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Bayern ist lustig. Von außen gesehen, in den Augen vieler Nichtbayern. Der Bayer – und daran hat sich seit Menschengedenken in der Vorstellung einschlägiger Bayernbeobachter nichts geändert – haut sich morgens auf die Schenkel, um wach zu werden; zum Frühstück genehmigt er sich ein Weizenbier; den Rest des Tages verbringt er entweder in einer Lederhose in einem Kuhstall oder in einem Anzug bei BMW oder, als Bayerin, mit Shoppen auf der Maximilianstraße. Diese Straße ist benannt nach … Egal. Der königlich-bayerische Bayer jedenfalls hat die Ruhe weg; er dümpelt, wohlhabend, satt und selbstgefällig, vor sich hin und lässt den Herrgott einen guten Mann sein. Apropos Herrgott: Der hängt, in Gestalt des gekreuzigten Jesus, in jedem Winkel eines jeden Hauses in Bayern, sei es ein Kaufhaus, ein Mietshaus, ein Baumhaus, ein Bauernhaus, ein Möbelhaus, ein Klohaus. Da hängt er, der INRI, wie wir Dimpfl sagen, und blickt leidend auf uns herab. Er macht da keinen Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten und – da schau her! – munter ins jeweilige Haus schneienden Muslimen. Macht er nicht, der INRI, ganz sicher, ich weiß das. Ich wurde vor diversen Jahrzehnten in diesem Bayern geboren und getauft und lebe immer noch hier, in einem einzigen Zimmer zwar, aber in der Landeshauptstadt. Und der INRI, der geschundene Sohn Gottes, leidet gar nicht so, wie es für Auswärtige scheinen mag, er hat einfach ein Auge auf uns alle. Wir sind Bayern, was soll er machen, er hat sich den Winkel seines Kreuzes nicht ausgesucht. Vielleicht würde er lieber in der Lüneburger Heide oder auf Sylt hängen, Blick ins ewig Grüne oder bis zum Horizont, unter lauter Bescheidwissern, und nicht ständig hin- und hergeschoben, wie eine Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur in einem undurchschaubaren Spiel. So sind die Bayern halt, können sich für nichts entscheiden, Hauptsache, sie haben ihre Ruhe. Nicht wahr? Und wenn sie dann doch einmal aus der Ruhe heraustreten, den Herrgott tatsächlich einen guten Mann sein lassen und sich zu Zehntausenden verbünden und verbunten, sichtbar für ganz Deutschland und vor allem die eigene Regierung – was passiert dann? Die Wirklichkeit hat keine Hautfarbe Elf Minuten verwundertes Augenreiben außerhalb der Landesgrenzen; dann wieder das Übliche. Alles Folklore, hört man die Bayernversteher rufen, die da unten im Süden hätten eben gern Umzüge, das kenne man von Fronleichnam und anderen katholischen Jubelfeiern. Wenn der Bayer auf die Straße geht, protestiert er nicht, er führt seine Lederne spazieren, er zeigt seine Wadln und sein edles Gewand und, ganz wichtig: er huldigt sich selber. Im schwarzen Bayern – das scheint echt jeder jenseits der Weißwurstgrenze zu wissen – wirft der Bayer sogar in tiefer Nacht einen Schatten. Den betrachtet er lange und staunend wie einen Blutmond; er wird ganz still dabei, der bayerische Mensch, er hält Andacht und dankt dem Allmächtigen für sein Dasein auf der Vorstufe zum Paradies. Vorstufe zum Paradies? Vergessen, wer diesen Ausspruch einst tätigte. Fest steht: Wer nach Bayern schaut, sieht ein Abziehbild dessen, was er immer schon ahnte, und das muss genügen. Muss es nicht! Denn vielleicht – Beispiel die Demonstration mit dreißigtausend Teilnehmern unter dem Motto „Gemeinsam gegen die Politik der Angst“ – nimmt der bayerische Mensch, Mann wie Frau wie Kind, das Weltgeschehen stärker wahr als andere. Weil er keineswegs träge im eigenen Saft schmort, sondern äußerst wachsam bleibt. Weil er der Idylle nicht traut und die Vorgänge hinterm Elektrozaun der Kuhwiesen genauestens verfolgt. Weil er begriffen hat, dass die Wirklichkeit keine Hautfarbe hat, sondern aus einer Membran besteht, für deren schützende Funktion sich jeder aufrechte Bürger verantwortlich zeichnet, bis runter in den Chiemgau.
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