Die armen Kinder von Jenfeld»Armut macht mürbe«: Das weiß
Hans Berling genau. Er ist Sozialpädagoge und seit 23 Jahren Geschäftsführer der
Jenfelder Kaffeekanne, eines Nachbarschaftszentrums für Kinder und Jugendliche, die zu 90 Prozent aus Familien kommen, die Hartz IV beziehen oder ergänzende Leistungen, weil die Eltern zu wenig verdienen. Als arm würden sich die Familien trotzdem nicht bezeichnen.
»Die Kinder haben nicht das Gefühl: Wir sind benachteiligt, wir haben kein Geld, wir sind arm«, sagt Berling im Interview mit der Autorin
Ruth Eisenreich. Wenn Ehrenamtliche aus gutbürgerlichen Stadtteilen die Kinder manchmal zu sich einladen wollen, lehnt der Sozialpädagoge das ab. Die Kinder fänden es ja in Jenfeld nicht unschön, und: »Dieses Kennenlernen der sogenannten besseren Milieus
kann ein Mangelgefühl hervorrufen.« Wo Hamburg im Kampf gegen die Kinderarmut fortschrittlich ist, und was Hans Berling machen würde, wenn er morgen Sozialsenator wäre, lesen Sie
hier digital oder in der aktuellen Ausgabe der
ZEIT:Hamburg am Kiosk.
Preis für Migrantpolitan: »Ein Aktionsraum für, von und mit Geflüchteten«Projekte, die sich mittels Kultur für eine offene Gesellschaft engagieren, zeichnet die
Initiative »The Power of The Arts« aus. Unter den vier Preisträgern in diesem Jahr ist auch
Migrantpolitan auf Kampnagel. Wir sprachen mit der
Initiatorin und Dramaturgin Nadine Jessen über das Projekt.
Elbvertiefung: Frau Jessen, was ist das Migrantpolitan?Nadine Jessen: Ein Holzhaus auf dem Kampnagel-Gelände. Ein Aktionsraum für, von und mit Geflüchteten, die dort seit 2015 selbst verwaltete Projekte realisieren. Da finden TV-Abende und Jam-Sessions statt, aber der Raum wird auch für Workshops und als Probeort genutzt.
EV: Wer macht da so mit?Jessen: Das ist eine offene Gruppe. Viele von ihnen kommen aus Syrien. Auch im Publikum haben viele Migrationshintergrund. Zu Veranstaltungen wie den Jam-Sessions und dem Solicasino, einem Performance-Kasino-Abend, kommen aber auch zahlreiche deutsche Besucher. Das ist gut, weil Durchmischung wichtig ist. Ansonsten besteht unser Kernteam aus acht bis zwölf Leuten. Manche waren schon in ihren Heimatländern in der Kunstszene tätig. Anas Aboura zum Beispiel, der hier für die Organisation zuständig ist, hat schon in Damaskus Konzerte und Ausstellungen organisiert.
EV: Warum ist so ein Ort für geflüchtete Künstler wichtig?Jessen: Sie sehen, wie die Kunstwelt hier läuft, und bekommen erste Kontakte. Anas baut gerade eine eigene Künstleragentur auf, und Iman Shaaban, die Grafikdesign studiert hat, stellte im Kölibri auf St. Pauli aus. Aber es gibt auch andere Geflüchtete, die hier das erste Mal überhaupt so wirklich mit Kunst in Berührung kommen. Auch für sie sind wir da. Manche entdecken nach der Flucht durch die neuen Möglichkeiten eigene Zugänge. So wie Moaeed Shekhane, der bislang nichts mit der Theaterwelt am Hut hatte und sich nun durch das Projekt mit feministischer Performancekunst auf Kampnagel auseinandersetzt. Das ist inspirierend – für ihn und für uns!
EV: Was waren die größten Erfolgsgeschichten bislang?Jessen: Wir haben eigene Reihen auf Kampnagel etabliert, zum Beispiel Oriental Karaoke mit arabischer Musik und Club-Abende mit arabischer Techno- und Elektromusik. Außerdem haben wir eine TV-Serie aufgenommen, »Hello Deutschland«, quasi wie »Die Auswanderer« – nur andersrum. Die zehn Folgen zeigen wir immer mittwochs im Migrantpolitan und wollen sie bald auch auf YouTube hochladen.
EV: Wissen Sie schon, was Sie mit den 50.000 Euro Preisgeld machen?Jessen: Ja, nächstes Jahr noch eine Serie drehen. Eine Soap über die junge Generation aus arabischen Ländern und ihr Leben in der Diaspora hier. »Ramadram« soll die heißen. Zu Ramadan gehen in arabischen Ländern traditionell neue Serien an den Start. Oft werden gerade in Soaps, die ja eigentlich für leichte Kost stehen, auch politische Themen wie Korruption behandelt. Das wollen wir aufgreifen und weiterführen.
Wer das Projekt kennenlernen möchte: Heute Abend um 20 Uhr zeichnet dort »Mista Larry« seine Talkshow Migranpolitan-TV auf. Der Eintritt ist frei.