10 nach 8: Marie Detjen über Memes

 
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18.08.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Trotzkys Eispickel
 
Die Facebook-Seite "Sassy Socialist Memes" verbreitet Witze über das Leben im falschen System. Im Humor vereint stärkt sie eine junge linke Gruppenidentität.
VON MARIE DETJEN

Das aktuelle Titelbild der Facebook-Gruppe "Sassy Socialist Memes" © Sassy Socialist Memes/Facebook/Screenshot: ZEIT ONLINE
 
Das aktuelle Titelbild der Facebook-Gruppe "Sassy Socialist Memes" © Sassy Socialist Memes/Facebook/Screenshot: ZEIT ONLINE
 

Internet-Memes haben als Medium der politischen Kommunikation einen schlechten Ruf: Sie seien verantwortlich für die Verbreitung von Fake News und rechtsextremer Hetze , sie machten die Jugend von heute zynisch und apolitisch , ja, sie ruinierten die Demokratie . Der Drall in Richtung rechtsextrem scheint dem Meme an sich anzuhaften, seit die ursprünglich unpolitische, glubschäugige Comicfigur "Pepe, der Frosch" von der Alt-Right gekapert wurde und die Anti-Defamation League sie zum Hasssymbol erklären musste . Trotzdem werden Memes von Tag zu Tag beliebter, und das keineswegs nur bei Alt-Right-Fanatikern und apathischen Teenagern: Auch junge Linke produzieren und teilen weiterhin eifrig politische Memes – zum Beispiel auf der Facebook-SeiteSassy Socialist Memes , die mehr als eine Million Follower hat.

Der Begriff Meme wurde 1976 vom britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins geprägt, als kulturelles Äquivalent zum biologischen Gen. Laut Dawkins sind Memes "kleine kulturelle Einheiten, die sich im Meme-Pool fortpflanzen, indem sie von Gehirn zu Gehirn springen, mittels eines Prozesses, den man im weitesten Sinn als Nachahmung bezeichnen kann ". Wichtig wurde der Begriff in der Internetkultur, wo er eine etwas andere Bedeutung angenommen hat: Dort bezeichnen Memes Einheiten, die – so die Kommunikationswissenschaftlerin Limor Shifman – durch Zirkulierung, Nachahmung und Veränderung eine gemeinsame kulturelle Erfahrung schaffen. Es geht bei den Memes also gerade nicht um politische Diskursivität oder den Austausch von Meinungen, sondern um Wiedererkennung und kulturelle Gruppenidentität. Sie sollen gar nicht überzeugen, sich rational mit Argumenten auseinandersetzen oder philosophische Analyse leisten. Vielmehr zielen sie auf die Gruppe selbst ab – die sich aus Alt-Right-Anhängerinnen, Katzenliebhabern oder eben jungen Linken zusammensetzen kann.

Diese Eigenheiten der Memes werden heute leicht übersehen, weil sich in der Internet-Alltagssprache der Begriff noch weiter verengt hat. Das, was wir umgangssprachlich Meme nennen, ist tatsächlich nur eine Untergruppe des Meme-Phänomens und heißt eigentlich Image Macros . Image Macros bestehen aus einem Bild, versehen mit unterschiedlichen kurzen Beschriftungen, die das Bild in einen anderen Kontext stellen und somit seine ursprüngliche Bedeutung verändern. Das Muster, das mit dieser Veränderung entsteht, wird zu einer Meme-Vorlage, einem meme template, das mit den verschiedensten Bedeutungen gefüllt werden kann: Mit Hummus zum Beispiel, mit Suizidgedanken oder eben mit Kapitalismuskritik. Memes, also Image Macros, sind außerdem fast immer humoristisch, eine Art visueller Internetwitz.

Auch und gerade für linke Gruppenidentität spielt der Meme-Humor eine zentrale Rolle: Wie eine Art Code bindet er die Gruppe zusammen und schließt Nicht-Eingeweihte aus. Als meine Mutter mich vor ein paar Jahren zum ersten Mal fragte, was denn bitte ein "Meh-Meh" sei, und ich ihr die Sassy-Socialist-Seite zeigte, musste ich ihr jedes Meme zum Teil minutenlang erklären. Die Bilder, die ich im Bruchteil einer Sekunde verstand, stießen bei ihr auf pure Verwirrung. Das The-floor-is-Trotzky-Meme zum Beispiel.

Um den Witz zu verstehen, muss man zunächst wissen, dass Trotzky mit einem Eispickel umgebracht wurde – okay, daran konnte sich meine Mutter noch schwach erinnern. Aber dann muss man das Muster der The-floor-is- Memes verstehen , ihre Tradition und ihre Beliebtheit kennen. Um das Meme lustig zu finden, muss man sowohl mit der Geschichte des Sozialismus und Kommunismus als auch mit einer sich rapide verändernden Internet- und Jugendkultur vertraut sein. Wer das Trotzky-Meme teilt, zeigt zugleich, dass er sich mit Trotzky auskennt und dass er oder sie in den letzten Jahren zu viel Zeit in sozialen Medien verbracht hat. Man kann mit nur einem kleinen Bild beweisen, dass man zur Online-Linke gehört.

So oder ähnlich funktionieren fast alle Sassy Socialist Memes. Ausgegrenzt werden, neben den Konservativen, meistens die Liberalen. Sie erscheinen als ignorant und oberflächlich – im Gegensatz zu den Linken, die den Durchblick haben und die wahren Krisen des Kapitalismus erkennen.

Gemeinschaft wird dadurch hergestellt, dass man sich in der Marginalisierung einig ist und die geteilte Außenseiterrolle stilisiert. Wie in einer Art Selbsthilfegruppe findet man sich im Netz, um über die Abwesenheit einer revolutionären Bewegung im wirklichen Leben hinwegzukommen und über die Vergeblichkeit individueller Bemühungen, die einem nur die Rolle als Störenfried und Spaßverderber lassen, gemeinsam zu lachen.

Dabei bleibt unklar, woraus diese "kommunistische Propaganda" tatsächlich bestehen könnte, die das "Wir" angeblich zusammenbindet. 2013 hat der Medienwissenschaftler Ryan Milner den Begriff der Logic of Lulz geprägt (wenn Sie nicht wissen, was Lulz ist: googeln ). Memes, so Milner, sind "hyperhumoristisch, hyperironisch und hyperdistanziert". Die meisten Memes sind sowieso anonym – aber selbst, wenn sie das nicht wären, sorgt die Logic of Lulz dafür, dass der Autor möglichst nicht verantwortlich gemacht werden kann, dass das Meme so unverbindlich wie möglich bleibt. Sollte ein Meme mal nach hinten losgehen, zu viel Kritik ernten, kann man immer darauf verweisen, dass es nur ein Witz, nur ironisch gemeint war.

Diese scheinbare Verrohung und Brutalität der Memes, links wie rechts, wirkte im Wahljahr 2016 so verstörend: Millennials, die zur Gewalt aufrufen! Die jeden Anstand verloren haben und sich gegenseitig mit geschmacklosen Witzen dissen, anstatt zivilisiert miteinander zu diskutieren! Aber erinnern wir uns an den Ausgangspunkt der Meme-Definition: Es geht um die gemeinsame kulturelle Erfahrung, nicht um politisches Handeln und Argumentieren, nicht um Aufforderungen, etwas zu tun oder zu denken. Die Gruppe reflektiert sich selbst.

Durch Ironie und Anonymität werden Meme-Seiten wie Sassy Socialist Memes zu einem geschützten Raum, in dem Dinge ausgedrückt werden können, die sonst politisch inkorrekt oder verantwortungslos wären, die einen angreifbar und unbeliebt machen würden. Memes eröffnen Möglichkeiten, die Normen und Regeln der eigenen Gruppe auszutesten. Dabei gibt es durchaus auch in der Meme-Kultur Grenzen des Sagbaren, es wirken Moralvorstellungen und politische Ideen, die manches Meme zum Balanceakt machen. Memes, zum Beispiel, die Josef Stalin verharmlosen oder als kommunistischen Helden feiern, provozieren immer wieder heftige Diskussionen. Die dahinterstehenden Kontroversen, wie mit dem stalinistischen Erbe umgegangen werden soll, schwappen dann vom ironischen Meme-Format in die unironische Kommentarspalte, in der ernste und ausführliche normative und politische Debatten stattfinden. Dort balgen sich dann die Trotzkisten mit den Stalinisten und den Demokratischen Sozialisten, dort wird die Sowjetunion verherrlicht oder niedergemacht, dort wird über historische Thesen und politische Realitäten verhandelt. Oder natürlich man macht sich wiederum mit einem eigenen Meme über das Stalin-Problem der Linken lustig.

Memes sind auch deshalb so attraktiv für die linke Internetszene, weil sie ihren Eigentumsvorstellungen entsprechen: Memes gehören niemandem und allen, sie können von jedem hergestellt und kollektiv gelesen werden. Image-Macros werden überhaupt erst zu Memes, indem sie von der Gruppe geteilt, sich von der Gruppe angeeignet werden. Die Technologie-Forscherin Kate Miltner hat Memes als Teil einer "partizipativen Kultur" beschrieben , in der "die traditionelle Grenze zwischen Medienkonsumenten und Produzenten verschwommen, wenn nicht sogar aufgelöst ist". Diese Idee gefällt den Internet-Linken: "Seize the Memes of Production!" Im Vokabular der Linken durchbrechen Memes die hegemoniale und elitäre Produktion von Wissen und Kommentar. Die Gruppe macht sich von traditionellen und konventionellen Formen der politischen Kommunikation in gewisser Hinsicht unabhängig, sie allein ist Qualitätskontrolleurin und Herausgeberin der Memes. Das macht Memes allerdings nicht nur am linken sondern auch am rechten Rand des politischen Spektrums beliebt, wo sich ebenfalls Gruppen von den Mainstream-Medien ignoriert oder missverstanden fühlen.

In Glücksfällen können Memes auch inhaltlich richtig interessant sein und sogar historisch komplexe Realitäten kommentieren. Das Meme Socialism only works on paper verdichtet die Geschichte der USA in Zentralamerika und verknüpft sie gleichzeitig mit grundlegenden machtpolitischen Fragen nach den Erfolgschancen linker Utopien.

Je komplexer die Meme-Formate werden, desto besser eignen sie sich für die Darstellung der ja ebenfalls zunehmend komplexen Identitäten und Standpunkte. Wenn zum Beispiel das sehr beliebte American-Chopper-Meme-Format , in dem zwei Männer im Streit aufeinander losgehen, auf protektionistische Handelspolitik angewandt wird, verweist es auf die Ambivalenzen innerhalb der Linken und bietet dabei eine differenziertere Analyse als so mancher Zeitungsartikel.

Memes erlauben es, mit Identitäten zu spielen, sich nicht festlegen zu müssen, und trotzdem politikaffin und zugewandt zu sein. Ich habe nun einen ganzen Text über sozialistische Memes geschrieben, folgeSassy Socialist Memes auf Facebook – bin ich möglicherweise selbst eine Online-Linke? Vielleicht probiere ich nur etwas aus, experimentiere, entwickle mich. Vielleicht bin ich im echten Leben im Kreise von Liberalen politisch völlig unauffällig. Eine auf Memes gegründete Gruppenidentität wird so mit der Zeit selbst zum Meme: selbstironisch, ambivalent, fluide, ungewiss.


Marie Detjen, geboren 1998, studiert Europäische Sozial- und Politikwissenschaft an den Sciences Po Paris und am University College London. Sie ist in Berlin und Mostar zur Schule gegangen und Gastautorin von "10 nach 8".


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