10 nach 8: Caroline Rosales über die Frauenrechtsbewegung

 
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12.10.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Wenn ich den Feminismus nicht verstehe, ist das schlecht
 
Der Diskurs über Gleichberechtigung ist so absurd, dass sich sogar Frauen darüber zerstreiten. Unterdessen propagieren die Rechten ihren gefährlichen Pseudofeminismus.
VON CAROLINE ROSALES

"Wenn es um Feminismus geht, haben die Deutungshoheit immer die anderen – und nie bin ich gut genug." © Isaiah Rustad/unsplash.com
 
"Wenn es um Feminismus geht, haben die Deutungshoheit immer die anderen – und nie bin ich gut genug." © Isaiah Rustad/unsplash.com
 
 

In meinem Buch-Club war in der vergangenen Woche dran. Das ist das neue Werk von der New Yorker Autorin Meg Wolitzer. Man darf sich das also so vorstellen: Zehn Frauen aus der Nachbarschaft sitzen in meinem oder in den Wohnzimmern der anderen in Berlin-Pankow bei Wein und Salzstangen und sprechen über das Gelesene. "Um ehrlich zu sein, ich habe kein Wort verstanden", platzte es plötzlich aus einer heraus. "Ich habe eine Menge gegoogelt", sagte eine andere, bereit, die Königsmörderin zu stützen. "Danke", erwiderte die nächste, "endlich sagt es mal einer". "Mir ist das auch zu hoch", erklärte ich. Eine der Nachbarinnen klopfte mir auf die Schulter: "Du bist ja auch zu dumm für den Feminismus." Alle lachten. Ich auch.

Es war der Abend, an dem mir auffiel, dass wir uns zwar amüsierten, es aber eigentlich gar nichts zum Lachen gab, der Moment, in dem mir bewusst wurde, wie weit sich der feministische Diskurs von seinen so dringend benötigten Verteidigerinnen entfernt hat – nämlich von Millionen ganz gewöhnlicher Frauen wie uns.

Denn die ewigen Diskussionen machen mich mürbe. Immer ist irgendetwas falsch verstanden worden und oft nehmen wir selbst Feministinnen und ihre Thesen nicht nur bis zum Erbsenzählen, sondern bis zur Kernspaltung auseinander.

Die Auseinandersetzungen über Frauenrechte seien schmerzhaft – aber nicht so schmerzhaft, wie die Art und Weise, in der sie kommentiert würden, schreibt Hannah Beitzer in der Süddeutschen Zeitung. Zickenkrieg, Spaltung, der Feministin schlimmster Feind sei die andere Feministin. Hannah Lühmann stimmt ihr zu. Schon vor Jahren schrieb sie bei ZEIT ONLINE : "Der zeitgenössische Feminismus, wie er derzeit als Diskursgespenst durch die unglaublich angestrengten und anstrengenden Auseinandersetzungen zwischen feministischen und weniger feministischen oder 'feminismuskritischen' (was genau ist das eigentlich?) Autoren und Autorinnen wabert, ist leider eine solche weitgehend unlustige Bewegung."

Hier zum Luftholen ein paar Beispiele zum Thema aus meinem Leben:

Falsch gemacht, Nummer eins: Ich schaue mit meiner fünfjährigen Tochter den Film Das Schlumpfdorf an. Und wer dank der schnellen Szenenwechsel und schrillen Bilder nicht irgendwann hyperventiliert, lernt: "Eine Schlumpfine kann alles sein." Meine Tochter ist begeistert. Meine Bekannte (Yogalehrerin, vierfache Mutter) nicht. "Ja, wie kannst du deinem Kind diesen Popfeminismus antun – und sowieso FERNSEHEN", echauffierte sie sich.

Falsch gemacht, Nummer zwei: Ich schreibe einen Artikel für das Magazin Emma. Alice Schwarzer, die große Frauenrechtlerin, kenne ich aus meiner Kindheit. Für meinen Vater war sie die Frau, die wie alle "Emanzen" in lila Latzhosen herumlief, Tee trank und zu viel redete. Doch ich fand schon als Kind: Nee, sie hat einen Punkt. Als der Text erscheint, schütteln Kollegen den Kopf: "Ja, ob du dir da mal ideologisch die richtige Seite ausgesucht hast."

Falsch gemacht, Nummer drei: Ich unterstütze meine Freundin Hanna Lakomy in ihrem Beruf als Escort-Lady . "Du bist mutig, du legst dich mit den Abolitionistinnen an", sagte sie, "also den radikalen Gegnerinnen der Prostitution". Abolitionismus? Ich musste wieder googeln. Der digitale Shitstorm ließ übrigens nicht lange auf sich warten, nachdem ich meinen Text über sie veröffentlicht hatte – es folgten Beleidigungen und sogar Gewaltandrohungen. Dabei war der Vorwurf, ich sei eine Schande für den Feminismus, noch einer der harmloseren Kommentare auf meinen privaten Accounts.

Wenn es um Feminismus geht, so erscheint es mir als Frau, haben die Deutungshoheit immer die anderen – und nie bin ich gut genug. Ich muss damit rechnen, auf offenem Feld zerpflückt und bloßgestellt zu werden. Und diese Reaktionen gleichen den problematischen Argumentationsmustern, die häufig in politisch-ideologischen Diskursen auftauchen: Nicht die Ideologie ist falsch, sondern der Mensch, der sie falsch umsetzt. Ähnlich wurde in der Vergangenheit etwa das Scheitern des Sozialismus kommentiert.

Das Geschriebene bleibt derweil in der Regel für die gemeine Feminismus-Aspirantin oft bleiern und theoretisch. So plädiert die Autorin Svenja Flaßpöhler für eine neue Weiblichkeit. Erst wenn Frauen sich selbst und ihre Lust als potente Größe begriffen, könnten sie sich aus der Opferrolle befreien . "Wir wissen über Sex eigentlich nicht mehr als unsere Eltern", schreibt die junge britische Feministin Laurie Penny. Es ist noch ärger, antwortet daraufhin Alice Schwarzer . Es wird debattiert. Über weibliches Begehren, über die neue Generation der " zarten Männer " im Gegensatz zum abgewählten Mansplaining Man .

Doch wenn die Argumente zu verschachtelt sind und von -ismen und Fremdwörtern dominiert, verliert die ganze Diskussion an Substanz. Niemand hat Lust, über zwischenmenschliche Themen zu debattieren, wenn er dafür Genderforschung studiert haben muss. Bis heute sträuben sich mir beim Lesen feministischer Pamphlete, Abhandlungen und Artikel alle Haare. Lese ich von Männern, die sich " an der Reproduktionsarbeit beteiligen " oder Frauen, die der "Sanktionslogik von traditionalistischen Männern unterworfen" sind, steige ich aus. Und – machen wir uns nichts vor – viele andere ebenfalls.

Das F-Wort hat ein Imageproblem

Das, so lautet meine Prophezeiung, wird nicht ungestraft bleiben: Während wir gegeneinander argumentieren, versuchen, das Haar in der Suppe der anderen zu suchen, sind wir dabei, alles zu verlieren, worauf wir stolz sind. Ich fühle mich wie Heinrich Mann, der in seinem Buch Der Untertan die Sozialisten beschreibt. Wie sie am Wegesrand stehen und sich von dem Rad der kaiserlichen Kutsche mit Matsch bespritzen lassen. Heinrich Mann erdachte dieses Bild ihrer Demütigung durch die Autoritäten, um auszudrücken, ja, die Sozialisten generell anzuflehen: Tut doch endlich was, anstatt euch ständig untereinander zu streiten.

Denn während wir Frauen uns selbst kannibalisieren, haben ausgerechnet populistische rechte Parteien das Thema Feminismus für sich entdeckt. Die AfD in Deutschland, der Rassemblement National (RN) in Frankreich, die Trumps (insbesondere Ivanka) schmücken sich mit dem Wort, instrumentalisieren es und haben dazu auch ihre ganz eigene Argumentationslogik. Im Grundsatzprogramm der AfD vom Mai 2016 steht beispielsweise: "Die Wirtschaft will Frauen als Arbeitskraft. Ein falsch verstandener Feminismus schätzt einseitig Frauen im Erwerbsleben, nicht aber Frauen, die nur Mutter und Hausfrau sind ."

Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen erklärte während des Wahlkampfes 2017 die Gleichberechtigung sogar für Konsens. Die wahre Gefahr für Frauen seien laut Le Pen mögliche Übergriffe durch Migranten und die Ausbreitung des Islams in Frankreich. Dagegen warnte Suzy Rojtman, die Sprecherin der linksliberalen Bewegung Droits des femmes contre les extrêmes droites in Le Monde : "Hier wird der feministische Diskurs im Dienst von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit instrumentalisiert." Ihre Nichte Marion Maréchal, die gerade eine Akademie für Identitäre in Lyon eröffnete, sagte der spanischen Zeitung El Confidencial, dass Feminismus nur als Argument herangezogen werde, um den Kampf zwischen den Geschlechtern aufrechtzuerhalten. Der rechte Publizist David Berger erklärte die Frauen seiner Geisteshaltung für die "wahren Feministinnen" .

An all diesen Aussagen lässt sich ablesen, dass der Begriff Feminismus unklar und porös ist. Er lässt sich von jedem vereinnahmen, jeder darf sich auf ihn berufen, jeder darf ihn sich auf die Fahne schreiben – unter anderem auch deshalb, weil linke und demokratische Stimmen durch ihre ewige Debattenkultur den Schulterschluss verpasst haben.

Rechten Bullshit entlarven

Und deshalb frage ich mich: Warum werden wir in unserer ewigen Diskussionstoleranz nie konkret? Warum gründet niemand eine feministische Partei? Warum setzen wir uns nicht alle flächendeckend für die Abschaffung des Paragraphen 219a ein, der ein Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche bedeutet? Warum finden wir nicht Kompromisse untereinander und konzentrieren uns darauf, die Motive der Rechtsnationalen zu zerpflücken? Das Ideal der Kleinfamilie existiert weiter und wird rückwirkend idealisiert. "Das deutsche Mutterbild hat sich in den vergangenen hundert Jahren kaum verändert", sagt die Politikwissenschaftlerin Mariam Tazi-Preve. Und ich gebe ihr recht. Warum setzen wir nicht da an? Zusammen, nicht als Einzelkämpferinnen.

#MeToo wird als die größte Frauenrechtsbewegung des Jahrzehnts in die Geschichte eingehen, auch weil die Botschaft einfach ist. Plötzlich konnte jede Frau mitsprechen und sich einer Sache anschließen. Die Folge dessen sollte aber natürlich nicht sein, dass wir den einfachen Botschaften des Populismus verfallen, sondern dass wir uns überlegen, wie wir für die Sache, für unsere Rechte populärer werden könnten. Denn machen wir uns nichts vor, das F-Wort hat ein Imageproblem – und das können wir uns derzeit nicht leisten.

Der Feminismus lebt von einer lebendigen intellektuellen Debatte, meinetwegen. Das Ganze könnte auch hundert Jahre noch so weitergehen, wäre der Rechtspopulismus in Europa nicht stark geworden. Wir können nicht riskieren, in einer Welt zu leben, in der strenge Abtreibungsgesetze, staatliche Sanktionen für "nicht selbstverschuldete Alleinerziehende" (AfD) und Hausfrauen die Norm sind – und nicht stumm bleiben, in einer Zeit, in der Papst Franziskus Abtreibung mit "Auftragsmord" gleichsetzt . Laut einer aktuellen Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) arbeiten 37,5 Prozent der erwerbstätigen Frauen in Deutschland in Teilzeit, mehr als in anderen Ländern. Warum tun wir nichts dagegen – Briefe, Demos, Petitionen. Und weshalb gibt es, anders als in den USA, hierzulande keine Talkshow wie The View in Amerika, in der jeden Morgen vier Frauen (unter ihnen Whoopi Goldberg) die Weltlage besprechen?

Wenn wir nicht klar formulieren, was wir für unsere Zukunft wollen, Bündnisse schließen und den feministischen Bullshit von rechten Rednerinnen entlarven, entmachten wir uns selbst. Tun wir uns nicht zusammen, als Bewegung der Vernunft, des echten Feminismus, stehen unsere Rechte und die unserer Töchter auf dem Spiel.

Caroline Rosales, geboren 1982 in Bonn, arbeitet als Redakteurin der FUNKE Mediengruppe. Zudem ist sie Buchautorin. Im Jahr 2012 gründete sie den Blog Stadtlandmama.de, der bis heute zu den größten Elternblogs in Deutschland zählt. Sie lebt mit ihren zwei Kindern in Berlin und ist Gastautorin von "10 nach 8".


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