Neue Schikane-Vorwürfe bei Max-Planck | Gastkommentar Jana Lasser: Sofort-Programm gegen Machtmissbrauch | Orban verbietet Gender Studies | Lehrermangel

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
immer mehr Fälle von Machtmissbrauch in der Wissenschaft kommen ans Licht der Öffentlichkeit  – auch in Deutschland. Zum zweiten Mal binnen weniger Wochen macht die Max-Planck-Gesellschaft mit Mobbing- und Schikane-Vorwürfen international Schlagzeilen (Das ist wichtig). Jana Lasser, Sprecherin des PhDnet bei der MPG, entwirft in ihrem Gastkommentar ein Sofort-Programm gegen Machtmissbrauch. Ansonsten auf dem Zettel: der Lehrermangel in Deutschland, die Wissenschafts(un)freiheit in Ungarn und financial Fairplay in der Forschung (Fußnote).
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Neue Schikane-Vorwürfe bei Max Planck
Die Max-Planck-Gesellschaft kommt nicht aus den Negativ-Schlagzeilen heraus. Science deckte in diesen Tagen einen weiteren Fall von Mobbing, Schikane und Demütigung auf, andere Medien zogen nach (BuzzfeedThe Cut, Spiegel-Online). Zugetragen hat sich der neue Fall am Leipziger MPI für Neuro- und Kognitionswissenschaft, genauer in der Abteilung von Tania Singer. Die Psychologin, die für ihre Forschung zum Thema Mitgefühl weltweit Anerkennung erfährt, befindet sich gerade im Sabbatjahr. Sie soll nach ihrer Rückkehr ein neues, kleineres Team bekommen. Damit verfährt die Münchner Generalverwaltung im Leipziger Schikane-Fall nach dem Muster der Mobbing-Affäre am Garchinger MPI für Astrophysik (vgl CHANCEN Briefe vom 12. Juli und 2. Juli). Eine Taskforce soll zudem herausfinden, ob die Fälle auf grundsätzliche Strukturprobleme in der Governance hinweisen. Maßnahmen zur Sofort-Hilfe schlägt Jana Lasser, Sprecherin des Max Planck PhD-Net im Gastkommentar (siehe unten) vor. Dreh- und Angelpunkt der MPG-Governance ist das sogenannte Harnack-Prinzip. Es gibt MPI-Direktoren maximale Freiheiten, was die Stellen für erfahrende Forscher international attraktiv macht.
  
 
 
Orban verbietet Gender Studies
Nur mal rein theoretisch angenommen, es gäbe einen Wettbewerb zur Abschaffung der Wissenschaftsfreiheit in Europa. Mit Viktor Orban an der Spitze wäre Ungarn ein Titel-Aspirant. Jetzt zum Beispiel hat sich die nationalkonservative Regierung die Verbannung der Gender Studies aus den Universitäten vorgenommen (Reuters). Die schlichte Begründung gab der stellvertretende ungarische Ministerpräsident Zsolt Semjén im Nachrichtenportal atv.hu bekannt: „Niemand will 'Genderologen' anstellen, infolgedessen braucht man auch keine auszubilden" (ZEIT-Online, Deutsche Welle, FAZ). Für ihre Stellungnahmen hatten die Hochschulen 24 Stunden Zeit. In Ungarn gibt es lediglich an der  staatlichen Lorand-Eötvös-Universität (ELTE) und der weiterhin von Schließung bedrohten privaten Central European University Gender Studies. Hochschullehrer sehen in der geplanten Abschaffung der Geschlechterforschung einen unzulässigen Eingriff in Forschung und Lehre. Die ELTE hält das Vorhaben für rechtswidrig, die ungarische Verfassung garantiere die Hochschul- und Wissenschaftsautonomie.
  
 
 
Und täglich grüßt der Lehrermangel
Seit Jahren sagen Forscher die Bildungskrise voraus. Jetzt erfasst sie die Bundesländer, und Berlin ist mal wieder die Dramaqueen. 1.250 Lehrer fehlen zum Schulbeginn in der Bundeshauptstadt. Ein Negativ-Rekord. Deutschlandweit sieht die Lage mittlerweile so düster aus, dass KMK-Präsident Helmut Holter tatsächlich im Einheitslehrer die Rettung sieht (SZ, Spiegel-Online, ZEIT-Online, Welt). Kritik gab es prompt. Philologen, Gewerkschafter und Kultusminister verpassten Holter eine öffentliche Nachhilfestunde in Sachen Bildungspolitik und machten das eigentliche Problem so noch deutlicher: Die Bildungsmisere ist und bleibt hausgemacht – von den Politikern, aber auch von Hochschulen und Professoren, die die Lehramtsstudierende sehenden Auges allzu oft als fünftes Rad am Wagen mitlaufen lassen. Die neueste Quittung dafür gab es gestern. Der INSM-Bildungsmonitor, den das Institut für deutsche Wirtschaft jährlich im Auftrag der Initiative Neue Marktwirtschaft erstellt, bescheinigt nahezu flächendeckende Einbußen in der Bildungsqualität. „Es sollten keine Energien in Strukturdebatten verloren gehen. Die Kräfte sollten auf die Sicherung des Lehrkräftebedarfs konzentriert werden“, empfahl Studienleiter Axel Plünnecke (Bildungsklick). In Anbetracht der verkorksten Bildungsplanung und Lehramtsausbildung in Deutschland wirkt der Appell direkt rührend.
  
   
   
   
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Gemobbt und ausgebremst: US-Forscherin erhält 1,1 Millionen Euro Schadensersatz
Sie sah sich von ihrem Vorgesetzten, dem Wirtschaftswissenschaftler Geert Bekaert, belästigt, gemobbt, in ihrer Forschung behindert – und schließlich um die Festanstellung an der Columbia University gebracht. Ein Gericht billigte Enrichetta Ravinia jetzt Schadenersatz in Höhe von umgerechnet 1,1 Millionen Euro zu, gefordert hatte die Wissenschaftlerin rund 17 Millionen Euro. Knapp 500.000 Euro muss Bekaert zahlen, der Ravinia gegenüber Kollegen schlecht machte und nach Ansicht des Gerichts ihren Ruf beschädigte. Die restlichen 700.000 Euro Schadensersatz kommen von der Universität, die in dem Fall nicht einschritt (InsideHigherEd, Columbiaspectator). 

China weist DAAD-Stipendiat David Missal aus
Wandel durch Austausch – die Mission des DAAD hat es in sich. Wie sehr, zeigt sich gerade in China. Peking will den DAAD-Stipendiaten David Missal nicht mehr im Land haben und verweigerte die Verlängerung des Visums. Der Journalistik-Student an der renommierten Tsingua Universität in Peking hatte im Rahmen eines Seminars über Menschenrechte recherchiert, Anwälte befragt und gefilmt. Missal traf auch Li Wenzu, die Frau eines inhaftierten Menschenrechtsanwalts. Er habe, sagte der Studierende den Kollegen der Tagesschau, „gedacht, dass es dass es im Rahmen der Universität vielleicht noch ein bisschen mehr Freiheiten gibt“.
 
Matthias Tschöp leitet Helmholtz Zentrum München
Wechsel an der Spitze des Helmholtz Zentrum München: Der Adipositas- und Diabetesforscher Matthias Tschöp leitet das Gesundheitsforschungszentrum seit diesem Monat als wissenschaftlicher Geschäftsführer. Der TUM-Professor folgt auf Günther Wess, der die Einrichtung in den vergangenen 13 Jahren führte. Vor sechs Jahren erhielt Tschöp, Jahrgang 1967, eine mit fünf Millionen Euro dotierte Humboldt-Professur.
 
  
 
Ulrike Tillmann beziffert die Kosten eines harten Brexit für Wissenschaftler
Argumente für einen weichen Brexit gibt es viele. Doch nur wenige sind so griffig wie das der deutsch-britischen Mathematikerin Ulrike Tillmann. Die Oxfordprofessorin und Vize-Präsidentin der Royal Society hat errechnet, was ausländische Forscher im Fall eines harten Brexit zahlen müssten. Für eine vierköpfige Wissenschaftlerfamilie fallen bei einem fünfjährigen Aufenthalt zwischen 5.500 und 12.000 Euro allein an Visa-Gebühren an (Spiegel Online). Die Brexitverhandlungen stocken seit Wochen. Außenminister Jeremy Hunt sieht nur noch wenig Chancen auf eine Einigung mit der EU (Handelsblatt). Nach einer Studie des Observer wünscht die Mehrheit der Wahlkreise in UK den Verbleib in der EU, darunter auch der des ehemaligen Außenministers und Brexit-Befürworter Boris Johnson.
 
Petra Maier wird Rektorin der Hochschule Stralsund
Die monatelange Hängepartie an der Spitze der Hochschule Stralsund ist demnächst beendet. Am 1. September wird Petra Maier offiziell Rektorin der Hochschule, die sie derzeit interimsweise führt. Vergangenen Dezember war Matthias Straetling aus dem Amt abberufen worden. Petra Maier ist seit 2008 Professorin in Stralsund und wird von Mecklenburg-Vorpommerns Wissenschaftsministerin Birgit Hesse als „ruhige und gelassene Person“ beschrieben.
  
 
Job: Personalentwickler bei Max-Planck
Und noch eine Meldung zur Max-Planck-Gesellschaft. Die Forschungsorganisation sucht Personalentwickler, die sich speziell mit dem Talentmanagement und der Doktorandenförderung auskennen. Die 60-Prozent-Teilzeit-Stelle ist unbefristet. Promovierte bevorzugt! Mehr Informationen gibt es im Stellenmarkt der ZEIT.
  
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentar
 
 
   
von Jana Lasser
   
 
   
Sofort-Programm gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft
Machtmissbrauch und Mobbing betreffen stark hierarchisch strukturierte Systeme, die intensive Abhängigkeit von einer einzelnen Person schaffen. Die Max Planck Gesellschaft steht dabei nicht allein da – es geht um ein strukturelles Problem des Wissenschaftssystems. Es wird umfassender Maßnahmen und einer Veränderung der Wissenschaftskultur bedürfen, um daran ernsthaft etwas zu verändern. Flächendeckende Einführung eines Mehraugenprinzips bei der Betreuung von Promovierenden und Angleichung von Vertragslaufzeiten an die Promotionsdauer würden  Abhängigkeiten mildern. Frühzeitige Information über ihre Rechte sowie Anlaufstellen im Konfliktfall ermöglichen es Promovierenden, Probleme anzusprechen. Kommt es zum Konflikt, benötigen Betroffene verbindliche und verlässliche Schutzmaßnahmen. Dazu zählt der fortlaufende Zugang zu Forschungsergebnissen, die weitere Finanzierung sowie die Unterstützung bei der Suche nach alternativer Betreuung.
Um Konfliktfälle zu schlichten, schlagen wir ein von der Institution unabhängiges Gremium vor. Gebildet von Vertretern des Führungspersonals, des Mittelbaus sowie von Vertretern der  Nachwuchswissenschaftler soll es von einer professionellen Schlichterin geleitet sein. Dieses Gremium entscheidet auf Basis eines verbindlichen Code of Conduct, inwieweit das Verhalten der Beteiligten in dem jeweiligen Konfliktfall den Richtlinien widerspricht. Daran anschließend braucht es ein mehrstufiges, transparentes und verbindliches System von Konsequenzen für Fehlverhalten, beginnend bei verpflichtenden Schulungen über Co-Betreuung bis hin zum kompletten Entzug von Betreuungsverantwortung.
Schlussendlich müssen wir anerkennen, dass die besten Wissenschaftler nicht unbedingt die besten Führungspersönlichkeiten sind. Sie müssen verpflichtend und kontinuierlich weitergebildet werden im Hinblick auf Betreuung, Kommunikation und Konfliktlösung. Kompetenzen und Leistungen in der Führung, Wissenschaftskommunikation und Lehre müssen bei der Besetzung und späteren Bewertung von Führungspositionen in der Wissenschaft Beachtung finden.
 
Jana Lasser promoviert am MPI für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Sie ist Sprecherin des Max Planck PhDnet. Das Positionspapier zu Konfliktlösung und Machtmissbrauch findet sich hier.
   
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Wir brauchen einen neuen Kanon Die Welt ist in Unordnung. Wie verständigt sich eine Gesellschaft in Aufruhr? Durch einen gemeinsamen Fundus an Wissen 

Das ist der Kanon Von Botticelli bis zur Doppelhelix – das Wissen unserer Welt in hundert Werken »So alt wie die menschliche Kultur« Rhetorik, Geometrie, Fremdsprachen – was wir wissen müssen, ändert sich seit Jahrtausenden immer wieder, sagt der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth Unendlicher Spaß Kein Kanon ist absolut. Hier erklären sieben Prominente, was unbedingt in ihre Bildungsliste gehört

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
 
   
Financial Fairplay
Folgende Situation: Kollegen von Ihnen beantragen Geld für ein großes Forschungsvorhaben mit mehreren Teilprojekten und bitten Sie um Zuarbeit. Sie sagen zu, kalkulieren Ihren Aufwand und beziffern die Summe für den Finanzierungsplan des Projekts. Danach passiert: nichts. Sie erhalten keinen Anruf, keine Mail. Hie und da rätseln Sie: Was wurde eigentlich aus dem Antrag? Irgendwann vergessen Sie die Sache. Es ging nur um ein paar tausend Euro, der Antrag liegt Monate zurück, und es gibt aktuell viele wichtigere Projekte zu bearbeiten.

Genauso ging es der Harvard-Wissenschaftlerin Anne Carpenter. Über Jahre hinweg hat sie sich nichts weiter gedacht. Sie stutze auch nicht, als sich ein paar Kurz-Telefonate mit verschiedenen Kollegen häuften, die sie in einem THE-Meinungsbeitrag sinngemäß so wiedergibt:

Me: “Hey, was your proposal funded? Yes? Cool, let’s get started!”
Them: < Silence for 4 years >
 
Eines Nachts setzte sie sich dann aber doch hin, und zog Bilanz. Das erschütternde Ergebnis: "Over the past 11 years, I contributed to 28 collaborators’ grants that were ultimately funded (never mind all those that weren’t). One-third of those funded scientists provided zero funding for my group, and another third cut the budget, providing only 10 per cent of the proposed amount on average.“
Financial Fairplay in der Wissenschaft – zu schön, um wahr zu sein?
 
Christine Prußky
   
 
   
 
 
   
Immer schön fair bleiben. 

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an – unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
   
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