Ökonomisierung der Unimedizin | Peter-André Alt und die Lehre | Dr. acad. Sommer gibt Tipps bei Lampenfieber | Fußnote: kritisches Denken

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
länger nicht gehört, jetzt wieder da: Das wissenschaftspolitische Reizwort „Ökonomisierung“ erlebt in Mecklenburg-Vorpommern ein Revival. Eine Expertenkommission soll auf Wunsch von Wissenschaftsministerin Birgit Hesse die Unimedizin neu denken und das Dogma der Gewinnmaximierung hinterfragen. Peter-André Alt lehnt sich in einem Gespräch mit dem britischen Magazin Times Higher Education über Hochschulfinanzierung und die Qualität der Lehre aus dem Fenster (Das ist wichtig). Um kritisches Denken an der Uni geht es in der Fußnote, und unser heutiger Dr. acad. Sommer gibt Tipps bei Lampenfieber.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Birgit Hesse kritisiert Ökonomisierung der Unimedizin
Wenn Wissenschaft und Politik etwas teilen, dann eine ausgeprägte Vorliebe für Expertenkommissionen. Sie werden bundesweit mittlerweile so inflationär gegründet, dass sich – gefühlt – keiner mehr dafür interessieren muss. Ein Trugschluss! Manche Kommissionen haben tatsächlich das Zeug zum Paradigmenwechsel, wenn nicht gar zur Revolution. Die von Mecklenburg-Vorpommerns Wissenschaftsministerin Birgit Hesse jetzt angekündigte „Kommission Universitätsmedizin 2020“ jedenfalls hat die Lizenz zum Umsturz. Sie soll die scheinbar arglose Frage klären, „wie universitäre Krankenversorgung in einem ökonomisierten Gesundheitswesen gewährleistet werden kann“ (NDR, Ostseezeitung). Geleitet wird sie vom bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten Harald Terpe. Der Rostocker Pathologe soll ein Expertenteam zusammenstellen, das auch die Vorfälle um den mittlerweile vom Dienst suspendierten Rostocker Klinikchef Christian Schmidt untersuchen soll. Schmidt war vorgeworfen worden, die Uniklinik zu Lasten von Patienten und Beschäftigten auf Gewinnmaximierung getrimmt zu haben. Hesse fordert ein Umsteuern in der Gesundheitspolitik. Die Ökonomisierung dürfe „nicht vor dem Patientenwohl stehen“, erklärte die SPD-Ministerin in einer Pressemitteilung.
  
 
 
Peter-André Alt und die Qualität der Lehre
Seit rund drei Wochen ist der Berliner Literaturwissenschaftler Peter-André Alt mittlerweile Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, und immer noch ist er mit Interviews zum Amtsantritt beschäftigt. Im Gespräch mit den Kollegen vom britischen Hochschulmagazin Times Higher Education hinterließ Alt nun eine Botschaft, die vor dem Hintergrund der laufenden Verhandlungen zum Hochschulpakt und zum Qualitätspakt Lehre  bemerkenswert ist – und nicht nur Bildungsministerin Anja Karliczek und ihre Länderkollegen hellhörig machen dürfte: „Professor Alt has accepted that at least some money in the future will come with new strings attached, meaning that German universities will have to prove like never before that they are not neglecting teaching quality“, heißt es zusammenfassend in dem THE-Artikel. Und weiter: „One change might involve asking academic job applicants to teach before a panel “so that the [selection] committee can get an impression of how good the teaching quality was”, he said.“ Der Satz bleibt brisant, auch wenn Alt relativierend im Gespräch nachschiebt, dass er sich schon als FU-Präsident bei der Umsetzung der Idee schwer getan habe. “Many universities are very reluctant to introduce such a component. There is not a broad consensus on that”, zitiert THE den HRK-Präsidenten.
  
 
 
Publikationszahl halbieren – ja oder nein?
Zugegeben, das Daumen-rauf-Daumen-runter-Format ist nicht wirklich wissenschaftlich. Aber es macht doch höllischen Spaß. Das gilt umso mehr, wenn die Umfrage ein Kernproblem des Wissenschaftsbetriebs berührt. Helga Nowotny hatte im ZEIT-Interview vorgeschlagen, binnen zehn Jahren die Anzahl der Publikationen zu halbieren, „um die Qualität zu steigern.“ Doch müssten „alle mitmachen“. Ob und wie viele dabei sind, möchte der Hochschulverband in seinem aktuellen Barometer. Die Abstimmung läuft bis 20. September.
  
   
   
   
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Nature-Chefin Magdalena Skipper setzt auf Transparenz  
Im Frühjahr berufen und seit Juli im Amt kündigt Nature-Chefin Magdalena Skipper jetzt so etwas wie eine Transparenz- und Kommunikationsinitiative an. Skipper möchte den Austausch und die Kooperation mit der Wissenschaftscommunity verbessern und dafür sorgen, dass junge Forscher als Gutachter stärker wertgeschätzt werden (THE). In der rund 150-jährigen Geschichte des Wissenschaftsmagazins ist Skipper die erste Frau und die erste Lebenswissenschaftlerin auf dem Posten. Sie folgte auf Philip Campbell, der das Traditionsblatt über zwei Jahrzehnte hinweg führte. Eine grundsätzliche Änderung des Nature-Geschäftsmodells ist mit Skipper nicht zu erwarten.
 
Josef Lange übernimmt Vorsitz im MHH-Hochschulrat
An der Spitze des Hochschulrats der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) steht von jetzt an der CDU-Politiker Josef Lange. Der  ehemalige Wissenschaftsstaatsekretär in Niedersachsen und frühere HRK-Generalsekretär gilt bundesweit als Hochschulexperte.
 
  
 
Jacobs University baut Führungsgremien um
Die krisengeschüttelte Jacobs University in Bremen erweitert ihre Geschäftsführung. Michael Dubbert, bisher Personalchef an der Privatuni, rückt auf und verantwortet in der Geschäftsführung künftig den gesamten kaufmännischen Bereich. Michael Hülsmann leitet als Präsident und Vorsitzender der Geschäftsführung die gesamte Jacobs University. Verstärkt wird auch der Aufsichtsrat. An der Spitze des 14-köpfigen Gremiums steht Antonio Loprieno, bis vor kurzem noch Rektor der Universität Basel. Neu in den Aufsichtsrat berufen wurden außerdem DFG-Generalsekretärin Dorothee Dwzonnek, CHE-Geschäftsführer Jörg Dräger und Philip Rösler. Der Promi-Faktor im Jacobs-Aufsichtsrat wird damit weiter erhöht. Reimar Lüst, Jürgen Zöllner; Antje Boetius und Bremens Wirtschaftssenator Martin Günthner bleiben in dem Gremium.
  
 
Job: Rektor an der Uni Tübingen
Jetzt aber schnell: Bis 14. September will der Tübinger Universitätsrat die Bewerbungen für den Rektorenposten auf dem Tisch haben. Dazu ist zu wissen, dass der bisherige Tübinger Unichef Bernd Engler noch einmal antritt. Engler ist seit 2006 Rektor in Tübingen. Informationen zur Ausschreibung finden sich im aktuellen Stellenmarkt der ZEIT.
 
  
   
 
 
   
 
 
 
 
Die Zahl
 
 
   
 
   
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Tage länger erhalten Studierende Bafög, wenn sie sich um ihre schwerkranken Eltern kümmern. Die Pflege von Vater und Mutter wird nicht als „schwerwiegender Grund“ anerkannt, der einen Bafög-Bezug über die Höchstdauer hinaus rechtfertigen würde. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Saarlouis (Az.: 2 A 583/17) und bestätigte damit ein vorinstanzliches Urteil des Verwaltungsgerichts des Saalandes (Az.: 3 K 2053/15).
   
 
   
Quelle: Juraforum
   
 
 
   
 
 
 
 
Dr. acad. Sommer
 
 
   
 
   
Lieber Dr. acad. Sommer,
obwohl ich seit Jahren Vorträge halte, wird meine Nervosität nicht besser, sondern sogar eher schlechter; manchmal bekomme ich gar keine Luft mehr vor Aufregung. Ich habe Angst, mich zu blamieren oder sogar ein Blackout zu haben. Auch sehr gründliche Vorbereitung hilft mir nicht. Bei den wenigen unbefristeten Stellen in meinem Fachgebiet habe ich inzwischen ernsthaft Sorge, mir damit meine Chancen zu verbauen. Was kann ich tun?


Liebe/r X,
willkommen im Club, Sie sind nicht allein. Ängste vor einem Auftritt sind weit verbreitet, insbesondere bei Menschen, deren Beruf es ist, im Rampenlicht zu stehen. Es gibt nicht wenige Profimusiker_innen und Schauspieler_innen, die vor dem Auftritt Beruhigungsmittel oder Alkohol einnehmen. Nur wird damit oftmals auch die Energie, Leidenschaft und Freude gleich mit gedrosselt. Also gar keine gute Lösung! Zumal es hilfreiche und bewährte Methoden gibt, um ruhig und fokussiert ans Rednerpult zu treten:
 
Sport: Bei Ängsten werden in unserem Körper im Übermaß Stresshormone aktiviert. Das hat seinen Sinn, wenn Sie vor dem guten alten Säbelzahntiger fliehen müssen. Flucht oder auch Erstarrung ist aber leider kein adäquates Verhalten vor einem wissenschaftlichen Auditorium. Hilfreich ist es daher, diese Energie an anderer Stelle auszuagieren. Ob Salsa tanzen, Joggen oder Kickboxen: Hauptsache, Sie powern sich richtig aus. Idealerweise am Tag des Vortrags; aber auch in den Tagen davor ist dies hilfreicher, als die xte-Nachtsitzung oder Korrekturschleife. Auch Entspannungsverfahren wie Yoga oder Meditation können helfen sein, um wieder mehr zu sich zu kommen und ruhiger zu werden. Es lohnt sich, auszuprobieren, was Ihnen gut tut und Sie im positiven Sinne Ihren Körper spüren lässt.
Klopfen: Wirkt zunächst ungewohnt, ist aber mittlerweile state of the art und hilft vielen Auftrittsprofis sehr gut. Bei dieser Selbsthilfetechnik (Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie) werden spezielle Punkte an Händen, Gesicht und Oberkörper beklopft. So können im Vorfeld von Vorträgen oder wichtigen Gesprächen oftmals Ängste und Stress gut reguliert werden.
Bei Kurzatmigkeit: Häufig wird während eines Vortrags unter Anspannung zu wenig ausgeatmet. Die verbrauchte Luft verbleibt in der Lunge und so kommt es zu einer Sauerstoffunterversorgung, die dann wiederum zu vermehrter Ein- statt Ausatmung führt. Die einfache Lösung: Erstmal raus mit der verbrauchten Luft aus der Lunge. In Sprechpausen, beim Blick ins Auditorium, verlängern Sie bewusst Ihre Ausatmung. Das regelt gleichzeitig auch den Stress gut runter. Das Publikum freut sich in der Regel genauso wie Sie selbst über eine buchstäbliche Atempause.
Perfektionismus: Keine Frage, gute Vorbereitung ist die halbe Miete. Beim Auftritt in allem perfekt sein zu wollen, kostet aber leider extrem viel Energie, ist ohnehin übermenschlich – und vor allen Dingen ist es Powerfood für die Angst. Hier kann helfen, bei einem Vortrag ganz gezielt „nur“ 87% oder 91% Leistung anzupeilen, und dadurch ein realistisches Maß zu finden, mit dem Sie sich selbst nicht überfordern. Idealerweise experimentieren Sie mit dieser inneren Skalierung schon vor dem nächsten wichtigen Vortrag, also in Präsentationssituationen die für Sie mit weniger Spannung beladen sind.
Ziel des Vortrags für sich neu justieren: Wenn Sie mit dem Vortrag vor allem darauf abzielen, dass andere Sie gut finden, um Ihnen dann vielleicht irgendwann eine Stelle zu geben, steigt der innere Druck nur. Ein mentaler Switch kann wieder mehr Lockerheit bringen. Fokussieren Sie innerlich auf etwas, das Sie selbst beeinflussen können. Etwa: „Heute halte ich den Vortrag nur für mich und nutze ihn für die nächste Veröffentlichung“. Oder: „Egal wie es läuft, nachher schenke ich mir… (eine neue Handtasche, ein Wochenende am Meer, einen großen Eisbecher) und belohne mich einfach selbst.“ 
 
Alles Gute für Sie und auch viel Freude bei zukünftigen Auftritten!
Ihre Franziska Jantzen
 
Franziska Jantzen ist Organisationberaterin, Trainerin und (Auftritts)-Coach im Wissenschaftsbereich. Sie schreibt für das Coachingnetz Wissenschaft als Dr. acad. Sommer.
   
 
   
 
   
Auch eine Frage an Dr. acad. Sommer? Schreiben Sie an chancen-brief@zeit.de, twittern Sie unter #ChancenBrief – oder hinterlassen Sie uns in diesem Kotaktformular anonym eine Frage!
   
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Der Geniekult hat ausgedient Wer in der Wissenschaft ganz nach oben möchte, muss vor allem gut forschen können. Reicht das aus? 

»Wir fangen wieder bei null an« Eine Million Bücher hat der »Islamische Staat« in der Zentralbibliothek von Mossul vernichtet. Nun erobern sich die Bewohner das Lesen zurück Sind Hausaufgaben noch zeitgemäß? Das neue Schuljahr beginnt – und mit ihm wieder der Streit darüber, ob Übungen daheim sinnvoll sind


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Fußnote
 
 
   
 
   
Kritisches Denken
Schon mal den Begriff „kritisches Denken“ gegoogelt? 863.000 Treffer in 0,28 Sekunden meldet die Suchmaschine. Setzt man „Universität“ hinzu, will Google binnen 0,67 Sekunden ganze 793.000 Mal fündig werden. Einer der ersten Verweise führt zu einem Fachbeitrag (PDF) des Psychologen und Schreibforschers Otto Kruse. Der Aufsatz erschien 2010 in der Zeitschrift "die Hochschule" des Wittenberger Instituts für Hochschulforschung unter dem Titel „Kritisches Denken als Leitziel der Lehre. Auswege aus der Verschulungsmisere“. Dass der Erscheinungstermin acht Jahre zurückliegt, ist umso bemerkenswerter, als der Beitrag in weiten Passagen bis heute aktuell ist.  „Die Vermittlung von Forschungsmethodik wird oft dogmatisch, das heißt, ohne einen Funken von kritischem Denken vermittelt“, schrieb Kruse damals etwa im Fazit und: Für die Hochschulen sei „es Zeit, von sich aus den Anspruch, kritisches Denken zu vermitteln, wieder ins Spiel bringen“. Wie sich das in der akademischen Lehre heute umsetzen lässt, erklärt der Philosophieprofessor Norman Sieroka von der ETH Zürich im kürzlich erschienenen Podcast der GWUP. Wer Zeit sparen will: Ab Minute 9 gibt Sieroka ein fächerübergreifendes Lehrbeispiel.
Christine Prußky
   
 
   
 
 
   
Über kritisches Denken freut sich

Ihr CHANCEN-Team


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