Dass ausgerechnet die beiden nochmal näher aneinanderrücken, erstaunt dann schon. Angela Merkel und Wladimir Putin sind Gegner seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2014. Vier Jahre lang haben sie sich nur gesehen, wenn es unbedingt sein musste, meist auf Gipfeln an den langen Enden der Konferenztische. Aber dieser lange, heiße Sommer hat viel verändert. Ende Mai empfing Wladimir Putin Merkel in seiner Schwarzmeerresidenz in Sotschi mit einem Blumenbukett. Ende Juli machten der russische Generalstabschef und Außenminister Merkel ihre Aufwartung in Berlin. Nun kommt der Präsident nach Meseberg.
Geht da plötzlich was in den deutsch-russischen Beziehungen? Verblasst das Schlachtengetümmel von 2014 und die Aufregung um die gegenseitigen Sanktionen?
Eine ganz wichtige Veränderung im Verhältnis zwischen den Regierungen in Berlin und Moskau ist Donald Trump. Der US-Präsident hat sich zwar im Juli in Helsinki mit Putin umarmt. Aber seither geht es zwischen Washington und Moskau steil bergab. Vor einer Woche verhängte das US-Außenministerium neue Sanktionen und stellte weitere in Aussicht. "Unter dem Druck der Sanktionen auf viele Jahre hinaus reicht Putin anderen Nationen die Hand", sagt Dmitri Trenin vom Carnegie-Zentrum in Moskau.
Ein wichtiges Thema wird die Pipeline Nord Stream 2 sein
Die US-Handelsstrafen bringen Merkel und Putin zusammen. Weil Trumps akute Sanktionitis nicht nur Russland, sondern auch Europa und die ganze Welt betrifft: Strafzölle, Handelsbarrieren, Sanktionen gegen konkrete Projekte. Eines davon ist die Pipeline Nord Stream 2, die von Russland nach Deutschland führen soll. Wegen dieser Leitung hat Trump Deutschland auf dem Nato-Gipfel im Juli vorgeworfen, es sei komplett von Russland kontrolliert. In Washington sind die Gesetze für mögliche Sanktionen gegen die Pipelinebetreiber bereits beschlossen worden.
Wie man sich dagegen schützt, werden Merkel und Putin in Meseberg bei Berlin besprechen. Für den russischen Präsidenten ist Nord Stream 2 ein Paradeprojekt, an dem er schon lange mit seinem Freund Gerhard Schröder bastelt. Für Merkel ist die Rohrleitung im beiderseitigen Interesse, aber auch ein politisches Risiko, weil Polen, die Ukraine und die USA dagegen Front machen. Deshalb will sie Putin dauerhaft verpflichten, weiter Gas durch die Ukraine nach Europa zu liefern. Dann hat Merkel ein Argument mehr gegen Trump und Polen, die selbst Gas in Europa verkaufen wollen: Polen über seinen Flüssiggasterminal, die USA als Produzent.
Weder Liebesaffäre noch Politikwechsel
Merkel und Putin teilen hier also ganz konkrete Interessen, und das fördert das Gespräch. Gleiches gilt für Syrien. Die Kanzlerin will verhindern, dass die Offensiven des Diktators Baschar al-Assad eine neue Flüchtlingswelle auslösen. Putin ist jemand, der auf Assad Einfluss hat. Der russische Präsident wiederum weiß, dass die Deutschen unter bestimmten Umständen bereit wären, beim Wiederaufbau Syriens zu helfen. Und da Russland knapp bei Kasse ist, wären deutsche und europäische Hilfen sehr willkommen. Was da mit, ohne oder um Assad herum möglich ist, werden Merkel und Putin ausloten.
Die deutsch-russische Erwärmung darf also niemand als Liebesaffäre missverstehen. Auch nicht als Politikwechsel. Es ist vielmehr ein Interessenausgleich mit zielgerichteter Zusammenarbeit. Beide Seiten wissen, dass im Zweifel keiner über seinen Schatten springen kann.
Seit 2014 trennt die Annexion der Ukraine Russland und Deutschland
Ein großer Schatten heißt Ukraine. Der Russe und die Deutsche werden über das zerrissene Land und die anhaltende russische Unterstützung für die Separatisten im Osten sprechen: über den stockenden Friedensprozess von Minsk, über den brüchigen Waffenstillstand. Merkel möchte von Putin wissen, unter welchen Bedingungen er einer UN-Friedenstruppe im gesamten von den Separatisten kontrollierten Gebiet zustimmen würde. Da wird man sich wohl nicht so schnell einig werden.
Die Ukraine trennt Deutschland und Russland seit der russischen Invasion von 2014. Dabei geht es nicht nur um das osteuropäische Land, sondern um viel mehr. Seit 2014 stellt Moskau, so sehen es die Deutschen, die Sicherheitsarchitektur in Europa in Frage. Die Russen verstoßen gegen völkerrechtliche Verträge, die sie 1990 und 1994 unterschrieben haben. Russland wiederum findet, dass die EU seine berechtigten Interessen in den Nachbarländern nicht genügend würdige. Die Annexion der ukrainischen Krim sieht Putin als "Wiedervereinigung".
Das alles trennt Deutschland und Russland weiterhin. Für die Sicherheit in Europa ist es trotzdem gut, dass sie Themen gefunden haben, über die sie endlich wieder reden können.