| | Sportlich, durchtrainiert oder unterernährt und krank? Von der Körperfülle lässt sich nicht unbedingt auf die Lebensumstände schließen. © Olenka Kotyk/unsplash.com |
Es gibt Sätze, die man nicht verzeihen kann. Die unter die Haut gehen und bleiben wie ein Tattoo. "Sag mal, kommst du aus Afrika, oder was?" Die Frage rief mir ein halbtrunkener Typ auf einem Festival zu. Damals war ich 16 Jahre alt und so unglücklich mit meinem Körper, wie man es in der Pubertät nur sein kann.
Der Kommentar war sexistisch und rassistisch zugleich. Er speiste sich aus extremen Vorurteilen, wie das viele Kommentare dieser Art an sich haben. Das war mir in dem Alter nicht bewusst. Heute wäre ich wahrscheinlich zurückgegangen und hätte ihm vor die Füße gespuckt. Doch damals war ich noch nicht so weit. Ich blieb stumm und weinte.
Je älter ich wurde, desto häufiger kommentierten Menschen aus meinem Umfeld meinen Körper. Ich habe eine zierliche Statur: dünne O-Beine, schmale Taille, herausstehende Wirbelsäule und großer Kopf. "Spargeltarzan" gehörte zu meinen gängigen Kosenamen und sogar beim Ballett riet man mir, mehr zu essen. All diese Kommentare lösten in mir Verwirrung und Trauer aus. Sie bewegten mich nicht dazu, mehr und gesünder essen. Sie gaben mir nur das Gefühl, hässlich zu sein.
Sowohl mein Opa, der mir mit dem Satz "Kind, du hast ja kaum was auf den Rippen" ein Stück Kuchen auf den Teller schiebt, als auch der Verkäufer, der mir mit dem Spruch "So dünne Beine passen ja in alle Hosen" eine Jeans andrehen möchte, sind übergriffig. Ihre Worte sind keine Komplimente für mich. Mein Körper ist meine Angelegenheit – mit dem Nachteil, dass er für jeden sichtbar ist. Aber nur, weil er für jeden sichtbar ist, heißt das nicht, dass jeder das Recht hat, ihn zu kommentieren. Viel zu lange gab ich mir selbst die Schuld dafür, dass andere meinem Körper wertende Namen gaben.
So wie mir geht es vielen. Skinny Shaming ist ein Begriff, der mit der Body-Positivity-Bewegung der Neunzigerjahre aufkam und über die sozialen Medien transparent macht, was mir und vielen anderen dünnen Menschen widerfährt. Allein auf Instagram posteten mehr als 7.000 User Fotos mit dem Hashtag #skinnyshaming und schrieben von ihren Erfahrungen. Der Nutzer robotracecar schrieb zum Beispiel am 8. Mai unter ein Foto von sich: "Normalerweise ignoriere ich solche Kommentare, aber das heißt nicht, dass ich sie nicht höre. Die Reaktion passiert in mir. Body Shaming muss aufhören."
Die Körperaktivistin Magda Albrecht betrachtet den Begriff Skinny Shaming kritisch. "Jede Form von Körperabwertung ist falsch", sagt Albrecht. "Aber ich sehe in unserer Gesellschaft keine systematische Abwertung von schlanken Körpern, jedenfalls nicht, weil sie schlank sind, sondern eher, weil sie als krankhaft oder abnormal gelesen werden." Dünne Körper sind laut Albrecht zwar Sexismus, Körperabwertung und Pathologisierung unterworfen – aber keiner strukturellen Abwertung.
Das mag sein. Dennoch fühlen sich dünne Menschen diskriminiert. Ihnen das abzusprechen wäre anmaßend. Doch wenn der Begriff seinen Inhalt verfehlt, braucht es einen neuen Namen. Oder eine genauere Definition, die bisher nicht existiert.
Schönheit ist nicht Größe 36
Mir ist bewusst, dass mein Körper mit positiven Stigmata belegt ist. Dünne Menschen gelten als sportlich, diszipliniert und agil. Dicke Menschen werden in unserer Gesellschaft als faul und undiszipliniert, sogar als dumm gebrandmarkt. Das wirkt sich auch auf den Arbeits- und Wohnungsmarkt aus: Eine Studie der Universität Leipzig mit 3.000 Teilnehmer*innen belegte 2016, dass fast 50 Prozent aller als adipös gelesenen Menschen im Arbeitsumfeld oder bei der Wohnungssuche diskriminiert werden.
Stigmata bleiben Stigmata. Und ich als dünne Frau möchte keine Vorurteile repräsentieren. Ich möchte weder das #fitnessgirl, noch die Magersüchtige, noch das Opfer der Schönheitsindustrie darstellen – auch wenn ich vielleicht danach aussehe.
Menschen müssen lernen, dass Körper nicht mit (Charakter-)Eigenschaften gleichzusetzen sind. Dass Schönheit nicht Größe 36, straffe Haut und Knackarsch bedeutet. Und vor allem: dass Körper nicht dazu da sind, um sie zu bewerten, geschweige denn sie zu kommentieren.
Es sind strukturelle Normen, Traditionen und Werte, die es umzustülpen gilt. Seit idealisierte Frauenbilder, Model-Casting-Shows und Modetrends existieren, versuchen Menschen, diese Strukturen zu brechen. Im 19. Jahrhundert protestierten Frauen in England und den USA gegen enge Korsetts der viktorianischen Kleider. In den Sechzigerjahren formierte sich die sogenannte Fat-Acceptance-Bewegung, die sich gegen Stigmatisierung, Pathologisierung und für die Rechte von dicken Menschen einsetzt. Mitte der Neunzigerjahre entstand die Body-Positivity-Bewegung in den USA. Mit dem Hashtag #bodypositivity rufen ihre Anhänger*innen dazu auf, sich so zu zeigen, wie sie sind – mit Cellulitis, krausen Schamhaaren, herausstehenden Adern, krummen Zehen – und zufrieden damit zu sein.
Immer mehr Menschen setzen den Hashtag #bodypositivity unter ihre Instagram-Posts. Leider finden sich darunter vermehrt User, die den Begriff zweckentfremden. Das sind zum Beispiel Influencer*innen, die damit mehr Klicks generieren oder Firmen, die ihre Protein-Drinks verkaufen wollen. Der inflationäre Gebrauch des Hashtags entwertet die Idee des Begriffs, er entpolitisiert ihn.
Für die Fat-Acceptance-Aktivistin Magda Albrecht ist der Kampf gegen diese Strukturen ein politischer: Sie stößt mit ihren Büchern und Artikeln Diskussionen an und bringt Menschen zum Umdenken. Doch für die meisten bleibt es zum größeren Teil ein persönlicher Prozess. Jeder und jede muss seinen oder ihren Weg finden, mit dem eigenen Körper zurechtzukommen. Für die eine mag es ein neues Outfit sein, für den anderen die regelmäßige Meditationspraxis, für die dritte die Verhaltenstherapie. Für mich ist es unter anderem Yoga, das mir ein gutes Körpergefühl gibt.
Heute laufe ich – nicht ohne Selbstzweifel, aber gern mal – mit knapper Hose und Top zum Supermarkt und denke mir "Fuck you", wenn jemand doof guckt. Und letztens habe ich einen Mann auf der Tanzfläche zur Rede gestellt, der meiner Freundin an den Po griff und dann halb grinsend behauptete: "Das war ich nicht". Ich diskutierte fast eine Viertelstunde mit ihm darüber, warum er das getan hatte. Für mich selbst einzustehen, bleibt noch immer eine Herausforderung. Für meine Freundin konnte ich immerhin aus mir herausgehen. Er entschuldigte sich. Tasnim Rödder, 24 Jahre alt, ist freie Journalistin und schreibt unter anderem für "ze.tt", "Missy Magazine", "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" und "Mit Vergnügen". Außerdem ist sie Teil der Chefredaktion des Indie-Bookazines "transform – Magazin fürs Gute Leben". Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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