Fünf vor 8:00: Wolfgang Schäuble, übernehmen Sie! - Die Morgenkolumne heute von Theo Sommer

 
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FÜNF VOR 8:00
25.09.2018
 
 
 
   
 
Wolfgang Schäuble, übernehmen Sie!
 
Ob in Berlin oder Washington, sture Egozentrik überall. Die große Koalition arbeitet geradezu wollüstig an ihrem Untergang und Donald Trump verfällt in Sanktionswahn.
VON THEO SOMMER
 
   
 
 
   
 
   

Ich gestehe: Zum ersten Mal in 60 Jahren Journalismus ist mir nicht nach Analysieren zumute. Ich möchte mich nur aufregen, umgangssprachlich ausgedrückt: Mir ist zum Kotzen. Wenn ich um mich blicke, egal ob nach Berlin oder Washington, Brüssel oder London, sehe ich nur Unverstand walten, Unfähigkeit zum Kompromiss und sture Egozentrik. Auflösung überall, Lösung nirgends.
 
Nehmen wir Deutschland. Da kann man nur sagen: Die spinnen in Berlin. Die große Koalition wird immer kleiner. Geradezu wollüstig arbeitet sie an ihrem Untergang  – und zieht unser politisches System ein Stück weit gleich mit in den Abgrund. Das Führungspersonal der CDU und der CSU ist verbraucht, angefangen bei Angela Merkel und Horst Seehofer. Die SPD-Chefin jedoch bringt wenig politisches Gewicht auf die Waage. Die Regierung funktioniert nicht, sie streitet nur. Der Streit verdunkelt das wenige, das sie hinkriegt, und rückt zugleich ihre "erbarmenswürdige Problemlösungsinkompetenz" (Heribert Prantl) ins hellste Licht.
 
Was tun? "Macht den Laden dicht, ihr Deppen", twitterte der FAZ-Redakteur Patrick Bahners schon im Mai. Die Regierenden hörten nicht auf ihn, sie zogen den Schrecken ohne Ende einem Ende mit Schrecken vor. Jetzt haben sie den Salat, oder besser: Wir haben ihn.
 
Manchmal denke ich: Höchste Zeit, dass Wolfgang Schäuble endlich Bundeskanzler wird. Ein Mann mit Erfahrung und Haltung, Stil, Autorität und Ausdrucksfähigkeit. Zu alt? Er ist nur drei Jahre älter als Konrad Adenauer bei seinem Amtsantritt, und der hat danach nicht ganz erfolglos 14 Jahre lang regiert. Schäuble hat noch heute mehr Ideen, auch kühne wie Neuwahlen und Minderheitsregierung, als die ausgelaugten und die nicht ganz eingelaugten Amtsinhaber. Er könnte auch Thomas de Maizière wieder ins Kabinett holen (der Posten des Bundesinnenministers wird sowieso bald frei) und Sigmar Gabriel einen Posten geben, auf dem er seine Grundideen und sein Temperament nicht nur als lesenswerter Buchautor bekunden, sondern auch politisch wirksam werden lassen könnte. 
 
Ist wahrscheinlich Blödsinn, aber die Verzweiflung über den "Laden" bringt einen auf die seltsamsten Gedanken. 
 
Und wo ich schon dabei bin, mich aufzuregen, noch ein paar Worte über – na, wen wohl: Donald Trump. Aber nicht das übliche Lamento über den Deppen im Oval Office, sondern eine sehr konkrete Kritik an den Auswüchsen des amerikanischen Sanktionswahns.
 
Sanktionen sind Zwangsmaßnahmen eines oder mehrerer Staaten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann sie gegen Länder verhängen, die den Frieden bedrohen oder brechen, sich humanitärer Delikte schuldig machen oder sich anderweitig bösartig verhalten. Auch die EU hat schon Sanktionen verhängt, etwa gegen Russland, nach der Annexion der Krim. Kein Land jedoch ist so sanktionswütig wie die USA. 
 
Scrollen Sie doch mal auf der Website des amerikanischen Finanzministeriums die Sanktionsliste des Office of Foreign Assets Control herunter. 29 Sanktionsprogramme sind dort aufgeführt, unter anderem gegen Burundi, Kuba, Iran und Irak, Nordkorea, Venezuela und Russland. Aus dem Zweck wird kein Hehl gemacht: "Sanktionen können umfassend selektiv sein, die Blockierung von Vermögen und Handelsbeschränkungen dient der Erreichung unserer außenpolitischen und sicherheitspolitischen Ziele."

Was mich daran aufregt? Dass die Trump-Administration sich anmaßt, für ihre oft rein egoistische, auf den eigenen wirtschaftlichen Vorteil bedachte Sanktionspolitik exterritoriale Geltung zu beanspruchen. Zu Deutsch: Wenn aus durchsichtigen Gründen alle mit Sanktionen bedroht werden, die etwa mit der Gasleitung Nord Stream 2 zu tun haben oder mit Iran völlig legale Geschäfte treiben wollen. Das dürfen wir uns unter keinen Umständen gefallen lassen
 
Die spinnen doch, möchte man nach dem jüngsten Schachzug Washingtons auch über die US-Sanktionspolitiker sagen. Jetzt haben sie – auf Anweisung Trumps –, den für Rüstungsbeschaffung und -entwicklung verantwortlichen Abteilungsleiter im chinesischen Verteidigungsministerium, den Generalleutnant Li Fangshu, mit Sanktionen belegt. Warum? Weil er für die Volksbefreiungsarmee russische SU-35-Kampfflugzeuge und S-400-Luftabwehrraketen bestellt hat. Die durch maßlose Übertreibung missratene Sanktionspolitik wird so vollends zur Farce. 
 
Viel Affekt, wenig Analyse? Ich bitte um Nachsicht. Nächste Woche wieder anders.

 


 
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