10 nach 8: Jule Hoffmann über Menstruationstassen

 
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29.10.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Ein Hoch auf die Tasse!
 
Seit 80 Jahren gibt es Menstruationstassen, erst jetzt haben sie Erfolg. Und endlich gewöhnen wir uns daran, mit der weiblichen Biologie offen umzugehen.
VON JULE HOFFMANN

 Etwas größer als ein Fingerhut und bis zu zehn Jahre verwendbar: eine Menstruationstasse © BSIP/UIG/Getty Images
 
Etwas größer als ein Fingerhut und bis zu zehn Jahre verwendbar: eine Menstruationstasse © BSIP/UIG/Getty Images
 
 

1961 hing auf dem New Yorker Times Square, an der Ecke Broadway/46. Straße, ein Werbeplakat mit der Aufschrift: "Now a better way! Tassette: not a tampon, not a napkin!" Darunter die Illustration einer Tulpe und eine Hand, die ein kleines Säckchen hochhält. Die Firma Tassette, Inc. machte dort Werbung für eine Menstruationstasse, die jedoch kein kommerzieller Erfolg wurde – schon in den Siebzigerjahren ging die Firma wieder Pleite. Die Kampagne war bereits der zweite Anlauf von Leona W. Chalmers im Versuch, Menstruationstassen unters Volk zu bringen. Das Patent hatte sie schon 1935 angemeldet.

Das ergibt eine schnelle Google-Recherche, als ich herausfinden will, wer diesen Meilenstein in der Geschichte der Menstruation erfunden hat. Sonderbarerweise ist das Wissen um Menstruationstassen erst vor wenigen Jahren zu mir durchgedrungen. Ich bin in den Neunziger- und Nullerjahren noch mit Tampons und Binden aufgewachsen. In meiner Welt sind Menstruationstassen der letzte heiße Scheiß zum Thema Periode, den ich erst vor zwei Jahren in einem kleinen Neuköllner Veganladen entdeckt habe: ein etwas größerer Fingerhut aus weichem medizinischen Silikon, den sich die Frau einsetzt und in dem sich das Regelblut sammelt. Mittlerweile ist er in ganz normalen Drogerieläden erhältlich. Ich erinnere mich nicht an große Werbekampagnen, vielmehr war es Mund-zu-Mund-Propaganda. Was ich schon als den ersten Gewinn betrachte, den die Tasse gebracht hat: Auf einmal gab es einen Anlass, mit Freundinnen und Kolleginnen über Menstruation zu sprechen.

"Now a better way" – das Plakat von 1961 könnte also ohne Weiteres wieder aufgehängt werden. Und dabei würde nicht mal besonders auffallen, dass das Produkt selbst lediglich durch eine Tulpe angedeutet wird. Auch heute noch ist Werbung für Menstruationsartikel eher verblümt und unartikuliert, denkt man an die viel kritisierte blaue Flüssigkeit, die in Fernsehspots das Menstruationsblut symbolisieren soll.

Ist in der Zwischenzeit also gar nichts passiert? Warum entdecken wir eine 80 Jahre alte Idee jetzt erst neu? Das Fragezeichen wird umso größer, wenn man sich die lange Liste an Vorteilen vor Augen führt: Die Menstruationstasse kann man bis zu zwölf Stunden tragen, ohne sie zu leeren, was sich nicht nur auf Reisen bewährt. Sie trocknet die Vagina nicht aus. Sie hält, einmal richtig in Position gebracht, besser dicht, und es hängt keine Schnur raus. Man kann mit ihr problemlos schwimmen und joggen gehen. Außerdem vermeidet man Berge von Tamponmüll, da eine Tasse bis zu zehn Jahre lang jeden Monat wieder benutzt werden kann. Und vor allem: Man spart eine Menge Geld. Auf dem freien Markt ist das normalerweise das Argument, das alles schlägt. Und in diesem Fall die Lösung für ein handfestes Problem: Tampons und Binden sind teuer. Bis heute wird in Deutschland für sie eine Luxussteuer von 19 Prozent fällig statt eine reduzierte Steuer von sieben Prozent für Produkte des täglichen Bedarfs. In Großbritannien gibt es sogar den Begriff der period poverty für Frauen und Mädchen, die während ihrer Periode nicht zur Schule oder zur Arbeit gehen, weil sie sich keine Tampons leisten können.

Und jetzt gibt es hier ein kleines Utensil, das dieses Problem mit einem Fingerschnipsen löst. Bewegungsfreiheit gewährt. Unabhängigkeit garantiert. Und sich trotzdem jahrzehntelang nicht auf dem Markt behaupten konnte. Es sind die unsichtbaren Machtstrukturen, die entlang der Linie dieser Fakten krachend spürbar werden.

In einem Artikel der New York Times von 2003 wird angeführt, die Tassen erforderten "zu viel Kontakt mit dem eigenen Körper", wofür Frauen zu empfindlich seien. Ähnlich argumentiert eine Dresdner Gynäkologin in einer Ausgabe der Apotheken Umschau von 2016: Frauen hätten eine "angeborene Skepsis vor Fremdkörpern, die wir in den Körper einführen" (wobei ich mich frage, warum Tampons davon ausgenommen sein sollten). Dieselbe Gynäkologin spricht auch von einer Entfremdung der Frauen vom eigenen Körper. Tatsächlich erfordern Menstruationstassen eine bessere Kenntnis des eigenen Körpers als Tampons. Sie müssen richtig platziert werden, damit das Blut nicht an ihnen vorbeiläuft. Und dafür befühlt man seine Vagina schon mal länger von innen. Und selbst wenn alle Handgriffe sitzen, verändert eine Menstruationstasse den Blick auf den eigenen Körper.

Ein dunkelroter See ergießt sich in die Schüssel

Bis zum Kauf einer Menstruationstasse habe ich Tampons benutzt. Den vollgesogenen Tampon hab ich an einer Schnur herausgezogen, sofort in Klopapier gewickelt und in den Mülleimer geworfen – wisch und weg. Mit der Tasse läuft das anders. Ich greife sie mit zwei Fingern und ziehe sie heraus. Ein bisschen warmes Blut läuft mir über die Hand, mit der anderen greife ich nach Klopapier. Die Tasse ist halb voll, manchmal bis zu drei Vierteln. Ich schütte das Blut in die Toilette. Ein dunkelroter See ergießt sich in die Schüssel. Diesen Anblick lasse ich hin und wieder einen Moment auf mich wirken. Er hat etwas Martialisches.

Kürzlich ist die britische Schauspielerin Keira Knightley mit einem Essay in die Schlagzeilen geraten, in dem sie die Geburt ihrer Tochter beschreibt. Der Text beginnt so: "Meine Vagina ist aufgerissen. Deine Augen waren geöffnet, als du rauskamst. Deine Arme in die Luft gerissen. Schreiend. Sie haben dich auf mich gelegt, mit Blut und Fruchtschmiere bedeckt, dein Kopf unförmig vom Geburtskanal. Pulsierend, keuchend, schreiend." Diese Textzeilen haben bei mir weder Ekel erzeugt, noch war ich schockiert. Vielmehr war ich beeindruckt. Keira Knightley bekam für mich etwas von einer Kriegerin, die ein unglaubliches Gemetzel überlebt hat. Man weiß vielleicht, dass eine Geburt ungefähr so abläuft; vielleicht hat man es auch schon gesehen. Aber man liest so etwas nie, schon gar nicht von einer Schauspielerin wie Keira Knightley. Solche Worte, die etwas vielfach Ungesagtes beschreiben, prägen die Wahrnehmung oder machen sie erst möglich. Einen ähnlichen Effekt hat es für mich, mein eigenes Blut in die Toilettenschüssel zu gießen. Ich wusste von meinem Blut. Ich hatte es so nur noch nie gesehen.

Natürlich ist eine Geburt nicht mit der Menstruation zu vergleichen. Aber über beides wird selten gesprochen. Mehr noch als das Tabu, sich etwas in die Vagina zu stecken, dürfte dieses Sprechtabu dazu beigetragen haben, dass sich eine geniale Erfindung für Menstruierende nicht durchsetzen konnte. Es gibt eine sehr interessante Rezension der US-amerikanischen Essayistin Katha Pollitt zu einem Buch über die Tabuisierung von Menstruation. Pollitt zitiert darin eine Aussage der Autorin, statt "Periode" lieber den Begriff "Menstruation" zu verwenden, weil das zumindest "etwas klinischer, wissenschaftlicher und gewichtiger" klingen würde. Pollitt beschreibt ihre Irritation über diese schamhafte Haltung der Autorin, erinnert sich aber anschließend selbst, dass auch ihr erster Gedanke angesichts ihres Arbeitsauftrags war: "Oh je, ist es das, was Redakteuren einfällt, wenn sie überlegen, welches Buch sie mir zum Rezensieren geben könnten? Blut, Krämpfe, Chaos?" Zwei Feministinnen äußern ihr Unbehagen mit dem Thema, über das sie schreiben: zu trivial, privat, intim, vielleicht auch einfach zu weiblich. Selbst dort, wo das Tabu gepackt wird, entfaltet es noch seine Wirkung.

Mir ist dieses Unbehagen zuletzt begegnet, als ich nach einem Krankheitstag bei der Arbeit auf Nachfrage eines Kollegen offen entgegnet habe, dass ich gar nicht wirklich krank war, sondern "nur so krasse Regelschmerzen" hatte. Obwohl ich mich für einigermaßen schambefreit halte, hat mich das Überwindung gekostet, und obwohl mein Gegenüber nur genickt hat, hatte ich das Gefühl, ihm zu viel und zu intime Information regelrecht aufgedrückt zu haben. Dabei hätte alles andere bedeutet, zu lügen. Natürlich geht es nicht darum, anderen die volle Menstruationstasse vors Gesicht zu halten. Aber etwas läuft schief, wenn man einen ganzen Tag ausgeknockt im Bett verbringt und anschließend Stillschweigen über die Ursache bewahrt.

Deshalb ist es eine Wohltat, wenn Keira Knightley im Rückblick auf die Geburt ihrer Tochter in schönstem Klartext schreibt: "Ich erinnere mich an die Scheiße, das Erbrochene, das Blut, die Nadelstiche. Ich erinnere mich an mein Schlachtfeld. Und ich bin das schwächere Geschlecht?" Im Kleinen ist das der Gedanke, den ich habe, wenn mein Blut die Toilettenschüssel dunkelrot färbt. Der Anblick erfüllt mich mit einem gewissen Stolz. Die Schmerzen, die Krämpfe, die Tabletten, der starke Kaffee, die Wärmflasche, manchmal der Eimer und natürlich das Blut: Das ist meine Menstruation, das ist mein Schlachtfeld.

Sich anfassen, das Blut sehen, darüber sprechen – neben all den Vorteilen im Alltag zähle ich das zu den größten Errungenschaften der Menstruationstasse. Und wahrscheinlich hat genau das ihr so lange den Weg versperrt.

Jule Hoffmann, geboren 1988 in Lübeck, arbeitet als freie Redakteurin und Autorin für Deutschlandfunk Kultur. Sie ist Gastautorin bei "10 nach 8". 


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