Lieber Dr. acad. Sommer,
obwohl ich seit Jahren Vorträge halte, wird meine Nervosität nicht besser, sondern sogar eher schlechter; manchmal bekomme ich gar keine Luft mehr vor Aufregung. Ich habe Angst, mich zu blamieren oder sogar ein Blackout zu haben. Auch sehr gründliche Vorbereitung hilft mir nicht. Bei den wenigen unbefristeten Stellen in meinem Fachgebiet habe ich inzwischen ernsthaft Sorge, mir damit meine Chancen zu verbauen. Was kann ich tun?
Liebe/r X,
willkommen im Club, Sie sind nicht allein. Ängste vor einem Auftritt sind weit verbreitet, insbesondere bei Menschen, deren Beruf es ist, im Rampenlicht zu stehen. Es gibt nicht wenige Profimusiker_innen und Schauspieler_innen, die vor dem Auftritt Beruhigungsmittel oder Alkohol einnehmen. Nur wird damit oftmals auch die Energie, Leidenschaft und Freude gleich mit gedrosselt. Also gar keine gute Lösung! Zumal es hilfreiche und bewährte Methoden gibt, um ruhig und fokussiert ans Rednerpult zu treten:
Sport: Bei Ängsten werden in unserem Körper im Übermaß Stresshormone aktiviert. Das hat seinen Sinn, wenn Sie vor dem guten alten Säbelzahntiger fliehen müssen. Flucht oder auch Erstarrung ist aber leider kein adäquates Verhalten vor einem wissenschaftlichen Auditorium. Hilfreich ist es daher, diese Energie an anderer Stelle auszuagieren. Ob Salsa tanzen, Joggen oder Kickboxen: Hauptsache, Sie powern sich richtig aus. Idealerweise am Tag des Vortrags; aber auch in den Tagen davor ist dies hilfreicher, als die xte-Nachtsitzung oder Korrekturschleife. Auch Entspannungsverfahren wie Yoga oder Meditation können helfen sein, um wieder mehr zu sich zu kommen und ruhiger zu werden. Es lohnt sich, auszuprobieren, was Ihnen gut tut und Sie im positiven Sinne Ihren Körper spüren lässt.
Klopfen: Wirkt zunächst ungewohnt, ist aber mittlerweile state of the art und hilft vielen Auftrittsprofis sehr gut. Bei dieser Selbsthilfetechnik (Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie) werden spezielle Punkte an Händen, Gesicht und Oberkörper beklopft. So können im Vorfeld von Vorträgen oder wichtigen Gesprächen oftmals Ängste und Stress gut reguliert werden.
Bei Kurzatmigkeit: Häufig wird während eines Vortrags unter Anspannung zu wenig ausgeatmet. Die verbrauchte Luft verbleibt in der Lunge und so kommt es zu einer Sauerstoffunterversorgung, die dann wiederum zu vermehrter Ein- statt Ausatmung führt. Die einfache Lösung: Erstmal raus mit der verbrauchten Luft aus der Lunge. In Sprechpausen, beim Blick ins Auditorium, verlängern Sie bewusst Ihre Ausatmung. Das regelt gleichzeitig auch den Stress gut runter. Das Publikum freut sich in der Regel genauso wie Sie selbst über eine buchstäbliche Atempause.
Perfektionismus: Keine Frage, gute Vorbereitung ist die halbe Miete. Beim Auftritt in allem perfekt sein zu wollen, kostet aber leider extrem viel Energie, ist ohnehin übermenschlich – und vor allen Dingen ist es Powerfood für die Angst. Hier kann helfen, bei einem Vortrag ganz gezielt „nur“ 87% oder 91% Leistung anzupeilen, und dadurch ein realistisches Maß zu finden, mit dem Sie sich selbst nicht überfordern. Idealerweise experimentieren Sie mit dieser inneren Skalierung schon vor dem nächsten wichtigen Vortrag, also in Präsentationssituationen die für Sie mit weniger Spannung beladen sind.
Ziel des Vortrags für sich neu justieren: Wenn Sie mit dem Vortrag vor allem darauf abzielen, dass andere Sie gut finden, um Ihnen dann vielleicht irgendwann eine Stelle zu geben, steigt der innere Druck nur. Ein mentaler Switch kann wieder mehr Lockerheit bringen. Fokussieren Sie innerlich auf etwas, das Sie selbst beeinflussen können. Etwa: „Heute halte ich den Vortrag nur für mich und nutze ihn für die nächste Veröffentlichung“. Oder: „Egal wie es läuft, nachher schenke ich mir… (eine neue Handtasche, ein Wochenende am Meer, einen großen Eisbecher) und belohne mich einfach selbst.“
Alles Gute für Sie und auch viel Freude bei zukünftigen Auftritten!
Ihre Franziska Jantzen
Franziska Jantzen ist Organisationberaterin, Trainerin und (Auftritts)-Coach im Wissenschaftsbereich. Sie schreibt für das Coachingnetz Wissenschaft als Dr. acad. Sommer.