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Irgendwer musste uns direkt an die Abgrenzung gelegt haben. Ich glaube schon, dass uns dieser Platz gezielt zugeteilt wurde. Wir waren in der DDR, wo Zuteilung bekanntlich großgeschrieben wurde. Wir, zwei Busladungen voller Kinder plus Betreuer eines Ferienlagers, waren in Bansin, einem der drei Kaiserbäder auf Usedom und lagen zwei Wochen lang fast täglich am selben Strandabschnitt. Hinter uns weiße Villen, vor uns die Ostsee und direkt neben uns die größte Ansammlung Nackter, die ich in meinem bisherigen Leben gesehen hatte. Meine FKK-Erfahrungen stammten ausschließlich aus zweiter Hand. Entgegen einer Legende, die sich nach Mauerfall hartnäckig hielt, verbrachte der Osten seine Freizeit nicht flächendeckend nackt. Es gab Kinder, die begegneten unbekleideten Erwachsenen nur zufällig und wenn, dann vereinzelt. Zu denen gehörte ich. Ich war acht und mein Bikinioberteil war eine rein symbolische Angelegenheit. Kam man aus dem Wasser, zog man sich unter Handtüchern um. Ging es zurück ins Wasser, wurde wieder gewechselt. Heute frage ich mich weniger, warum ich so scharf auf meinen Bonsai-BH war, sondern eher, warum wir uns ständig umzogen. Vermutlich gehörte das umständliche Rumgehampel zu den stärksten Argumenten für das Nacktbaden. Bodyshaming kam später Doch das Nacktsein jenseits der Abgrenzung, die nur aus einem Holzpfahl bestand, war mehr als eine praktische Entscheidung, es war eine Lebenseinstellung. Wir Kinder wussten damals nicht, dass dieser Strandabschnitt ein legendärer Ort war, der es sogar in den SPIEGEL geschafft hatte. Dass man ihm irgendwann den Beinamen „Kamerun“ gegeben hatte, weil hier die wildesten Partys gefeiert wurden – Dresscode Muschelkette und sonst nichts. Und dass man sich das Recht auf freie Körperkultur in der prüden DDR der Fünfzigerjahre erst erkämpfen musste. Als bekannter Widersacher des Nacktbadens galt Johannes R. Becher, Texter der Nationalhymne und damaliger Kulturminister. Ein Mann, der auch uns Nachgeborene noch nervte, indem man uns pro Schuljahr mindestens eins seiner Liebesgedichte an den Staat auswendig lernen ließ. Jetzt aber hatten wir Ferien. Und alle anderen auch. Die Auswahl an Ferienzielen war begrenzt, die Wahrscheinlichkeit, an den Ostseestränden Kollegen oder Bekannten zu begegnen, dementsprechend hoch. Wem diese Vorstellung unangenehm war, der gehörte eindeutig an einen Textilstrand. Denn die Nackten fürchteten nichts. Sollten nackte Menschen Verletzlichkeit ausstrahlen, dann nicht hier. An diesem Strand beeindruckten sie nicht nur durch ihren Massenauftritt, sondern auch durch ihre enorme Betriebsamkeit. In meiner Erinnerung lag man am Textilstrand herum und las, während man sich am FKK-Strand bewegte. Besonders am Volleyballnetz herrschte Hochbetrieb. Vielleicht war es ein Statement, vielleicht war die Aussage: Seht her, was man nackt alles machen kann – alles! Vielleicht war es auch ein Ausdruck der puren Lebensfreude. Der Begriff Bodyshaming sollte erst Jahrzehnte später auftauchen. Die Worte Ästhetik und Bikinifigur kannte man schon. Die Ästhetik der ausgehenden Siebziger, beginnenden Achtziger erkannte man am nackten Menschen an den Frisuren. Viel Haar überall, auf dem Kopf oft dauergewellt. Und die Bikinifigur? Braucht eh nur, wer einen Bikini trägt.
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