Der Clip geht so: Junge läuft durchs Bild und ruft: "Deutscher von Ausländern abgestochen!" Daraufhin rennt eine erboste Menge sächsischer Rentner mit Plakaten zu einer Kundgebung und ruft freudig erregt: "Es geht wiedo lööös!" Außerdem kommt noch ein AfD-Stand vor und ein Bild-Reporter mit Liveschalte. Alles supersoft und supersweet. Der deutsche Satiriker Schlecky Silberstein drehte im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt SWR eine Parodie auf die neonazistischen Aufmärsche in Chemnitz. Wie immer bei politisch motivierter Satire in nervösen Gesellschaften ist der zweite Akteur der Rezipient. Also das jederzeit zur nationalistisch-narzisstischen Kränkung bereite Publikum. Während die Silberstein-Leute den Clip drehen wollten, schauten die Bewohner des Anton-Saefkow-Platzes im Berliner Bezirk Lichtenberg aus den Fenstern, sahen das typische Szenario eines Filmsets – Kameras, Mikrofone, Reflektorschirme –, witterten vermutlich Spott, Klamauk und Propaganda und machten höchstwahrscheinlich eine Telefonkette. Die Leute vom Set, in Vorausahnung der niedrigen Kränkungstoleranz der Lichtenberger Bewohner (19 Prozent Stimmenanteil für die AfD bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016 und knapp 17 Prozent bei der Bundestagswahl 2017), hatten das Set zusätzlich mit Hinweisen beklebt, dass es sich um eine Kulisse handele. Außerdem – das ist ja gerade riesig Mode – führten die Filmleute Gespräche mit besorgten Anwohnern, die Befürchtungen hatten, dass dort irgendwas fingiert wird, was die Reputation des Viertels beschädigen könnte. Von den Sachsen-Gesprächen, Pegida-Gesprächen, Landeszentrale-für-politische-Bildung-in-Sachsen-Gesprächen und sonstigen Gesprächen-Gesprächen weiß man, dass sie den Leuten ihre bekümmerte Stimmung erst so richtig einhämmerten. Dem Team von Silberstein ist es offenbar nicht gelungen, am Filmset die Bedenken auszuräumen und für den demokratischen Rechtsstaat mit Kunstfreiheit zu werben. Vermutlich wurde der Abschnittsbevollmächtigte benachrichtigt oder der Vopo, vielleicht auch jemand anderes, keine Ahnung, wie da im Moment die Strukturen in Ostberlin sind, jedenfalls kümmerte sich die Lichtenberger AfD persönlich um die Angelegenheit. Sie antwortete in einem Video auf den Filmdreh, indem sie in ARD-Monitor-Ästhetik den Silberstein-Film im Hintergrund ablaufen ließ und eine Stimme aus dem Off die folgenden grandiosen Worte im Investigativduktus sprach: "Wir sind fassungslos! AfD-Stand gefälscht, mit dumpfen Skinhead-Komparsen bestückt, und als ob das noch nicht reicht, lassen sie die Skins einen Dunkelhäutigen jagen." Dem AfD-Abgeordneten Karsten Woldeit "fehlen sämtliche Worte", wie er im Folgenden dann weiterredend unter Beweis stellte. Und jetzt kommt's: Er bemängelte, dass der Clip "sämtliche schlimmsten Klischees über die AfD bediene". Da musste sich selbst Woldeits Parteifreund Dirk Spaniel, der neben ihm stand, vor Lachen fast zereiern. Klischees! Sie haben ja so recht. In Wahrheit sind sie skrupelloser. Etwas von Schmalspur-SA Man darf an dieser Stelle übrigens nicht den Fehler machen, zu beklagen, dass das Humorniveau der rotzfrechen, witzlosen schwarz-rot-goldenen Gesellen bei "Mann auf Bananenschale ausgerutscht, hahaha!" stehengeblieben sei. Das größte Problem ist nicht, dass sie keinen Witz verstehen, sondern dass es ihnen todernst ist, wenn sie es im Nachhinein nur witzig gemeint haben wollen, also immer dann, nachdem "gejagt" und "entsorgt" wurde, wenn das Fallbeil hochging und runterfiel. Einige Tage später entdeckte der Satiriker Silberstein, dass jemand vor seiner Haustür stromerte. Es war Frank-Christian Hansel von der Lichtenberger AfD, der die Tür und das Klingelschild der Produktionsfirma filmte. Das Schauspiel, das Hansel ablieferte, war ziemlich jämmerlich, weil es etwas von Schmalspur-SA hatte. Man denkt, "jetzt biste schon da, dann führe den Künstler auch wenigstens ab", aber nein, das Video soll die Massen mobilisieren. Reflexhaft wimmelt es seitdem von kunstfeindlichen, antisemitischen Tiraden in den Netzwerken. Wegen des jüdischen Namens von Silbersteins Partner hieß es daraufhin in den Kommentaren zum AfD-Video: "Ihr Juden seid ein Geschwür. Wir ermorden euch eines Tages." Das machen die feinen Herren ja nie selbst. Sie lassen jagen. Zum Hinterteile in die Kamera drücken haben sie Personal. Fürs Judenerniedrigen auch, eine Disziplin, die offenbar wie Fahrradfahren funktioniert, verlernt man in Deutschland nie. Da lobt man sich so jemanden wie Björn Höcke, der in seinen besten Stunden die "verloren gegangene Männlichkeit" betrauert, auch bekannt als "Thymos-Spannung". Wenn man sieht, wie der Hansel vor dem Klingelschild eines Künstlers schleicht, die ganze fehlende Straffheit, seine ganze exorbitante Verdruckstheit im armseligen Kontrast zum aufrechten, strammen Deutschen steht, dann befällt einen tatsächlich ein Gefühl, dass man sich gleich einmal eine weiße Rose ins Revers stecken und trauermarschieren möchte. Aber, und das sollte man bei aller Aufregung nie vergessen, es sind alles nur Nebenschauplätze auf Nebenbühnen. Es hat nämlich keinen Zweck, immer und immer wieder Belege dafür zu liefern, wie die Idee der Freiheit aus dem System heraus, quasi von innen, ausgeleert wird. Die AfD, angefangen bei ihrem radikalen Flügel auf der Straße bis hin zu ihrem mitfühlenden Faschismus der sogenannten "gemäßigten Mitte", für die angeblich die Berliner AfD steht, wurde demokratisch legitimiert. Und demokratisch legitimiert müssen sie aus dem System gekippt werden. Es ist nicht die Aufgabe von Parodisten, Autoren und anderen Künstlern, Faschisten zur Umkehr zu bewegen. Dieser Geist, der da gerade herrscht, wirkt wie eine Streubombe. Sie trifft auf so vielen Ebenen gleichzeitig: Heute betrifft sie Schlecky Silberstein, im gleichen Moment einen Politiker, eine Minderheit, und gestern wurde jener attackiert und vorgestern … Dieser Gesellschaft fehlt mittlerweile etwas, was alle Gesellschaften, die irgendwie miteinander auskommen, zusammenhält. Es mangelt an einer gemeinsamen tiefen Sehnsucht nach Frieden. Und es fehlt am Widerstandsgeist der Vielen, die diesen Leuten mitsamt ihren gebügelten Krawatten, ihren zerknitterten Deutschlandhütchen oder ihren speckigen beigefarbenen Übergangsblousons den Weg aus der Gesellschaft weisen. Dieser Widerstandsgeist fehlt aber am allerschmerzlichsten dort, wo hauptberuflich gegen Antidemokraten gekämpft werden müsste. Im Bundestag, in den Ministerien, in den Parteien, in den Behörden und so fort.
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