10 nach 8: Angela Lehner über Sexismus

 
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17.09.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Schaut auf dieses kleine, süße Nachbarland!
 
Eine Österreicherin wehrt sich gegen Sexismus und steht nun vor Gericht. Na klar, besser für die nationale Ruhe wäre: kein Aufbegehren und kein Anderssein.
VON ANGELA LEHNER

Sigrid "Sigi" Maurer, ehemalige Grünen-Abgeordnete im österreichischen Nationalrat, am 4. September während der Gerichtsverhandlung wegen übler Nachrede und Kreditschädigung © Hans Punz/APA/dpa
 
Sigrid "Sigi" Maurer, ehemalige Grünen-Abgeordnete im österreichischen Nationalrat, am 4. September während der Gerichtsverhandlung wegen übler Nachrede und Kreditschädigung © Hans Punz/APA/dpa
 
 

Sigi Maurer war vor Kurzem noch eine grüne Nationalratsabgeordnete in Österreich. Man kennt Sigi Maurer hier. Man kennt sie als Politikerin, als Feministin, als junge Frau also, die den Mund aufmacht; man erkennt sie, wenn sie auf der Straße an einem vorbeigeht, weil Österreich eben klein ist und man schnell einmal wen kennt.

Sigi Maurer ist dieses Jahr auf ihrem Arbeitsweg in Wien jeden Tag an einer Craft-Beer-Bar vorbeigegangen. Sie musste sich auf dem vollgestellten Bürgersteig vorbeidrücken am Hipsterbierbarbesitzer und seinen Freunden, die Sigi erkannten, diese junge Politikerin, sie jeden Tag ein bisschen mehr anschauten, sich wahrscheinlich über ihren offenen Mund ärgerten – bis irgendwann die unvermeidliche Schwanz-Nachricht auf Facebook kam.

Was genau in der Nachricht stand, ist unwesentlich. Bedrohliche Schwanznachrichten sind ja immer ein bisschen unkreativ. Zwischen den Zeilen steht da im Grunde immer: Schau, Weib, das ist mein Schwanz. Mit meinem Schwanz werde ich dich bändigen. Hör auf, in der Öffentlichkeit zu sprechen, gleite auf meiner Spermaspur deiner Unterwerfung entgegen.

Jedenfalls hat auch Sigi Maurer so eine Schwanznachricht erhalten – vom Account des Hipsterbiermanns. Sigi Maurer wollte sich das nicht gefallen lassen und hat einen Screenshot der Nachricht auf Facebook gepostet. Die Folge ist nun, dass Maurer verklagt wird, sich vor Gericht verantworten muss, weil sie Persönlichkeitsrechte verletzt habe. 60.000 Euro Schmerzensgeld soll sie zahlen.

Die Menschen diskutieren. Social Media diskutiert. Maurer geht in einer ORF-Talk-Sendung der Frage nach, ob Männer Belästigungsgrenzen erkennen können oder ob sie von Natur aus diesbezüglich mental benachteiligt seien. Sie soll dazu Stellung nehmen, welche Fehler sie gemacht habe, als sie den Hipsterbiermann in der Öffentlichkeit beschuldigt hat. In der Sendung stellt sich ihr unter anderem die Autorin Christine Bauer-Jelinek entgegen, die sich über die Opfermentalität der österreichischen Frauen beschwert. Sie störe an der Sexismusdebatte, dass die Frauen sich als Opfer begreifen, dabei sei Sex doch Macht und was als Belästigung angesehen werde doch oft nur Alltagsblödelei. Boys will be boys, wir erinnern uns. Besser als den MeToo-Hashtag finde Bauer-Jelinek einen SoMachIchDas-Hashtag, mit dem Frauen zeigen, wie sie den Alltag meistern, ohne die "Blödeleien" der Männer öffentlich anzukreiden. Laut Bauer-Jelineks Logik hätte Sigi Maurer sich also einen Minirock anziehen und den Schwanz mit ihrer Sexiness in die Verzweiflung treiben sollen? Ihm ein Vulvafoto zurückschicken mit dem Betreff #SoMachIchDas?

Tendenziell geht es abwärts mit den Frauenrechten in Österreich, wo Feminismus eh immer ein Schimpfwort geblieben ist. Zusätzlich zum #SoMachIchDas sollten die Konservativen auch gleich den MiNed-Hashtag einführen. Gefühlt wurde nämlich jeder zweite MeToo-Beitrag in den sozialen Medien von konservativer Seite mit einem "Mi ned" gekontert. "Das betrifft mi ned" ist ein sehr österreichischer Satz, der eben auch exemplarisch ist für Frauen, die anderen Frauen in den Rücken fallen. Frauen in hohen Positionen, Politikerinnen, die finden, dass Sexismus nicht existent sei. Nina Proll, eine der bekanntesten österreichischen Schauspielerin, postulierte öffentlich, sie habe "das Jammern" in der MeToo-Debatte satt. Sexismus habe sie im Leben noch nie betroffen. Die aktuelle bürgerlich-konservative Frauenministerin (!) Juliane Bogner-Strauß musste sich herber Kritik von Frauenvereinen stellen, weil sie bald nach Amtsantritt Fördermittel für diese gekürzt hatte.

All diese Frauen, die offenbar keine Diskriminierung kennen, teilen großherzig ihre MiNed- und SoMachIchDas-Tipps mit uns. Sie erzählen uns herzerwärmende Geschichten darüber, wie ihnen das Selbstwertgefühl im Herzen erst erwachte, als ein Bauarbeiter ihren Körper bepfiff. Sie wüssten bei Gott nicht, worüber die Frauen sich beschweren – ihnen selbst sei kein Mann je im Weg gewesen. Und nicht nur, dass diese Frauen frei von Diskriminierung durchs Leben schweben, sie fordern auch öffentlich die Verstummung der zu lauten Frauen: Die Frauen müssten sich doch selbst behaupten, die Frauen jammerten nur.

Das Ideal geht zurück zur Tradition

Wer solche Formulierungen hört, sollte aufhorchen. Das sind wunderbare Plastiksätze, rechtspopulistische rhetorische Bausteine, die man variabel an verschiedene Gruppen ranzippen kann wie an eine Multifunktionshose: Die Frauen/die Geflüchteten/die Homos wollen zu viele Rechte. Die Frauen/die Geflüchteten/die Homos regen sich zu viel auf. Die Frauen/die Geflüchteten/die Homos brauchen zu viel Geld. Besser für den Staatshaushalt wäre: kein Jammern, kein Flüchten, kein Aufschreien, kein Anderssein. Die Tendenz geht zum Konservativen, zum Zumachen.

Wichtig ist es vor allem, dass wir jetzt alle hinschauen, aus Deutschland, aus der ganzen Welt. Dass wir schauen, was abgeht im kleinen Österreich, in dem alle Schwänze schon immer Opfer waren und noch nie wirkliche Täter. Österreich hat sich, nachdem Hitler abgehauen war, weniger Schuld aufgeladen als die deutschen Nachbarn. Österreich, das unschuldige kleine Österreich, trug von Anfang an nur eine dünne Verantwortungsschicht, die es sich nebenbei ein bisschen weggeputzt hat, abgestreift wie lästige Katzenhaare. Deutschland wehrt sich gegen Chemnitz, Deutschland wehrt sich gegen die Anfänge. Zu groß lastet das kollektive schlechte Gewissen noch auf den Schultern des Landes. Zum Glück. Österreich ist einen Schritt weiter, das Land ist gewissermaßen schon eine Stufe tiefer in die Nichtwiedergutmachbarkeit hinuntergestiegen.

Noch vor wenigen Jahren waren die Rechten in Österreich lästig. Jörg Haider war immer ein Sympathieträger, den man zwar bemerkte, aber nicht richtig ernst nahm. 2005 jagte er den Bildungsbürgern dann mit seinem neu gegründeten BZÖ einen gewaltigen Schrecken ein, er ohrfeigte sie sozusagen so hart mit seinem rechten Schwanz, dass sie langsam aus ihrem selbstgefälligen Dauerschlaf erwachten. Danach war es dann ein Unwohlsein, das man kollektiv überspielte. Okay, sie haben mehr Stimmen, dann wählen wir halt einfach alle rot. Und irgendwann hat es eben nicht mehr gereicht in Österreich.

Inzwischen sitzen ein schwarzer Kurz und ein blauer Strache an der Regierungsspitze, ziehen gefühlt stündlich den Grenzzaun ein bisschen enger um das Land herum. Sie reden viel über Kultur, behaupten eine angebliche "Heimat" in das Land hinein, die die Hälfte der Menschen aus der Gemeinschaft herausreißt. Behaupten, dass Heimat etwas sei, das mit Trachtenkleidung und Geburt zu tun hätte, etwas, das den Rechten mehr zustünde als uns anderen. Und mit jedem Jahr werden die Flugblätter, die in die Haushalte geliefert werden, ein bisschen expliziter, die Zeichnungen in den fröhlichen Comics der FPÖ ein bisschen herabwürdigender. Zu Superhelden stilisierte Rechtspolitiker müssen dort das arme Österreich vor der Überfremdung durch angebliche Ausländer schützen.

Das Ideal geht zurück zur "Tradition": Aufschreien unerwünscht, zurück zu zerbrechlichen Frauen, zu heteronormativen Beziehungen, zu österreichischen Beziehungen, zu österreichischen Menschen. Seit Mitte September dürfen AsylwerberInnen in Niederösterreich tagsüber ihre Baracken, äh Quartiere, nicht mehr verlassen. Das gab der niederösterreichische Asyllandesrat (!) Gottfried Waldhäusl aus der FPÖ unlängst bekannt. So spart sich das Land jetzt wenigstens die Produktion eines universellen Kennzeichens, das die Aus- von den Inländern auf der Straße unterscheidet; so etwas wie ein gelber Stern zum Beispiel.

Österreich steht das Wasser bis zum Hals, in Österreich ist die Frage nicht mehr ob, sondern wann. Deswegen sollten die Deutschen ihr kleines, süßes Nachbarland mit erhöhter Aufmerksamkeit beobachten, könnte es doch sehr wohl ein Vorbote dessen sein, was Deutschland bevorsteht. Schaut hin, liebe Deutsche, was in der österreichischen Politik wieder gesagt werden darf, und was schon nicht mehr. Schaut euch genau an, was mit Sigi Maurer passiert, wie viel Platz überhaupt noch ist in Österreich für eine Sigi Maurer. Die Verhandlung gegen Maurer wurde übrigens wegen Zeugenladung auf den 9. Oktober vertagt. Wahrscheinlich kann der Hipsterbiermann bis dahin ein Alibi nachweisen.

Angela Lehner ist Autorin und Literaturwissenschaftlerin. Sie lebt in Berlin und Wien. Im Frühjahr 2019 erscheint ihr Roman "Vater Unser" bei Hanser Berlin. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".
 

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