Ausgezeichnet: Hamburger Projekte für Demokratie und ToleranzDie einen gehen von Tür zu Tür, um im Gespräch
gegen Politikverdrossenheit zu wirken. Die anderen eröffnen mit einem Schultheaterprojekt den
Stadtteildiskurs gegen Extremismus und Intoleranz. Ob
mobile Ausstellung zu Holocaust-Opfern, Kooperationsprojekt zwischen Schülern und Obdachlosen oder
Willkommensdinner für Geflüchtete –
fünf Projekte aus Hamburg haben sich
»Aktiv für Demokratie und Toleranz« starkgemacht und gehören damit zu den knapp 80 Auserwählten aus ganz Deutschland, die
vom Bündnis für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt mit bis zu 5000 Euro ausgezeichnet wurden. Gestern war die Preisverleihung in Hamburg.
Elisabeth Nöfer vom
Projekt Denkende Gesellschaft, das mit 3000 Euro Preisgeld ausgezeichnet wurde, war dabei.
»Wir verstehen uns als Reflexionshilfe«, erklärt sie. Ansprechpartner sind in erster Linie bundesweit Nichtwähler und auch Menschen, die mit der Politik Frust und Ängste verknüpfen. Im Gespräch findet ein Austausch zu persönlichen Werten statt, ein Bogen zu praktischem politischem Engagement wird gespannt. »Es geht darum, vom abgeklärten Denken ›Ich kann eh nix tun‹ wegzukommen, die Menschen zu emanzipieren und sie dazu zu bringen, ihre eigene Stimme zu nutzen«, so Nöfer. Das zweijährige
Theaterprojekt des Helmut-Schmidt-Gymnasiums »Kein deutscher Land«, das sich mit der
Radikalisierung von Jugendlichen auseinandersetzte, hat die 1000 Euro Preisgeld in die Abschlussreise nach Israel einfließen lassen. Dort wurde das
Stück in Jerusalem und Tel Aviv gezeigt und im Nachgang mit dem Publikum diskutiert. Bedenken und Vorurteile, die Schüler und auch Eltern zuvor gehabt hätten, hätten sich aufgelöst. Die Auseinandersetzung habe nicht nur durch das Theaterstück, sondern auch in den Gesprächen vor Ort stattgefunden. Die Schüler seien zu Multiplikatoren geworden, so Lehrer
Hédi Bouden, »vor Ort hat ein großer Aha-Effekt eingesetzt«.
Mekka der Popkultur: Reeperbahn Festival beginnt600 Konzerte und 420 Künstler in vier Tagen – ab morgen verwandelt das
Reeperbahn Festival die Stadt wieder ins europäische Mekka der Popkultur. Es stehen hochrangige
Konzerte von Get Well Soon bis Metronomy an, aber auch
Kunstausstellungen, Fachgespräche, Workshops. Wir haben mit dem
Co-Gründer und Geschäftsführer des Festivals Alexander Schulz vorab gesprochen.
Elbvertiefung: 900 Programmpunkte – das kann sich doch keiner alles angucken! Wie legt man sich einen Fahrplan an?Alexander Schulz: Am besten gemischt. Es ist nicht ratsam, sich vorweg auf mehr als zwei Programmpunkte täglich festzulegen oder sich nur die prominentesten auszusuchen. Ansonsten ist man eventuell allzu enttäuscht, wenn der Laden voll ist und man nicht mehr reinkommt. Und es ist empfehlenswert, sich Luft zu lassen. Es kann immer mal passieren, dass man unterwegs Leute trifft und spontan auf Empfehlung irgendwo landet. Wir sind ein Ausprobierfestival.
EV: Was fällt im diesjährigen Programm auf?Schulz: Es sind noch einmal deutlich mehr Künstler aus der Contemporary Klassik dazugekommen. Und auch das Genre Rap und Hip-Hop wächst und gedeiht. Weil wir ähnlich gestrickt sind wie die großen Filmfestivals und unseren Fans und Fachbesuchern die neusten Beiträge aus möglichst vielen Ländern präsentieren wollen, sind auch immer mehr Künstler aus afrikanischen Ländern oder Asien vertreten. Außerdem ist unser Musikfilmbereich so stark wie nie. Unter den 18 Vorführungen finden sich acht Deutschland- oder Europapremieren, wie »Shut up and Play the Piano!« oder »Here to Be Heard – The Story of the Slits«.
EV: Es wird in diesem Jahr auch von Konstantin Gropper (Get Well Soon), der Londoner Band Bear’s Den und Komponist Paul Firth sowie Komponist und DJ David August drei Uraufführungen geben. Sollte man sich die Termine ganz dick markieren?Schulz: Auf jeden Fall. Gerade Konstantin Gropper macht mit »Nightmares« in St. Michaelis schon etwas ganz Besonderes. Er setzt sein aktuelles Album mit einem 20-köpfigen Ensemble um. Sein Vater Walter Gropper wird die Orgel bedienen. Das wird die erste populäre Darbietung mit Orgeleinsatz an diesem Ort sein.
EV: Was erwartet die kunstaffinen Besucher dieses Jahr im Festival-Village?Schulz: Nachdem das Festival-Village im vergangenen Jahr noch etwas hemdsärmelig und schnell aus dem Boden gestampft worden war, ist es in diesem Jahr sehr schön geworden, was die Besucher spüren werden. Ein Höhepunkt ist dort sicher die Ausstellung von Klaus Voormann mit knapp 70 Exponaten. Wir sind sehr stolz darauf, dass er bei uns erstmals eine große Werkschau zeigt – von seinem Cover des Beatles-Albums »Revolver« bis zu Arbeiten aus jüngerer Zeit.
EV: Es geht aber nicht nur um reine Unterhaltung. Neben Konzerten und Ausstellungen gibt es in diesem Jahr in Workshops und Panels vermehrt die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen …Schulz: Auch in den vergangenen Jahren wurden bereits Themen wie die gesellschaftliche Verantwortung von Künstlern aus dem Populären bei uns thematisiert, allerdings ausschließlich bei der Konferenz fürs Fachpublikum. In diesem Jahr sind viele Panels und Workshops wie zu unserer »Keychange«-Kampagne zum Thema Genderbalance in der Musikwirtschaft für alle Besucher zugänglich. Am Sonnabend bieten wir im Programmstrang »Education« nach der Fachkonferenz gut zwanzig Veranstaltungen für musikwirtschaftsinteressierte Besucher.