Fünf vor 8:00: Schließt die große Koalition aus - Die Morgenkolumne heute von Lisa Caspari

 
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FÜNF VOR 8:00
15.08.2018
 
 
 
   
 
Schließt die große Koalition aus
 
Die AfD hat kein Konzept und wird trotzdem immer stärker. Deswegen sollten die Politiker bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern ihr Martin-Schulz-Trauma überwinden.
VON LISA CASPARI
 
   
 
 
   
 
   

Der ZDF-Journalist Thomas Walde hat am vergangenen Sonntag ein bemerkenswertes Interview mit Alexander Gauland geführt. Walde befragte den AfD-Chef nicht zu Flüchtlingen. Aber zu vielen anderen Themen. Und siehe da, Gauland gab offen zu: Die AfD hat keine Antworten.
 
Über den richtigen Weg in der Rentenpolitik sind führende AfD-Politiker uneins, das Zukunftsthema Digitalisierung interessiert Gauland nach eigenen Angaben nicht, Klimaschutz hält er für unnötig. Auch zum Mietwucher in den Großstädten fiel ihm nicht wirklich etwas ein.
 
Dass der Journalist ihn als Parteichef so blank erwischt hatte, schien Gauland nicht wirklich anzufechten. Erst später beklagte er sich, unfair behandelt worden zu sein. Doch selbst zum AfD-Lieblingsthema Flüchtlinge kennen wir bisher nur Abschottungsforderungen. Aber sind die bis zum Ende durchgedacht? Nur ein Beispiel: Ergibt Klimaschutz nicht doch auch für einen AfD-Wähler Sinn? Eben weil auch die klimatischen Verhältnisse in Afrika die Perspektivlosigkeit verstärken und damit zur Flucht bewegen?

Die AfD muss sich solche Fragen gar nicht stellen. Ihre Anhänger erwarten gar nicht, dass sie logische Konzepte hat. Es läuft auch so für die Partei. Im Bund steht sie in den Umfragen bei 15 Prozent, trotz aller ausländerfeindlichen und nationalistischen Entgleisungen ihrer Funktionäre. Bei den bayerischen Landtagswahlen im Herbst könnte sie laut Umfragen die 12-Prozent-SPD überrunden. Dabei ist die AfD dort noch nicht einmal wirklich in Erscheinung getreten: Sie hat sich sogar bewusst entschieden, keinen Spitzenkandidaten zu nominieren.
 
Passiv-aggressives Weiter-so
 
In Hessen, wo zwei Wochen nach Bayern ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wird, kam die Partei zuletzt in Umfragen auf 15 Prozent der Stimmen. Ein Standortvorteil ist, dass dort einige AfD-Gründungsmitglieder in Hessen ihre Heimat haben. Die Hessen-CDU galt immer schon als besonders konservativ, einige ehemalige CDUler sind heute AfD-Bundestagsabgeordnete. Gauland zum Beispiel war mal Chef der Wiesbadener Staatskanzlei. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo im nächsten Jahr gewählt wird, gibt es Befürchtungen, dass die AfD locker über 20 Prozent der Stimmen bekommt.
 
Die deutschlandweit guten Ergebnisse der AfD haben mit Zukunftsängsten in Zeiten der Globalisierung und mit dem Unbehagen wegen der Flüchtlingskrise zu tun. Und damit, dass die Anhänger ganz offensichtlich die zunehmend offene Fremdenfeindlichkeit der Partei gutheißen. Es geht aber auch – wie so oft bei Protestparteien – um Unzufriedenheit mit der Politik, um den diffusen Wunsch nach einer Alternative. Auch wenn die planlos ist.
 
Die bisherigen Parteien werden als "Einheitsbrei" wahrgenommen, es gebe keine politischen Unterschiede und niemanden mehr, der sich "was traut" – was auch immer das sein soll. Die große Koalition in Berlin produziert bei vielen Bürgern nur noch Ermüdung und Verdrossenheit. Dabei hatten Union und SPD im Winter versprochen, diesmal wirklich alles anders machen. Doch wieder droht die Koalition im passiv-aggressiven Weiter-so zu verschwinden.
 
Auch in Hessen und Bayern gilt die große Koalition als Option
 
Umso dramatischer ist es, dass auch in Bayern und Hessen die große Koalition wieder als Stabilitätsoption im Raum steht. In Bayern wird die 37-Prozent-CSU höchstwahrscheinlich einen Partner zum Regieren brauchen. Die Grünen sind mit aktuell 17 Prozent stark und selbstbewusst. Die Partei gewinnt Stimmen als Antipode zur CSU. Kaum denkbar, dass sie gern den kleinen Partner unter Markus Söder geben wird – obwohl sie ein interessantes Korrektiv zu den Christsozialen wäre. 
 
FDP und Freie Wähler sind möglicherweise zu schwach, um der CSU zur Regierungsmehrheit in München zu verhelfen. Die SPD als eine staatstragende Partei würde sich winden. Aber im Notfall wie immer bereitstehen. Nicht umsonst sagt SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen, sie schließe gar nichts aus.
 
In Hessen verhält es sich ähnlich. Dort würde Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel gern ein linksprogressives Bündnis gründen und die SPD zurück zur Macht führen. Doch die Verhältnisse sind wegen der starken AfD knapp. Die schwarz-grüne Regierungskoalition hat auch keine Mehrheit mehr. Schon wird über eine große Koalition geraunt. Lechzt die SPD nicht nach 19 Jahren in der Opposition nach wenigstens ein bisschen Gestaltungsmacht?
 
Den Automatismus "starke AfD = große Koalition" durchbrechen
 
Die ewige große Koalition – das würde der AfD gut passen und sie weiter stärken. Mit noch größerem Unbehagen blicken viele auf die Landtagswahlen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im kommenden Jahr. In Sachsen zum Beispiel entscheidet sich laut Umfragen rund ein Viertel der Bürger derzeit für die AfD. Sie ist klar zweitstärkste Kraft. In Sachsen regiert übrigens: eine große Koalition.
 
Vielleicht wäre es für die Wahlkämpfer daher sinnvoll, so ein Bündnis einfach mal auszuschließen. In Hessen und in Bayern würde ein Nein zum erneuten Stabilitätsbündnis aus Union und SPD den Wahlkampf beleben. Es würde über Alternativen gesprochen und gerätselt, was der Demokratie nur guttun kann.
 
Klar, das ist gewagt. SPD-Chef Martin Schulz schloss nach der Bundestagswahl eine Koalition mit der Union aus und musste seine Partei aus Gründen der Staatsräson dann doch in eine führen. Er hat darüber seinen Job und seine Glaubwürdigkeit verloren. Auch der Fall Andrea Ypsilanti ist vielen noch in Erinnerung: Die damalige SPD-Spitzenkandidatin brach in Hessen 2008 ihr Versprechen, nie mit der Linken zusammengehen zu wollen. Darüber ist sie gestürzt. Beide Fälle lassen viele Wahlkämpfer bis heute fest daran glauben, es sei ein unabwägbares Risiko, Koalitionen auszuschließen.
 
Im Falle Bayerns und Hessens aber sollten die Politiker sich von ihren Ängsten lösen: Eine Minderheitsregierung im Bund wäre angesichts der internationalen Krisen wohl zu instabil gewesen, auf Länderebene wäre ein solches Experiment eine Überlegung wert. Auch ungewöhnliche Koalitionen könnten ausprobiert werden: Nicht umsonst wurden Rot-Grün und Jamaika erst in Bundesländern getestet, bevor sie eine Option für den Bund wurden. Der Automatismus, dass jede Wahl, bei der die AfD triumphiert, automatisch in einer großen Koalition endet, muss durchbrochen werden. Denn er ist gefährlich.

 


 
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.