Kongresse in der Presse | Saarbrückener Erklärung | Studis fahren Fahrrad | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Wolkige Kommunikation

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
wir beglückwünschen alle jene, die die Einheitsfeier durch zwei Brückentage verlängert haben. Well done. Der arbeitenden Restbevölkerung schicken wir solidarische Grüße ins Büro. Auf dem Schreibtisch heute: Eine kleine Rückschau auf die geistes- und sozialwissenschaftlichen Jahreskongresse und leider kein Hochschulpakt. Im Standpunkt überlegt Jan-Martin Wiarda, was aus dem aktuellen Wissenschaftsbarometer folgt. Und in der Fußnote geht es um gelehrte Narren.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Kleine Rückschau: Kongresse in Münster, Göttingen, Frankfurt, Berlin
Bevor das Wintersemester losgeht und großäugige Erstis die Universitätsflure bevölkern, finden sich traditionell die Fachgesellschaften zu ihren großen Kongressen zusammen. Die historische Zunft tagte soeben in Münster (Thema: „Gespaltene Gesellschaften“), die Politikwissenschaft in Frankfurt/Main (Thema: „Die Grenzen der Demokratie“). Beide Kongresse gaben sich staatstragend und schon durch ihre Themenwahl hochpolitisiert: In Münster hielt Wolfgang Schäuble einen Festvortrag – Welt, SZ, Tagesspiegel, Cicero –, in Frankfurt sprach Frank-Walter Steinmeier: Deutschlandfunk, FR, Hessenschau, Forschung & Lehre). Das Thema des Soziologiekongress in Göttingen wirkte ebenfalls zeitgeistig, kam aber etwas schwarzbrotiger daher, thematisiert wurden „Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen“. Und die Philosophie fand sich in Berlin ein und verhandelte „Norm und Natur“.  Dass eine Presseschau in den beiden letzteren Fällen mangels Berichterstattung ausfällt, dürfen sich Medien wie Soziologie und Philosophie beiderseits mal kritisch zur Diskussion vorlegen. (Siehe auch aus unserem Archiv: ZEIT 42/2016)
  
 
 
Hochschulpakt: Saarbrückener Erklärung
Auch die Kanzlerinnen und Kanzler deutscher Universitäten haben kürzlich Kongresskekse verspeist und Notizbücher vollgeschrieben. Sie trafen sich zur Jahrestagung in Saarbrücken, sprachen über Digitalisierung (und anderem mit Anja Karliczek, die den Festvortrag hielt) – und verabschiedeten anschließend die „Saarbrückener Erkärung zum Hochschulpakt“. Sachlich im Ton wird doch deutlich, wie nervös die Unis sind, weil die Konkretion des Hochschulpakts von Seiten des BMBF immer dringlicher wird. Das Papier erinnert an eine Forderung, der Karliczek eigentlich schon eine Absage erteilt hat (nämlich eine Dynamisierung der Paktmittel) und adressiert auch die Länder: Viele Unis sind nämlich recht buchstäblich eine Baustelle, der Sanierungsstau beläuft sich auf bis zu 20 Milliarden Euro bis 2025. Die Kanzler wünschen sich entsprechend eine Programmpauschale von 30 Prozent. 
  
 
 
My friends don't drive Porsches...
Apropos Semesterstart und Erstis. Man ahnte es schon, hat es jetzt vom CHE aber schwarz auf weiß bekommen: Wer studiert, nutzt Bus oder Bahn (Semesterticket sei Dank), radelt oder läuft gen Hörsaal. Immer weniger Studierende – nur noch ein Viertel – fahren mit dem Auto an die Hochschule; in den Großstädten nutzen sogar 80 Prozent andere Verkehrswege. Die beliebtesten Fahrradstädte sind Greifswald (93 Prozent) und Münster (82 Prozent); in Vallendar, Freiberg und Clausthal laufen 80 Prozent zu Fuß. Die ganze Auswertung finden Sie hier. Und wen das studentische Desinteresse am Automobil irgendwie nostalgisch stimmt, klicke hier und drehe dazu die Boxen auf. 
  
   
   
   
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Personen
 
 
   
  
Nobel, nobel
Es ist Nobelpreiswoche! Verkündet wurden bereits: Medizin (James Allison, University of Texas, Houston; Tasuku Honjo, Universität Kyoto), Physik (Arthur Ashkin, Bell Laboratories, Holmdel, New Jersey; Gérard Mourou, École Polytechnique; Donna Strickland, University of Waterloo, Kanada), Chemie (Frances H. Arnold, Caltech; George P. Smith, University of Missouri; Sir Gregory P. Winter, Cambridge University).

Öffentlich, wirksam
Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie hat auf ihrem Kongress in Göttingen zwei Mitglieder ihres Faches ausgezeichnet: Armin Nassehi (LMU München) erhält den „Preis für öffentliche Wirksamkeit“ (siehe z.B. ZEIT 28/2018) und Richard Münch (Bamberg) wurde für sein Lebenswerk geehrt.

Tübingen
Das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik hat zwei Neurowissenschaftler berufen, Peter Dayan und Li Zhaoping – beide wurden aus London abgeworben. Ein Erfolg, der dem Institut nach den Vorwürfen der Tierversuche gegen einen der Leiter neuen Schwung geben könnte, so hofft die MPG sicher. (ZEIT 23/2018)

Moskau
Das DHI Moskau wird künftig von der Osteuropahistorikerin Sandra Dahlke geleitet; sie war zuvor bereits stellvertretende Direktorin. Sie folgt auf Nikolaus Katzer, der den Posten seit 2010 innehatte.

Helmut-Schmidt-Professur
Am Tag der deutschen Einheit wurde Kristina Spohr als erste Helmut-Schmidt-Professorin am „Henry Kissinger Center“ der Johns Hopkins School of Advanced International Studies eingeführt. Die Professur soll an die lange Freundschaft zwischen Schmidt und Kissinger erinnern. „Gesprächsbereitschaft, aber auch der Wille zuzuhören, ist das, was wir gerade in Zeiten komplizierter werdender deutsch-amerikanischer Beziehungen brauchen“, sagte die Staatsminsterin Michelle Müntefering. Dazu leiste der Lehrstuhl einen entscheidenden Beitrag. So sollen Spohr und sechs Postdocs auch über USA, Europa und die Weltordnung forschen.

Jobs für m/w/d
Huch! Große Diversitätsoffensive offenbar im öffentlichen Sektor. Unser aktueller Stellenmarkt wimmelt nur so vor Gender-Sternchen (die Volkshochschule Rheinfelden sucht eine "Leiter*in"), und die dritte Option wird inzwischen explizit ausgewiesen – die Evangelische Akademie Bad Boll sucht jemanden für "die Stelle des stellvertretenden Direktors (m/w/d)"; die Stadt Viersen braucht eine "Leitung der Abteilung Kultur (m/w/d)". Daneben steht, wie immer, die klassische "Professur", die "zu besetzen" ist. Bekanntlich ist sie weniger geschlechtslos, als sie im Stellenmarkt klingt.
  
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Standpunkt
 
 
   
von Jan-Martin Wiarda
   
 
   
Wolkige Kommunikation
Zuerst die gute Nachricht. 54 Prozent der Menschen in Deutschland geben an, Wissenschaft und Forschung zu vertrauen. Wer sich die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers 2018 genauer anschaut, muss allerdings schlucken. Dreiviertel der Befragten sagen, dass die Orientierung am Gemeinwohl zu den Eigenschaften eines guten Wissenschaftlers gehört. Doch nur 40 Prozent glauben, dass Wissenschaftler tatsächlich zum Nutzen der Gesellschaft forschen, berichtet „Wissenschaft im Dialog“, die das Barometer erstellt haben.
Diese Kluft zwischen Anspruch und beobachteter Wirklichkeit ist langfristig gefährlich für die Akzeptanz freier Forschung. Wie erklärt sie sich? Hier kommt eine zweite Umfrage ins Spiel: In Deutschland arbeitende Nachwuchswissenschaftler bringen der Wissenschaftskommunikation besonders wenig Wertschätzung entgegen. Während ihre jungen Forscherkollegen aus anderen Ländern zu 74 Prozent davon ausgehen, dass die Vermittlung von Wissenschaft an ein breites Publikum außerhalb der Wissenschaft ihrer wissenschaftlichen Karriere nütze, sagen dies in Deutschland nur 51 Prozent. 
Carsten Könneker, Professor für Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftskommunikation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), und seine Leute haben über vier Jahre hinweg Teilnehmer der Lindauer Nobelpreisträgertagungen und des Heidelberg Laureate Forums befragt. Dabei kam zum Beispiel auch heraus, dass die deutschen Forscher sich nur gut halb so oft mit ihren Forschungsthemen in sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook einbringen wie der Forschernachwuchs anderswo. Zuerst berichtete Forschung & Lehre über die Studie.  
Wenn viele Menschen in Deutschland mehrheitlich der Auffassung sind, die Wissenschaftler kümmerten sich nicht ums Gemeinwohl, dann heißt das nicht, dass die Befragten Recht haben. Sehr wohl aber bedeutet es, dass Wissenschaft sich nicht ausreichend erklärt: in ihren gedanklichen Grundlagen, in ihren Methoden, ihren Erkenntniswegen. Nicht, weil die Forscher gleichgültig sind, sondern weil – das zeigen die Karlsruher Zahlen – Wissenschaftlerkarrieren in Deutschland nach anderen Belohnungssystemen gemacht werden. Der Blick geht nach innen, allein die Reputation innerhalb der Wissenschaft entscheidet.
Die jungen Forscher können das nicht ändern. Die Politik kann es. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat neulich angekündigt, die Wissenschaftskommunikation in der Forschungsförderung stärker zu berücksichtigen. Klingt gut, bleibt bislang aber wolkig.
Richtig wäre es, wenn künftig keinerlei Projektgelder mehr fließen würden ohne die Verpflichtung zur Kommunikation nach außen. Die dann nicht in die Pressestellen outgesourct, sondern von den Forschern selbst geleistet werden müsste. Und nein, hier würde ihnen nicht noch eine zusätzliche Aufgabe aufgehalst. Das Reden mit der Gesellschaft, die sie finanziert, gehört von jeher zum Kern wissenschaftlicher Arbeit. Es muss sich nur auch karrieretechnisch lohnen.  
Anja Karliczek sollte liefern. Bald.
   
 
   
 
   
Sie stehen woanders? Schreiben Sie uns! chancen-brief@zeit.de – oder twittern Sie unter #ChancenBrief
   
 
   
 
 
   
   
   
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Eine Schule für Lotta Wann gelingt Inklusion? Die Autorin Sandra Roth erzählt, wie sie für ihre behinderte Tochter ein Klassenzimmer sucht

Leiden für eine bessere Welt Bei einer internationalen Organisation zu arbeiten gilt als Traumjob. Doch wer im Ausland Gutes tun will, darf nicht zu idealistisch sein. Denn auch im Paradies kann der Arbeitsalltag zermürbend sein Good bye, England Während über den Brexit noch verhandelt wird, packen einige deutsche Auswanderer längst ihre Koffer – und ziehen zurück in ihre alte Heimat. Drei von ihnen berichten Der fast normale Wahnsinn Familien im Ausnahmezustand: Ein Dokumentarfilm über Eltern, die lernen müssen, Eltern zu sein Krönchen für viele Zwei Jahre lang wurden die deutschen Universitäten begutachtet. Jetzt steht fest, wer im Exzellenzwettbewerb erfolgreich war. Was wurde entschieden – und von wem?

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
 
   
Es gibt ein schönes Wort im Deutschen, das nur noch selten verwendet wird: „Gelehrsamkeit“. Etwas fremd ragt es in unser hochschulpolitisches Vokabular, wo man multidisziplinär forscht, Strategieplanung betreibt und seinen Impact erhöht. Dabei sind auch an der Universität der Gegenwart wie eh und je gelehrte Menschen zu Hause, die viel wissen und viel nachdenken. Historisch gesehen ist der Gelehrte eine in sich gebrochene Figur, die immer auch zum Spott einlud und mit der man (bisweilen wohlfeile, bisweilen zutreffende) Kritik an der Akademie lancieren konnte. Ausführlich entfaltet all das eine 2003 erschienene Studie des Literaturwissenschaftlers Alexander Košenina, die gerade ihren Weg auf meinen Schreibtisch gefunden hat: „Der gelehrte Narr. Gelehrtensatire seit der Aufklärung“ (Wallstein). Lesenswert für alle, die den schneidigen Exzellenzprofessor von heute mit etwas mehr historischer Tiefenschärfe sehen wollen.
Anna-Lena Scholz
   
 
   
 
 
   
Lust an der Gelehrsamkeit wünscht

Ihr CHANCEN-Team


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