unter's Volk führt", sagt Martin Hagen, der liberale Spitzenkandidat Landtagswahl zu den Wohltaten der CSU. Den sozialen Wohnungsbau, den die CSU gerade für sich wieder entdeckt hat, sieht er skeptisch. Zurückhaltend also zu einer Regierungsbeteiligung: Man könne mit den Liberalen immer aber darüber reden, das "Land nach vorn zu bringen und liberaler zu machen".
 
CSU und AfD – Beziehungsstatus: Nicht mit mir!
 
Mit der AfD, in Bayern derzeit bei elf Prozent, will keiner regieren. Die CSU tut derzeit alles, um die AfD als un-bayerisch zu brandmarken. Sie sei eine "radikale Partei", findet CSU-Fraktionschef Kreuzer. Auch wenn gerade in der Asylpolitik, in Umfragen auch in diesem Landtagswahlkampf das wichtigste Thema, viel Übereinstimmung herrscht. "Islamfreie Schule", plakatiert die AfD derzeit im Wahlkampf – und unterschreitet damit selbst das Niveau jedes CSU-Stammtischs.
 
Und sonst so?
 
Ganz im Abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit deutet sich gerade eine zweite kleine Revolution an: Die Linkspartei kommt im aktuellen Bayerntrend auf fünf Prozent, darf also hoffen, zum aller ersten Mal überhaupt ins Maximilianeum einzuziehen. Das heißt: Ein Plenum mit sieben Fraktionen ist möglich. Der bayerische Exzeptionalismus ist am Ende; Die Schwäche der CSU sei Dank.
 
Wobei die Schwäche relativ ist. Noch immer stehen die Christsozialen deutlich über dem Bundestrend der Union, die die 30-Prozent-Marke derzeit eher von unten ankratzt. Und zwischen der CSU und den zweitplatzierten Grünen, die vor Kraft kaum laufen können, liegen fast 20 Prozentpunkte. Letztlich für Söder nur ein mauer Trost – macht es die Partnerwahl doch so viel schwerer.

 


 
WEITERFÜHRENDE LINKS

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Erlebt Bayern bald den Kretschmann-Moment?
WELT Weg vom Image wohlhabender Öko-Städter
   
 
   
ANZEIGE
 
 
 
 
Nur für Newsletter-Abonnenten
 
   
 
   
SERIE
 
 
 
 
FÜNF VOR 8:00
Die Morgenkolumne auf ZEIT ONLINE
 
 
Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.